Alfred Andersch zum 100. Geburtstag

Zwei wunderschöne Erzählbände im Diogenes Verlag

von Frank Becker

Die hohe Kunst des Erzählens -
 
Lesen in seiner schönsten Form
 
Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre brachte meine große Schwester Alfred Anderschs „Sansibar oder der letzte Grund“, ihre Schullektüre, mit nach Hause. Anderschs erster Roman nach früheren Erzählungen, ein Taschenbuch, wurde zu meinen ersten faszinierenden „erwachsenen“ Leseerfahrungen, zum Einstieg in die Literatur und gehört für mich nach wie vor zum Kanon deutscher Sprache. Seither hatte dieser Name nicht nur den Klang edler Erzählkunst – er verband sich mit einem Leser-Ideal: bei den Geschichten Alfred Anderschs geriet man in Nullkommanichts in den Sog des Erzählten, „stieg völlig ein“ bis zur Selbstvergessenheit.
 
Heute jährt sich der Geburtstag des am 4. Februar 1914 in München geborenen Schriftstellers († 21. Februar 1980) zum 100. Mal. Anlaß für den Zürcher Diogenes Verlag, ihn mit zwei delikaten Büchern zu ehren. Da wäre erst einmal Alferd Anderschs letztes Werk, die Novelle „Der Vater eines Mörders“, eine Schulgeschichte vom Rang des „Freund Hein“ aus der Feder von Konrad Strauß und Heinrich Manns „Professor Unrat“. Mit unerhörter Intensität beschreibt Andersch eine für den Schüler Franz Kien, Anderschs alter ego, zutiefst bestürzende, demütigende an jeglicher inneren Ordnung rüttelnde und doch den 14-jährigen reifende Schulstunde:
„In seinem letzten vollendeten Werk, 1980 postum erschienen, kehrt Alfred Andersch in seine Jugend zurück. München, Mai 1928. Der Schüler Franz Kien erleidet eine Unterrichtsstunde bei Herrn Himmler, Direktor des Wittelsbacher Gymnasiums, Altphilologe, großbürgerlicher Katholik und Vater des späteren Reichsführers der SS. Im Nachwort stellt der Autor die Frage: „Schützt Humanismus denn vor gar nichts?“
Soweit der Verlag zu diesem in seiner bibliophilen Reihe detebe Deluxe im Jackentaschenformat und in exquisiter Ausstattung mit flexiblem Leineneinband und Lesebändchen soeben erschienenen Buch. Ein brillanter, sprachlich bestechender und mit vielen psychologischen Wendungen fesselnder analytischer Text mit autobiographischem Hintergrund. Wichtig zum Verständnis von Anderschs Werk, zumal seiner autobiographischen Romane und Erzählungen ist die Lektüre des von ihm zu diesem seinem letzten Text geschriebenen Nachworts. „Der Vater eines Mörders“ gehört zum Besten Alfred Anderschs – eben so wie:

Alfred Andersch – „Die Inseln unter dem Winde“
Erzählungen
„Alfred Andersch hat seinen literarischen Ruhm als Erzähler begründet. Der vorliegende Band versammelt seine besten Geschichten, seien sie realistisch oder Geistergeschichten, Momentaufnahmen in der Tradition der amerikanischen Short Story, politische Geschichten oder Familiengeschichten – Prosastücke, in denen Andersch sich immer wieder neuen literarischen Formen zuwendet.“ (Verlagstext)
Winfried Stephan hat für diesen voluminösen Band der Diogenes-Reihe mit herausragenden Geschichten großer Erzähler, ebenfalls in Klein-Oktav, zwanzig Erzählungen aus dem umfangreichen Schaffen Anderschs ausgewählt, darunter „Mein Verschwinden in Providence“, „Der Park zu Schleißheim“, „Ein Liebhaber des Halbschattens“ und „Der Eid“.
Der Verlag“: „Literarischen Ruhm hat Alfred Andersch vor allem als Erzähler erlangt (…) als Erzähler hat er sich seinen Platz in der Geschichte der deutschen Nachkriegsliteratur gesichert. Der vorliegende Band versammelt seine besten realistischen und phantastischen Geschichten – Erzählungen, die ganze Lebensläufe enthalten, Geistergeschichten, Momentaufnahmen in der Tradition der amerikanischen Short Story, politische Geschichten, Familiengeschichten – Prosastücke, in denen Andersch sich immer wieder neuen literarischen Formen zuwendet.“
 
Alfred Andersch – „Der Vater eines Mörders“
Eine Schulgeschichte
© 2014 Diogenes Verlag, detebe 26111, 160 Seiten, flexibler Leinenband, Lesebändchen
ISBN 978-3-257-26111-0
€ (D) 10.00 / (A) 10.30, sFr 14.00*
 
Alfred Andersch – „Die Inseln unter dem Winde“
Erzählungen – Ausgewählt von Winfried Stephan
© 2014 Diogenes Verlag, 544 Seiten, Hardcover Ganzleinen, im Schuber, Lesebändchen, Nachweise  -  ISBN 978-3-257-06865-8
€ (D) 22.90 / (A) 23.60, sFr 32.90*
 
Weitere Informationen:  www.diogenes.ch