Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre…

Gerd Silberbauer und Stefanie Mendoni glänzen in Peter Turrinis „Der blaue Engel“

von Frank Becker

v.l.: Silberbauer, Schreglmann, Machowiak - Foto © Bernd Böhner

Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre…
 
Gerd Silberbauer und Stefanie Mendoni glänzen in Peter Turrinis „Der blaue Engel“
 
Der blaue Engel - Schauspiel von Peter Turrini
nach Heinrich Manns Roman „Professor Unrat“
und dem gleichnamigen Film „Der blaue Engel“ von Josef von Sternberg
unter Verwendung des Drehbuches von Carl Zuckmayer, Robert Liebmann und Karl Gustav Vollmoeller,
Fassung des Theaters in der Josefstadt Wien von Peter Turrini, 
 
Regie: Frank Matthus - Bühnenbild: Karel Spanhak - Kostüme: Mareike Porschka – Fotos: Bernd Böhner – Video: Hans Machowiak - Liedtexte und Musik von Friedrich Hollaender
Besetzung: Gerd Silberbauer als Prof. Immanuel Rath, genannt Unrat - Stefanie Mendoni als Rosa Fröhlich, genannt Lola Lola – sowie Judith Steinhäuser (Guste Kiepert), Hans Machowiak (Schüler Lohmann), Roland Schreglmann (Schüler von Ertzum), Andreas Klein (Wirt, Gymnasialdirektor, Kapitän), Peter Schmidt-Pavloff (Prinzipal Kipert), Hermann Höcker (ein Herr) - Akkordeon: Jolanta Szczelkum
 
 
Großes Theater
 
Großes Theater vor verschwindend kleinem Publikum – das scheint das Schicksal anspruchsvoller Produktionen zu sein, die in Remscheids hinreißend schönem Teo Otto Theater Gastspiele geben. So auch am vergangenen Freitagabend bei Peter Turrinis „Der blaue Engel“ in der hochkarätigen Inszenierung von Frank Matthus, einem Bühnenstück nach Heinrich Manns Roman „Professor Unrat“ und dessen Sternberg-Verfilmung „Der blaue Engel“. Ungeachtet des nur zu 25% gefüllten Saals machte das brillant besetzte Ensemble des Euro Studio Landgraf mit höchstem Einsatz und enormer Spielfreude das Drama um den Gymnasialprofessor Immanuel Rath (Gerd Silberbauer), der an der erotischen Urgewalt der Tingel-Tangel-Sängerin Rosa Fröhlich (Stefanie Mendoni) zugrunde geht, im wirkungsvollen Bühnenbild von Karel Spanhak zu einem der dramatischen Höhepunkte des Remscheider Theaterjahres.
 
Moralist am Wendepunkt
 
Als Professor Rath, Spitzname „Unrat“, als gymnasialer Ordinarius und Moralwächter – die Handlung spielt zur Kaiserzeit um 1900 – in sittlicher Entrüstung den Schülern von Ertzum (wundervoll notgeil und pubertär verklemmt: Roland Schreglmann) und Lohmann (aalglatt hochmütig und klassikersicher: Hans Machowiak) in den verrufenen „Blauen Engel“ folgt, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Die Begegnung des verknöcherten Hagestolz mit der burschikos erotischen, gezielt mädchenhaft kokettierenden Rosa al. Lola Lola, der seine Schüler zu Füßen liegen, wird zum Wendepunkt für den Moralisten. Er selbst verfällt ihr rettungslos, verliert Stand und Reputation, büßt Status, Vermögen und Würde ein. Gerd Silberbauer gibt diesen sozialen Verfall (erwähnenswert hier die den Taumel der unerhörten Gefühle Raths illustrierenden expressionistisch beeinflußten Video-Einspielungen von Hans Machowiak), die zwischenzeitliche innere Wende „Ich folge einem Gesetz, mein Herr, das Sie nicht kennen – der Liebe“, die Erniedrigung, den Sturz vom Professor zum dummen August zutiefst ergreifend und mit unerhörter Dramatik. Bravo!
 
Reife Göre
 
Das Lob muß gleichermaßen Stefanie Mendoni gelten, für deren reife Göre, eine ausbeuterische wie ausgebeutete Lola, verführerische Lolita des Fin de siècle mit der hoffnungslosen Sehnsucht nach bürgerlicher Existenz an der Seite eines älteren Mannes, Rath sich restlos aufgibt. Mit ihren Liedern „Ich bin die fesche Lola“, „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, „Nimm dich in acht vor blonden Frau’n“, „Kinder, heut Abend da such’ ich mir was aus“ und vor allem dem berührenden „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre“ hat sie als Chanteuse von Rang eine gültige eigene Form gefunden, fern der lasziven Dietrich. Paßgenau dazu die Kostüme von Mareike Porschka.

Schimäre
 
Alles ist Schimäre, Rath wird untergehen, Rosa schäbig überleben. Silberbauer und Mendoni hinterlassen als Sympathieträger tiefen Eindruck. Mit ihnen Judith Steinhäuser als herrlich saftige, offenherzig berlinernde Artistin Guste, Peter Schmidt-Pavloff als schmieriger Prinzipal und grandios schlechter Conferencier/Illusionist und Andreas Klein in gleich drei Neben-, wenngleich überzeugenden Rollen. Theater, wie wir es uns zutiefst wünschen. Chapeau – und unser Prädikat: den Musenkuß.
 

Gerd Silberbauer - Foto © Bernd Böhner


Weitere Informationen: www.landgraf.de