Ibsens „Nora“ rebelliert bei Jelinek in einer Textilfabrik

Im Schauspielhaus Düsseldorf beeindruckten vor allem die dralle Stefanie Reinsperger in der Titelrolle und Rainer Galke als ihr Mann Torvald

von Andreas Rehnolt

Ibsens „Nora“ rebelliert in einer Textilfabrik
 
Im Schauspielhaus Düsseldorf beeindruckten vor allem die dralle
Stefanie Reinsperger in der Titelrolle und Rainer Galke als Torvald
 
Düsseldorf - In einem so gut wie gar nicht ausgestatteten Bühnenkasten im Düsseldorfer Schauspielhaus kann man derzeit erleben, was der Autorin Elfriede Jelinek zu Henrik Ibsens „Nora“ eingefallen ist. Es ist einer der berühmtesten Abgänge der Theatergeschichte: Nora Helmer, die als Hausfrau, Hobbytänzerin und Mutter ihre Erfüllung gefunden zu haben scheint, verläßt von jetzt auf gleich ihren Mann, ihr Haus und die gemeinsamen Kinder. Die bleiben in der gut zweieinhalbstündigen Inszenierung des tschechischen Regisseurs Dusan David Parizek allerdings unsichtbar. 
 
Umso mehr Präsenz zeigt die dralle Stefanie Reinsperger in der Titelrolle des Stücks, das quasi als Dreiteiler auf die Bühne im Großen Haus kommt. Den Start macht Jelineks alte Fassung aus dem Jahre 1979, in der Nora sich in einer Textilfabrik vorstellt und dazu genötigt wird, zur Bewerbung um den Job Ibsens „Nora“ zu präsentieren. Als zweiter Teil folgt dann die hinlänglich bekannte Geschichte von Nora und ihrem gewalttätigen und sie als Püppchen behandelnden Mann Torvald (genial-widerlich: Rainer Galke). Den Schluß macht dann nach der Pause die Neufassung von Jelineks Ende des Dramas, die sich für das Schauspielhaus Düsseldorf die Frage stellte, was denn geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte.
Das Stück, das bei seiner Uraufführung 1879 für einen Skandal sorgte, zeigt in der Düsseldorfer Variante des Jahres 2013, daß die Flucht aus dem bürgerlichen, unterdrückenden Heim für Nora auch keine Selbstverwirklichung bringt, weil sie sich anderen Zwängen ausgesetzt sieht. Die Mitarbeiterinnen in der Textilfabrik und ihre Vorgesetzten setzen ihr mächtig zu. Was stark in diesem letzten Drittel der ansonsten von Regie und Ensemble prächtig hingelegten Inszenierung nervt ist der erhobene Zeigefinger von Jelinek mit Firmenschließung aus Kostengründen und Produktionsverlagerung ins Billig-Ausland.
 
Allzu kräftig weisen die Herren und Damen der heimischen Textilindustrie in dem Stück darauf hin, daß sie nichts mit der Ausbeutung und den seit Jahren anhaltenden katastrophalen Arbeitsbedingungen der Branche in Ländern der Dritten Welt zu tun haben. Auch an den immer wieder vorkommenden Bränden und Einstürzen in den Fabriken mit jeweils hunderten von Toten habe man nichts zu schaffen. Wenn hierzulande der Konsument billige Mode haben wolle, sei das eben der Preis, der zu zahlen sei. Reinsperger ist gut, wenn sie verzweifelt, aber sie schafft es nicht, ihr Leiden als Gefangene im quasi goldenen Käfig rüberzubringen. Auch dann nicht, wenn Torvald sie mit brutaler Gewalt schlägt und gegen die Wände wirft.
Unterhaltsam ist das Stück sicherlich. Heiter wohl ehr nicht. Woher denn auch. Nora zeigt sich in Düsseldorf mit niederösterreichischem Akzent durchaus als kesse dralle Arbeiterin, Galke als ihr Ehemann und später als Personalchef Fellner redet etwas geradebrecht Kölner Dialekt und die Ombudsfrau Eva (Sarah Hostettler) brilliert als Schweizerin mit reinem Zürcher Zungenschlag. Vorarbeiter Franz (Tll Wonka) grantelt in ostdeutschem - wahrscheinlich sächsischem - Dialekt und die Gewerkschafterin Marie-Anne (Bettina Ernst) verlegt sich auf südhessische Tonlage. Auch ein bißchen germanistische Globalisierung - immerhin. Der Applaus für die Schauspieler am Ende ist für Düsseldorfer Verhältnisse lang. Der Regie hört ein paar Buh-Rufe.
 
Redaktion: Frank Becker