Absolut kein Fehler in Addition und Kalkül

Überragende zweite Premiere von Stenheims "Der Snob" in Wuppertal

von Frank Becker

Besser noch als zuvor: absolut kein Fehler in Addition und Kalkül

Wuppertals Intendant Gerd Leo Kuck inszeniert Carl Sternheims bissige Gesellschaftskomödie pointiert und mit leichter Hand genau so, wie sie sein muß: eine amüsante Ohrfeige gegen die, die es angeht.

Am 3. November hatte die hervorragende Aufführung nach Probeläufen in Remscheid und Ludwgshafen ihre erneute
(und noch verbesserte) Premiere in Wuppertal.



Inszenierung
: Gerd Leo Kuck - Ausstattung: Philipp Kiefer - Dramaturgie: Wilfried Harlandt - Licht: Fredy Deisenroth
Theobald Maske: Hans Richter - Luise Maske: Ingeborg Wolff - Christian Maske: Thomas Braus - Graf Aloysius Palen: Andreas Ramstein - Marianne Palen: Olga Nasfeter - Sybil Hull: Julia Wolff - Eine Jungfer: Felicia Spielberger



Mathematische Bühne


Auf der wunderbar mathematisch gestaffelten schwarz-weißen Bühne, einer wie ein möglicher Lebenslauf an- oder absteigenden schrägen Ebene mit wenig ausgesuchtem Mobiliar und einer abstrakten Skulptur sitzt Christian Maske und macht die Lebensrechnung auf. Jetzt, auf dem Sprung zum Generaldirektor- Posten rechnet er ab, zahlt die aus, die ihn dorthin gebracht haben, jetzt aber im Wege sind, beinahe ein Clavigo des Industriezeitalters. Thomas Braus glänzt nach dem Remscheider und Ludwigshafener Vorlauf noch überzeugender als dieser antinomisch liebenswürdig kalte Erfolgsmensch, der nicht über Leichen geht, sondern die Risse in seiner

Schöne neue Welt - Thomas Braus - Hans Richter
gesellschaftlichen Fassade mit (genau kalkulierten) Zahlungen kittet. Das Abweichende in Christian Maskes schwarz-weißer Welt zeigt sich farblich durch die roten Dessous der Geliebten, später ihr leuchtend rotes Kleid, das mit dem Gold der Skulptur im Raum und dem schwarzen Hintergrund für Momente ein fast schon Richlingsches Bühnenbild ergibt. Das Abweichende wird ausgezahlt, die nicht standesgemäßen Eltern in ein wohl versorgtes Alters-Exil abgeschoben.

Kabinettstücke


Hans Richter gibt den Vater Theobald Maske als prima Kleinbürger, schlitzohrig und komödiantisch hochrangig. Einen so saftigen Bühnenprofi findet man selten, und er wird die mit tiefer Verbeugung ausgesprochene Bezeichnung "Rampensau" als Ehrentitel verstehen. Seine Auftritte ("Setz deinen Hut grade, Luise!") sind ebenso Kabinettstücke wie die geistreichen Dialoge zwischen Maske jun. und dem verarmten Grafen Palen (beneidenswert dekadent: Andreas Ramstein), nach dessen draller Tochter Marianne Christian schielt, um sich mit einer Ehe den Zutritt zu aristokratischen Kreisen zu verschaffen. Carl Sternheims delikate Sprache wird in dieser Inszenierung, die in der
straffen und zügigen Dramaturgie von Wilfried Harlandt durchweg auf hohem Niveau unterhält, brillant umgesetzt. Da wir von Kabinettstücken sprechen: Christian Maskes Briefentwurf - ohnehin ein kleines Kunstwerk Sternheims - gerät durch Thomas Braus zu einem Exempel mimischer wie sprachlicher Haute Cuisine. Fredy Deisenroth, der so manche Wuppertaler Inszenierung durch seine Ausleuchtung ins rechte Licht gerückt hat, leistet auch im "Snob" Vorbildliches. Besonders das gebrochene Licht zwischen den Bildern läßt erfreut durchatmen. Das sind die Momente der Kontemplation, die man braucht.

Maske Forever!



Maske forever! - Thomas Braus - Hans Richter
Daß die Inszenierung den Männern gehört (Mutter Maske ist jetzt durch Ingeborg Wolff wesenlich subtiler angelegt, was sich viel besser in das Bild, das man von ihr aus "Die Hose" hat fügt, und Julia Wolffs Sybil hinterläßt spürbar "rotere" Spuren), ist nach wie vor nicht zu übersehen. Ramsteins Gotha-taugliche Dekadenz (seine Handschuhe haben sich sichtbar verbessert) überzeugt noch deutlicher, Braus spielt mit noch mehr Verve, bringt eine angenehm überraschende "Sofa-Sequenz" ein, die seine proletrarische Herkunft  unterstreicht. Er fesselt da, wo er die Bühne durchmißt - ansonsten überlaßt er sie Ramstein und Richter. Richter seinerseits ist wie gehabt von so starker Präsenz, daß er ins Zentrum rückt, sobald er auftritt. Herrlich die Wiedervereinigung von Vater und Sohn in einem Moment der Ehrlichkeit: "Maske forever!". Olga Nasfeter hat
ebenfalls zugelegt, sichert sich am Ende souverän ein größeres Stück vom Kuchen, wenn sie sich mit dem Moët in der Hand und dem Negligé am Leib ihren in köstlicher Selbstzufriedenheit badenden Gatten zur Brust nimmt: "Mein lieber Herr und Mann!". Da muß selbst der kühle Rechner die Waffen strecken  - und die ironische Nähe zu dem witzigen Veltins-Werbefilm mit Simone Thomalla und Rudi Assauer "Schatz, ich hab was für Dich..." ist nicht zu übersehen.

Schatz...  -  Olga Nasfeter - Thomas Braus


Wer die empfehlenswerte Aufführung sehen möchte, sollte mal ins Internet schauen - dort werden die nächsten Aufführungen angezeigt. Dauer: 90 Minuten ohne Pause.

Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de