OÏ! - Originelle Ausgrabung

Me and My Girl - Premiere im TiC-Theater am 27.9.2013

von Frank Becker

Originelle Ausgrabung
 
Me and My Girl
Premiere im TiC-Theater am 27.9.2013
 
Inszenierung: Ralf Budde - Musikalische Leitung, Arrangements (für Flöte, Trompete, Tenor-/Altsaxophon, Posaune, Banjo, verdammt altes Klavier/ Cembalo, Kontrabaß, Schlagzeug, Perkussion, Vibraphon, Xylophon, Holzblock, Luftballons, Party- & Zugpfeifen, Hupen, Ratschen, Kastagnetten, Kochtöpfe) & Musikproduktion: Stefan Hüfner – Choreographie: Dana Großmann - Bühne und Kostüme: Kerstin Faber – Maske: Heike Kehrwisch
Premierenbesetzung: Bill Snibson: Benedict Schäffer - Sally Smith: Jennifer Pahlke - Jacqueline Carstone: Kerstin Trant - Gerald Bolingbroke: Christopher Geiss - Lady Battersby: Annika Tahiri - Lord Battersby: Detlef Schulz - Herbert Parchester: Carsten Müller - Sir Jasper Tring: Wolfgang Sprotte - Maria, Herzogin von Dene: Ilka Schäfer - Sir John Tremayne: Andreas Wirth - Chor: Karolin Hummerich, Natascha Neugebauer, Tobias Unverzagt
 
Pygmalion mit umgekehrten Vorzeichen
 
Wir kennen alle die Geschichte vom Cockney-Blumenmädchen Eliza Doolittle, die zur Dame erzogen und als „My Fair Lady“ die Musical-Bühnen und Kino-Leinwände der Welt erobert hat. Legendär und stets präsent auch die Ohrwürmer dieses Musicals aus dem Jahr 1956, das übrigens parallel zur heute vorzustellenden Inszenierung ebenfalls im „Atelier“ des Wuppertaler TiC-Theaters gezeigt wird (nächste Vorstellungen heute Abend und morgen Vormittag). Daß die Herren Loewe und Lerner nicht nur Shaws „Pygmalion“ umgesetzt haben, sondern auch sehr genau den bereits 1937 geschriebenen Plot von „Me and My Girl“ von Arthur Rose und Douglas Furber mit der Musik von Noel Gray kannten, wird offenbar, wenn man heute diese Musical Comedy anschaut, die am Freitagabend im „Atelier“ Premiere feierte.
 
Benedict Schäffer – Slapstick 1a!
 
Inszeniert wurde die originelle Ausgrabung, deren Original verschollen ist, von Intendant Ralf Budde, die

Jennifer Pahlke - Foto © Martin Mazur
brillanten Musik-Arrangements besorgte bewährt (s.o.) Stefan Hüfner, und Kerstin Faber gebührt für den Rahmen, also das Bühnenbild und besonders die ganz hervorragenden Kostüme allerhöchste Anerkennung. Erzählt wird die Geschichte des fröhlichen und zufriedenen Cockneys Bills Snibson (Benedict Schäffer), der als illegitimer Sohn des 14. Earl of Hareford entdeckt, nun das Erbe auf Hareford Manor antreten und dafür seine geliebte Sally Smith (Jennifer Pahlke) aufgeben soll. Der Titel verrät es: ohne sein Mädel macht er da nicht mit. Benedict Schäffer ist in der turbulenten Inszenierung mit ungeheurer Spielfreude die tragende Säule, sanglich, komödiantisch, tänzerisch, artistisch. Seine gekonnten Slapstick-Einlagen wie der Kampf mit dem Hermelin-Umhang und dem Bärenfell und die kleinen Spielereien mit der Melone amüsieren und nötigen Bewunderung ab - das muß man erst mal mit solcher selbstverständlichen Leichtigkeit hinbekommen! Zudem ist Schäffer, später wird die Rolle alternativ von Henning Flüsloh und Christopher Geiss ausgefüllt, auch Sympathieträger des Abends, neben ihm Andreas Wirth als Sir John.
 
Castle vs. East End
 
Bei den Damen der Handlung steht Jennifer Pahlke (später Natascha Neugebauer) in der sympathisch-unaufdringlichen Rolle der Sally im Zentrum, auch stimmlich der intriganten Gegenspielerin Jacqueline (Kerstin Trant) überlegen. Diese Rolle übernimmt später auch Sophie Schwerter alternativ. Unserem Helden fällt es nicht schwer, sich zwischen der wirklichen Liebe und der ihm aufgenötigten Jacqueline zu

Benedict Schäffer - Foto © Martin Mazur
entscheiden, er stellt den Earls-Rang zur Disposition und will vom Schloß zurück zu Sally und seinem Londoner Eastend-Viertel Lambeth gehen. Wie das alles mit manchem sozialen Affront, Anstands-Unterricht, Cockney-Rhyming, viel Musik, hinreißend choreographierten Ensemblenummern und Songs sowie einem kleinen Seitenhieb gegen Loewe/Lerner vor sich geht, führt das TiC in knappen zweieinhalb unterhaltsamen Stunden vor, in denen die aristokratischen und proletarischen Zwanziger Jahre Englands schon allein durch die perfekten Kostüme Gestalt bekommen.
 
Die Ohrwurm-Frage
 
Was dem Stück aber im Gegensatz zu „My Fair Lady“ fehlt, sind die eingängigen Melodien, die Ohrwürmer und Gassenhauer. Jacquelines Verführungsszene „Du darfst, wenn Du magst“, Sallys Solo „Hast Dein Herz verloren“, „Die Liebe bewegt die Welt“ (Bill/John/Chor), Sallys „Smile“ haben dazu nicht das Zeug. Hingegen könnten der Titelsong, das optimistische „Die Sonne ist heut´ Spitze“ als Opener des 2. Aktes und das mit einer Verneigung vor Gene Kelly inszenierte Solo Bills „Leaning On A Lamp Post“ sich im Laufe der Spielzeit noch dazu entwickeln. Seit der Uraufführung 1937 ist allerdings der Schlußtitel des 1. Aktes in aller Munde und Beine: der „Lambeth Walk“, der damals sogar für kurze Zeit zum Modetanz wurde und vom Londoner West End Theatre auch zum Kontinent hinüberschwappte. Den haben Ralf Budde, Stefan Hüfner und Choreographin Dana Großmann zu einer ansteckenden Ensemble-Nummer gestaltet, die selbstverständlich auch im Zugaben-Repertoire wiederkehrt. Den „Lambeth Walk“ pfiff der Rezensent noch auf dem Heimweg und am Morgen danach beim Rasieren. So soll es sein.




Ensemble - Foto © Martin Mazur


Weitere Informationen: www.tic-theater.de