Das Kabarett in NRW

- und sein Größter: Heinrich Lübke

von Konrad Beikircher

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Bundesregierung/Bundesbildstelle
Das Kabarett in NRW
 
- und sein Größter: Heinrich Lübke
 
 
„Ähneln wir nicht zuweilen dem Mann,
der sich kurz im Spiegel betrachtete,
dann aber fortging und vergaß, wie er aussah?“
(Heinrich Lübke)
 
Nordrhein-Westfalen ist Wiege und Hochburg des deutschsprachigen Kabaretts. Seit eh und je. Die Anarchie des Rheinlandes, die Bodenständigkeit Westfalens und die Knorrigkeit des Sauerlandes gaben auf dem Hintergrund der Auseinandersetzungen mit einem gemeinsamen Feind, dem wilhelminischen Preußen, den Nährboden ab für die Ausbildung einer Mentalität, die bis in den Alltag hinein kabarettistisch ist. Daraus erwuchsen nicht nur Größen des Kabaretts, wie man sie sonst nirgends findet, es zog auch Kabarettisten aus anderen, geistig ärmeren, deutschsprachigen Gegenden an.
Das geht schon mit Einhard, dem Chronisten Karls des Großen, einem typisch Aachener Schlitzohr, los. Seine Schilderungen des Sachsen sind kabarettistische Blüten ersten Ranges, ebenso seine Behauptung, Karl der Große habe deshalb so viele Klöster gegründet, weil er seine unzähligen nicht ehelichen Kinder habe unterbringen und versorgen müssen. Da kommt doch schon Freude auf. Ganz zu schweigen von der Hl. Ursula, der Erfinderin der Jungfernfahrten, deren Schiffsreise nach Basel Vorwegnahme und gleichzeitig schon Parodie unserer heutigen Zustände war. Jacques Offenbach, der Wagner von Deutz, dessen Can-Can der Welt zeigte, was er von ihr hält und Heinrich Heine sind weitere großartige Belege für meine These von Nordrhein-Westfalen als Wiege des Kabaretts. Dies waren aber nur die Vorläufer. Die größten Kabarettisten betraten in diesem Jahrhundert die Bretter der Kleinkunstbühnen.
 
Konrad Adenauer, was für ein Kabarettist! „Hinter Deutz beginnt Sibirien“ ist einer der legendären ‘Gags’, mit denen er seine Fähigkeit bewies, unterhaltsam den Nagel auf den Kopf zu treffen. Meisterhaft auch seine Formulierung anläßlich eines Auftritts im Deutschen Bundestag, bei dem er sich mit dem Thema der Gefangennahme Conny Ahlers’ in Spanien (der Auslöser der Spiegel-Affäre) beschäftigte: „Holen Sie mal einen aus Tanger ’eraus!“. Treffend die Umkehrung: „Jede Partei ist für das Volk da und nicht für sich selbst“. Tja, es schmerzt schon beinahe, erleben zu müssen, wie klar Kabarettisten sehen können.
Der Größte von allen aber war und bleibt Heinrich Lübke (1894 in Enkhausen/Sauerland; † 6. April 1972 in Bonn) Nur im Sauerland, nur in Nordrhein-Westfalen konnte sich ein Talent wie seines zu solcher Reinheit und Großartigkeit entwickeln. Wir alle sind seine Nachfolger, er ist unser aller Vater. Ob Aphorismus oder Rede, ob Sketch oder Ganzkörper-Parodie, er war in allen Sätteln sicher und jeder Bühne gewachsen. Ob er in Berlin vor 250.000 Zuhörern (man überlege: welcher Kabarettist hätte heute so ein Auditorium!) den Knaller losließ: „Sie müßten eigentlich mehr Beifall spenden, weil ich zwischendurch trinken muß, um meine Stimme zu schonen“ oder im Vier-Augen-Auftritt zu Willy Brandt über Günter Grass sagte: „Der schreibt so unanständige Dinge, über die nicht einmal Eheleute miteinander sprechen“, immer traf er den Nagel gleich von mehreren Seiten. Glänzend auch sein Outfit: in Frack oder Cut und immer mit der breiten roten Bauchschärpe des großen Bundesverdienstkreuzes, oft auch noch mit der goldenen Sonne und dem Bundesadler auf der Milz. Wer von uns Nachfolgern wagt es denn, so aufzutreten? Das brachte ihm auch Auftritte ein, von denen unsereins nur träumen kann: ihm wurden jahrelang die Neujahrsansprachen im Deutschen Fernsehen anvertraut. In einer davon sagte er einen Satz, den sich jeder von uns auf die Stirn tätowieren lassen sollte: „Ähneln wir nicht zuweilen dem Mann, der sich kurz im Spiegel betrachtete, dann aber fortging und vergaß, wie er aussah?“.
So muß Kabarett sein und so war und ist es nur in unserem Bundesland. Heinrich Lübke ist ein Kabarett-Monolith, Pointen-Urgestein, Vollender und Befruchter. Es schmerzt, zu sehen, wie sein Name zur Zeit fast in Vergessenheit geraten ist. Dieser Schmerz wird nur von der Gewißheit gelindert, daß er spätestens ab der nächsten Generation den Platz zuerkannt bekommen wird, der ihm gebührt. Wir Heutigen sind vielleicht doch noch etwas zu nahe dran.

Angesichts der Größe Adenauers und Lübkes haben wir Nachfahren uns für einen anderen Weg entschieden: wir sind Heimatdichter geworden. Natürlich nicht in dem Anzengruber’schen oder Ganghofer’schen Sinne, wir leben ja im lockeren, leichtfüßigen Nordrhein-Westfalen. Aber doch Heimatdichter.
Wir füllen den Regionalismus mit neuem Leben, wir singen das Hohe Lied der Überschaubarkeit der Lebensräume, wir geben den Menschen hier das ‘Mensch sein und Mensch bleiben’ zurück, das sie in den verwirrenden Zeiten der Bonner Republik und der damit verbundenen Europäisierung fast verloren zu haben glaubten, wir zeigen neue Wege der Identifizierung mit der Heimat auf, wir rufen den Menschen in NRW zu: „Bleibt Lipper, Westfalen, Sauerländer, Rheinländer und Niederrheiner! Der Eskimo läuft auch nicht im Bastrock herum!“. Gemäß einer der vielen Devisen Heinrich Lübkes: „Die Finnländer sind...die könnten eigentlich Westfalen sein“.
Deshalb singt Hüsch sein Lied vom Niederrhein, deshalb singen Eckenga, die Missfits und Knebels Affentheater das vom Ruhrgebiet, Becker und Beikircher das vom Rheinland, Grosche das von Ostwestfalen und dem Lipperland, Hoffmann das des Westfalen und Pause und Alich das von Bonn. Um nur einige zu nennen. Und deshalb stimmen die Roglers, Freitags und Busses, das Kom(m)ödchen, die Springmäuse und wie sie alle heißen mögen in das Hohe Lied rheinisch-westfälischen Lebensgefühls mit ein. Hat uns doch auch hier Heinrich Lübke den Weg gezeigt:
 
„Das freie Wort schlägt unter uns Brücken von Mensch zu Mensch“. Und so soll es bleiben.
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
 

© Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker