Praktische Geschenke

von Hanns Dieter Hüsch

© Jürgen Pankarz
Praktische Geschenke
 
Sagen Sie mal, ganz kurz gefragt, waren Sie schon in Urlaub? Ich meine, die keine schulpflichtigen Kinder haben, die können ja gehen, wenn sie wollen, die sind ja fein raus. Aber, waren Sie denn wenigstens neulich mal auf einem Geburtstag? Ich frag so dumm rum, weil, ich brauche ein Stichwort für die nächste Geschichte. Es könnte auch, sagen wir mal, eine Silberne Hochzeit gewesen sein, oder es könnte ein Jubiläum oder Weihnachten sein. Mein Problem ist: „Wissen Sie immer, was Sie mitbringen sollen, was Sie schenken sollen?“ Ich werde immer ratloser, ich werde von Geburtstag zu Geburtstag ratloser. Ich weiß nichts, und wissen Sie, bei uns sogenannten Intellektuellen, sonst geht a das Abendland vollends unter. Immer nur Bücher, immer nur Bücher und nochmal Bücher, immer nur Bücher, meistens die eigenen, nicht wahr! Ich hab in grad so´n dickes geschrieben. Und immer nur Platten und Bilder, das hängt einem doch schon zum Bauchnabel raus! Und dann immer der blöde Satz: „Ich hoffe, du hast es nicht schon! Wenn ja, kannst es ja weiterverschenken!“ Ne, da fällt mir doch langsam der Zahnersatz aus den Ohren, nein, ich hab jetzt das Alter erreicht, ich muß das offen zugeben, ich hab jetzt das Alter erreicht, man kann auch frei drüber sprechen, ich bin da ganz ungezwungen und unbefangen drin.

Mein Zahnarzt ist auch sehr nett, sehr nett. Ich weiß nicht, ob er gut ist - aber ich hab Vertrauen zu ihm. Er hat seine Praxis im vierten Stock - ohne Aufzug, aber dafür hat er noch diesen alten Zahnarztstuhl, diesen wunderbaren Zahnarztstuhl mit der hohen Rückenlehne, und mit den Seitenlehnen. So wie der Söldnerführer Ernst von Mannsfeld, der ja auch im 60jährigen Krieg, also, gestützt auf zwei Landsknechten stehend, den Tod erwartet hat. So ist das, wenn man in diesem Zahnarztstuhl sitzt, aufrecht im Zahnarztstuhl. Und wenn der Zahnarzt dann sagt: „Locker, locker, entspannen, entspannen“, deren Wortschatz ist ja nicht so groß, kann man sich in den Seitenlehnen so schön verkrallen. Und wenn die Bohrerei zu rasant wird, können Sie sich mit den Füßen abstoßen! Das ist ja bei diesen modernen Zahnarztliegen, das ist ja alles unmöglich, man hängt doch da völlig horizontal in der Luft, man kann nicht mal mehr auf die Zähne beißen, so ausgeliefert ist man! Neulich war ich wieder da, und wieder raus. Das ist ja immer das Schönste, wenn man beim Zahnarzt wieder rausgeht, und ich war schon ganz unten, war die Treppen schon runtergelaufen, da hat er wohl was vergessen, er hat er mir durchs Treppenhaus, durch den Treppenschacht ganz laut nachgerufen, so ganz ungezwungen, hat er gerufen: „Die zwei da und die zwei da, die müssen Sie sich unbedingt erhalten, unbedingt!“ Und zwar ganz laut, die Leute kamen schon aus den Etagen, auf die Korridore. Und haben immer so geguckt, immer so geguckt, nicht wahr. Und da hab ich gesagt: „Ja warum?“ „Da möchte ich noch was dran aufhängen“, hat er ganz laut gerufen. Und dann hat er noch gerufen: „Gruß zu Hause, aldente“, und dann ist er wieder in seine Praxis gegangen. Ich wußte gar nicht, daß das ein Zahnarztgruß ist, aldente, ich hab immer gedacht, das wär ein Begriff aus der Musik, aber man kann sich ja täuschen. Und man lernt ja nie aus! Na ja, es gibt doch diese berühmten Suiten mit diesen uralten Sätzen, wie heißen sie alle, Allegro, Andante, Aldente, Presto. Der letzte Satz heißt ja immer Presto, weil - die Musiker wollen ja auch mal nach Hause. Aber das Problem, das wir eben angeschnitten haben, bleibt.

Das Problem heißt: Was bringe ich mit, was schenke ich zum Geburtstag usw.? Also, vielleicht ein Jahresabonnement für die satirischen Blätter „Der Holzwurm“ oder vielleicht vier Jahrzehnte der frühsozialistischen Zeitschrift „Die Grubenlampe“. Ja, so was krieg ich nämlich immer. Nein, ich will das nicht mehr, und ich will das auch nicht mehr verschenken. Da bin ich neulich einfach zu einer uralten Freundin gegangen, wir haben früher viel Theater und Kabarett zusammen gemacht, und da bin ich einfach radikal 14 Tage vorm Geburtstag mit der Tür ins Haus gefallen, hab laut und deutlich gefragt: „Was brauchst du, was willst du, raus mit der Sprache!“ Gut, es ist dann zwar keine Überraschung mehr, aber manchmal ist doch ein neues Küchenmesser metaphysischer als `ne Thomas-Mann-Gesamtausgabe. Oder, Mozart hin, Mozart her, ein neuer Staubsauger macht auch Musik. Es kommt doch immer auf die Bedingungen an. Wir müssen´s nur vorher wissen, das ist ganz wichtig, man muß es vorher wissen. Sonst stehen wir da an deinem Geburtstag mit einer Bügelmaschine auf deinem Balkon rum, nicht wahr. Und du erklärst uns dann seelenruhig, daß du schon drei davon hast. Eine in der Wohnung, eine im Keller und eine im Büro, wenn der Chef grad mal raus ist. Nein, das geht natürlich nicht. Wie stehen wir dann wieder da mit leeren Händen und Füßen. Blamieren uns vor den anderen illustren Gästen, die alle immer ihren Grass, ihren Lenz und ihren Walser unterm Arm mitgebracht haben. Und wir, die wir wirklich was zu deiner Entlastung beitragen wollen, wir stehen wie die Schmarotzer da, Kuchen fressen, Salate verschlingen, Sekt saufen, aber nur mit leeren Händen dastehn. Das ist entschieden zu wenig.

Und darum sagen wir jetzt jedesmal in einem solchen Fall: „Sage uns, liebes Geburtstagskind - wessen du zur Zeit dringend bedarfst! ist es eine Kreissäge, ein Gartenschlauch, eine Bohrmaschine? Wir besorgen es dir, du mußt gar nichts machen, du mußt es nur sagen. ist es eine Kürbiszerstampfturbine, ein sprechendes Bügelbrett oder ein Fön, den man auch als Telefon benutzen kann, wir besorgen´s dir. Wir wollen dir was Praktisches schenken - ach, du brauchst `ne Brotmaschine, na wunderbar, eine Brotmaschine, eine Brotmaschine - auch wenn dein Urenkel vielleicht das Brot schon wieder mit der Hand schneidet, wenn überhaupt. Herzlichen Glückwunsch. Wir besorgen es dir!“ Denn, wo eine Brotmaschine im Haus, da geht man gerne ein und aus! Das ist ein alter schwedischer Spruch aus dem 60jährigen Krieg - 1628 oder 1627, ich kann mich da nicht festlegen, aber um den Dreh herum, sagt man in der Geschichte ja immer, um den Dreh 1628/1627. Wo eine Brotmaschine im Haus - da geht man gerne ein und aus - Gustav Wasa, kennen Sie ja. Smörrebröd, Smörrebröd! Aber das ist ja dänisch, Smörrebröd ist dänisch, schwedisch heißt das Smörregors, Smörregors. Man lernt ja nie aus, wie ich eben schon sagte. Ich meine, der Originalspruch hieß etwas anders - der hieß: „Wo eine Bauernbrotmaschine dein, da geht man gerne aus und ein.“ Das ist der Originalspruch von den beiden skandinavischen Dichtern Holger Achterblaad und Stag Biegerknud. Der eine hat die erste Zeile gedichtet und der andere die zweite. Das sind die skandinavischen Goethe und Schiller, Achterblaad und Biegerknud, der Volksmund macht ja mit diesen Sprichworten - das kennen wir ja auch - was er will, was er will. Der Originalspruch hieß: „Wo eine Bauernbrotmaschine dein, da geht man gerne aus und ein“. Und unten drunter steht immer ganz ganz klein geschrieben „Aus dem Schwedischen von Inge Müller-Kampen“. Man überliest es meistens. „Aus dem Schwedischen“, das ist meine Lieblingsstelle. Jedenfalls 1627 oder 1628. Die Zahlen brauchen Sie nicht aufzuschreiben. Das ist geschichtlich ganz vage, ganz vage. Nein, nein, Sie brauchen das nicht aufzuschreiben. Ich weiß nicht, ob Ihnen das manchmal auch so geht, das passiert so drei- bis viermal im Jahr, ich weiß auch nicht, weiß den Grund noch nicht, warum sich da plötzlich so ein Rädchen weiterdreht. Ich hab nämlich den ganzen Tag gedacht, heute ist Sonntag! Und gestern Abend hab ich gedacht, es ist Samstag. Sie kennen das doch sicher auch. Sie müssen aber nicht denken, daß ich donnerstagmorgens schon denke - es ist Freitagmorgen. So weit verschieben sich die Dinge bei mir noch nicht, aber immerhin. Ich bin ein uralter Verdränger, ein sogenannter Chefverdränger. Eine Fundgrube für Therapeuten. jedenfalls, ich motiviere mir die Dinge solange zurecht, daß sie für mich wieder passen und stimmen. Dann sanktioniere ich sie noch hinterher, und alles ist wieder in Ordnung.
 
 
 
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnungen stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.
Redaktion: Frank Becker