Total sympathisch: Niesende Nudeln

von Martin Hagemeyer

Total sympathisch: Niesende Nudeln
 
Am liebsten liege ich einfach auf der Couch. Das ist zwar gelogen, zumal ich keine Couch besitze. Aber wenns Geld bringt. Daß jedenfalls die amerikanische Sängerin, Diva und Shownudel Beyoncé Knowles am liebsten einfach auf der Couch liegt, dünkte dieser Tage eine Zeitschrift im Bahnhofskiosk kauffördernd genug, um dieses Geständnis zum allgemeinen Entzücken vorn auf dem Cover zu zitieren. Entzücken entzündet sich gerne daran, daß bekannte Menschen manchmal auch ganz normale Dinge tun. Wie groß der Zuspruch für derartige Enthüllungen ist, taugt daher als praktischer Test dafür, wie prominent jemand wirklich ist. Falls sich nach meinem Eingangs-Outing die Fachpresse überschlagen sollte mit Meldungen etwa der Art „Ohne eine Spur von Eitelkeit äußert er sich zu Nichtigkeiten wie einer Couch, ja, er läßt durchblicken, möglicherweise gelegentlich zu schlafen“ - dann wäre klar: Ich hab's geschafft.
 
Zuweilen läßt der Test auch Rückschlüsse zu auf den, der sich überschlägt. Die allgemeine Begeisterung über die Verdauungsprobleme im angeblichen Tagebuch Adolf Hitlers etwa warf in „Schtonk“, der filmischen Variante des Fälschungsskandals damals, ein schüchternes Schlaglicht auf eine Wertschätzung der jubelnden Heftredakteure, die unter Umständen zweifelhaft war.
Nun ist es uncharmant, Frau Knowles mit Herrn Hitler zu vergleichen. Auch halte ich das Rumräkeln anders als das Massenmorden durchaus für eine Tätigkeit, die öffentliches Wohlwollen verdient. Sich zur Abwechslung einmal als Couchpotato zu outen, hat schon seinen Reiz, wenn man üblicherweise nur mit anderen Sättigungsbeilagen identifiziert wird, wie es vorkommt bei Shownudeln.
 
Weniger appetitlich kann es werden, wenn jemand sich auf Volksniveau herabbegibt und das sehr großzügig findet, dabei mit dieser Selbsteinschätzung aber eher allein dasteht. Manch ein Theater versucht sich hemdsärmelig zu geben, indem es Stücke spielt, die zu möglichst großen Teilen Alltagssituationen enthalten und über die dann später gesagt werden soll, die Darbietung sei ja total „aus dem Leben gegriffen“ und „dem Volk aufs Maul geschaut“. Interessant ist dies aber logischerweise nur für Leute, die wissen, daß Theater eigentlich etwas vielleicht Höheres, jedenfalls aber anderes als Leben ist. An einem neueren Stück über die Deutsche Bahn, deren Verspätungen und undeutlichen Durchsagen wurde von bahnbeschlagenen Zuschauern gern gelobt: „So ist es einfach.“ Menschen, die das Besondere am Theater nicht mehr kennen, wird es aber nicht unbedingt überzeugen oder auch nur ansprechen, wenn es nichts Besonderes sein will. Um Verdauungsprobleme ging es in dem Stück übrigens auch mal wieder. Daß etwas einfach so ist, ist manchmal eben: zu einfach.
 
Jim Knopf traf einmal den Scheinriesen. Dieser langbärtige Wüstenbewohner schrumpfte auf Normalmaß zusammen, je mehr er sich näherte – und war übrigens sehr froh darüber. Ein wirklich tragisches Theaterstück wäre dagegen vielleicht einmal „Der eingebildete Scheinriese“: Das Theater, der Machthaber oder die Shownudel kommt näher und näher und sagt am Ende großzügig: Schau, ich bin gar nicht so groß. Jim Knopf aber entgegnet: Na und? Sah für mich eh nie so aus.
 
Ein anderer Fall übrigens als im Märchen vom Kaiser mit den neuen Kleidern, dem ein Kind ganz zu Recht zuruft, er sei doch nackt – denn dessen angebliche Kleider sind ja in der Tat nichts anderes als Täuschung. Die Größe des Theaters hingegen ist zwar keine Täuschung – aber manchmal, so fürchte ich, muß sie wohl doch entsprechend beleuchtet und ins rechte Licht gestellt werden, sonst wirkt sie ähnlich albern wie eine Luftspiegelung.
 
Überhaupt hängt abschließend viel vom Betrachter ab bei der Frage „Popnudel oder Couchpotato?“. Gnocchi zum Beispiel bestehen aus Kartoffelmehl. Ob Gnocchi daher Nudeln sind oder Kartoffeln, liegt ebenso im Auge des Betrachters wie ob das Theater eine Luftspiegelung ist, ob Herr Tur Tur groß- oder normalgewachsen ist und bei wem man Allzumenschliches als sympathisch durchgehen läßt.
 
P.S.: Als ich ein Cafe ansteuerte, um diesen Text zu verfassen, entfuhr einem älteren Herrn in der Elberfelder City ein unglaublich lautes, unglaublich komisches, einfach: ein unglaubliches Niesen, was unter den Passanten das seltene Erlebnis kollektiver Heiterkeit verursachte. Teeniemädchen sahen sich um und warfen Teddybären, Wildfremde fielen einander um den Hals und heirateten spontan. Möglicherweise übertreibt meine Erinnerung hier ein wenig. Sicher bin ich hingegen, daß der Nieser selbst, obwohl doch Urheber der Volksfeststimmung, keineswegs geheiratet oder anderweitig sonderlich belobigt wurde. Wäre er eine amerikanische Shownudel gewesen, hätte die Journaille tags drauf jubiliert: „In ihrer Freizeit mag Beyoncé es am allerliebsten, in der Elberfelder City unglaublich laut zu niesen. Dieser Star ist wirklich Mensch geblieben.“
 

© Martin Hagemeyer
Redaktion: Frank Becker