Faszinierendes Panorama der Jungsteinzeit

Harald Meller (Hrsg.) - „3300 BC - Mysteriöse Steinzeittote und ihre Welt“

von Friederike Hagemeyer

Faszinierendes Panorama
der Jungsteinzeit
 
Von Friederike Hagemeyer
 
Wie so oft ist es der Autobahnbau, der den Archäologen einzigartige Funde beschert. Als nach dem Jahr 2000 in der Nähe von Halle (Saale), genauer am Salzmünder Plateau, wo Saale und Salza zusammenfließen, Vermessungsarbeiten für die A 143 beginnen, ergibt sich die Gelegenheit, einen bereits seit langem bekannten jungsteinzeitlichen Fundort genauer zu untersuchen. Harald Meller, Chefarchäologe Sachsen-Anhalts, gelingt es, potente Geldgeber sowie ein internationales Forscherteam mit ins Boot zu holen. Das von zwei parallelen Gräben umschlossene 35 – 40 ha große Areal - es entpuppt sich als ein heiliger Ritualort - kann nach allen Regeln modernster archäologischer und anthropologischer Spurensuche untersucht werden.
 
Europa um 3.300 v. Chr.
 
Die Grabungen führen die Wissenschaftler mitten hinein in die „Zweite Neolithische Revolution“ um „3300 BC“ - so der Titel der Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle, und des Begleitbandes - in eine „sonderbare Welt aus Ahnenglauben, Menschenopfern, Schädelkult, merkwürdigen Opferritualen und mehrstufigen Bestattungssitten.“ (S. 11) Es ist die Zeit, in der erstmals Wagen mit Holzscheibenrädern eingesetzt werden, in der der Pflug aufkommt, gezogen von Ochsengespannen, den „neolithischen Traktoren“.
Mit diesen technischen Neuerungen kann die landwirtschaftliche Produktion gesteigert, können größere Ackerflächen gerodet und unter den Pflug genommen werden. Bevölkerungswachstum ist die Folge, der Druck auf die besten Ackerböden nimmt zu; soziale Strukturen verändern sich, Gesellschaften werden komplexer, Hierarchien steiler, soziale Schranken höher. Persönlicher Besitz an Boden schafft Wohlstand und Prestige, aber die Machtposition ist instabil, stets muss sie nach außen durch Statussymbole sichtbar sein und sie muss legitimiert werden. In Europa setzt die ewige Wachstumsspirale ein, die bis heute andauert.
Und es entsteht der Krieg. Waren es im frühen Neolithikum um 5.000 v. Chr. eher Überfälle auf andere Dörfer, vermutlich um Frauen zu rauben, bei denen ganz normales Arbeits- und Jagdgerät, Pfeil, Bogen, Äxte, als Waffen diente, so werden um 3.300 v. Chr. echte gut organisierte kriegerische Auseinandersetzungen erkennbar. Eigens dafür werden Waffen hergestellt, besonders gut gearbeitete Äxte, die als Grabbeigaben auf bestattete Krieger hinweisen; eine Kriegerkaste bildet sich heraus. Die fruchtbaren Lößböden östlich des Harzes werden zum Zankapfel, in kurzer Folge wechseln die Kulturen in diesen attraktiven Gebieten; erkennbar sind sie an den hinterlassenen Scherben ihrer Keramikgefäße mit charakteristischen Formen und Verzierungen.
Aber sind es nur die Kulturen, die Ideen, die wechseln, und die ortsansässigen Menschen bleiben? Oder sind es fremde Invasoren, die ihre Kultur mitbringen und die ortsansässige Bevölkerung vertreiben oder gar auslöschen?
 
Glücksfall Salzmünde
 
Etwas mehr als 300 Jahre lang, zwischen 3.400 und 3.050 v. Chr., dient das Salzmünder Plateau der umgebenden Bevölkerung als heiliger Ort für ihre Rituale und Bestattungen. Gut erhaltene menschliche Überreste in sehr unterschiedlichen Bestattungsformen belegen das. Höchstwahrscheinlich spielte die Ahnenverehrung eine bedeutende Rolle; den toten Vorfahren traute man ganz besondere spirituelle Macht zu
Darauf deuten Befunde aus der Spätphase der Salzmünder Kultur hin. Zwischen 3.200 und 3.100 v.Chr. wird ein Doppelgraben von insgesamt 4 km Länge wohl zur Verteidigung um daß heilige Areal herum ausgehoben. Auf der Sohle des inneren Grabens finden die Archäologen in regelmäßigen Abständen menschliche Schädel und wenige andere Skelettteile aus der Zeit der Salzmünder Kultur, die sorgsam und offensichtlich während eines Rituals abgelegt wurden. Sie stammen aus früheren Begräbnissen; es ist zu vermuten, daß sie mit dem Ziel, einen weiteren spirituellen Schutzwall zu errichten, in den Verteidigungsgräben niedergelegt wurden. Die toten Ahnen sollten ihren Nachfahren in Zeiten höchster Gefahr beistehen und ihnen Schutz gewähren, ein Phänomen das aus der ethnologischen Forschung bekannt ist.
An einer exponierten Stelle der Gräben stoßen die Archäologen auf eine andere große Kollektivbestattung über den Schädeln der Salzmünder Kultur, nur durch 20 cm Erde voneinander getrennt. Die Untersuchungen ergeben ein verblüffendes Resultat: Die viel älteren Skelettteile und Schädel, auch sie auf dem Salzmünder Plateau sekundär bestattet, gehören zu Menschen der Bernburger Kultur, einer Kultur, die sich von Norden her in südlicher Richtung ausbreitete. Die DNA-Analysen bringen es an den Tag: die Bernburger und die Salzmünder Menschen gehören verschiedenen Völkern an. Die Bernburger siedeln sich in der Umgebung an; das Ende der Salzmünder Kultur ist gekommen.
Welche Bewandtnis hat es aber mit der Bernburger Kollektivbestattung an einer besonders exponierten Stelle des Salzmünder Verteidigungsringes? Die Wissenschaftler interpretieren das Phänomen so: Nur durch die Deponierung der Bernburger „Ahnen“ - eine komplette Kollektivbestattung wurde vermutlich mitgeführt und am „eroberten“ Ort niedergelegt - „konnte die Kraft der Salzmünder aufgehoben werden.“ (S. 335)
 
Faszinierende Funde - eindrucksvoll präsentiert
 
Harald Meller versteht es, seine archäologischen Entdeckungen effektvoll zu zeigen und bekannt zu machen; das bewies er schon 2004/05 mit der Ausstellung der Himmelscheibe von Nebra und 2010 mit der TerraX-Sendung (ZDF)„Tatort Eulau“ (Besprechung des zugehörigen Buches s. Musenblätter http://www.musenblaetter.de/artikel.php?aid=7642&suche=Eulau). Mit der um die Funde von Salzmünde arrangierten Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte, Halle, bleibt er sich treu.
 
Es ist eine wahre „tour d'horizon“ durch Europa um das Jahr 3.300 v. Chr.: überall in Europa von den Orkney-Inseln bis nach Malta entstehen Megalithbauten, Steinsetzungen, „Hünengräber“, Wall- und Grabenanlagen oft mit Palisaden bewehrt und Menhire werden aufgestellt. Es ist die Zeit der Pfahlbauten an den Ufern der Alpenseen, der weiten Handelswege besonders kostbarer Prestigeobjekte, wie z.B. grüne Jadeitbeile; und es ist die Zeit beginnender Kupferverhüttung in Südosteuropa.
 
Didaktisch gut aufbereitet sind ausgewählte Fundstücke aus vielen europäischen Museen zu betrachten. Die gut lesbaren Texte geben verständliche Erläuterungen und stellen Zusammenhänge her, die dem „interessierten Laien“ bisher nicht bewußt waren.
 
Der zugehörige Begleitband, erschienen im Asmus-Nünnerich Verlag, ist im buchstäblichen und im übertragenen Sinne ein gewichtiges Werk. Hier findet der Leser vertiefende Artikel zu Detailfragen, geschrieben von den zuständigen Experten. Karten, Übersichten - insbesondere die „Steckbriefe zu einzelnen Befunden“ - Tabellen und Zeichnungen von Rekonstruktionen machen die Texte anschaulich.
Ganz besonders faszinieren jedoch die Detailaufnahmen raffiniert ausgeleuchteter Gefäßoberflächen mit ihren Verzierungen, Symbolen und geometrischen Mustern. Es ist eine Freude sie anzuschauen und …. die zarten Ritzungen sind hier deutlicher zu erkennen als an den Originalstücken.
Ein Besuch der Ausstellung ist sehr zu empfehlen; von Berlin aus ist Halle, S. mit dem ICE in einer Stunde zu erreichen. Allen, die sich nicht nach Halle aufmachen möchten oder können, sei der Begleitband ans Herz gelegt. Sie werden den Kauf nicht bereuen.
 
Die Ausstellung „3300 BC“ ist noch bis zum 18. Mai 2014 geöffnet
Öffnungszeiten:
Dienstag – Freitag 9.00 – 17.00 Uhr; Samstag, Sonntag und Feiertage 9.00 – 18.00 Uhr
Montag nur nach Voranmeldung
Weitere Informationen:
 
Begleitband
„3300 BC - Mysteriöse Steinzeittote und ihre Welt“ - Hrsg. Harald Meller, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt.
© 2013 Nünnerich-Asmus Verlag & Media, 384 Seiten, 376 Abbildungen, gebunden ,
25,4 X 30 cm  -  ISBN 978-3-943904-33-8
29,90 €
 
Weitere Informationen: http://www.na-verlag.de/