Vom Glanz der Zahl „40“

Ein Ausflug in die Welt der Zahlensymbolik - zum Staunen und zum Schmunzeln

von Heinz Rölleke

Prof. Dr. Heinz Rölleke - Foto © Marco Polo Film
Vom Glanz der Zahl „40“
 
Ein Ausflug in die Welt der Zahlensymbolik -
zum Staunen und zum Schmunzeln
(1997 gewidmet Gustav Adolf und Stella Baum)
 
Von Heinz Rölleke
 
Wir haben Gustav Adolf und Stella Baum für je zwanzig Jahre zu danken, in denen sie die Bürde und Würde unsrer Ehrenbürgerschaft getragen haben - das macht zusammen vierzig Jahre aus. Wir feierten das aber nicht am Jubiläumstag, dem 24.11.1996, sondern wir feiern das genau 50 Tage später. Warum? Weil die Divisoren der Jubiläumszahl 40 addiert 50 ergeben; und so wie aus der Himmelfahrtszahl 40 (Christus erschien den Jüngern nach seiner Auferstehung 40 Tage hindurch bis zur Himmelfahrt) die 50 erwächst, sich gleichsam aus deren Divisoren entfaltet, nämlich zur Pfingstzahl 50 (Pfingsten ist, wie die griechische Bezeichnung bestätigt, der 50. Tag nach Ostern), so erwächst aus der Jubiläumszahl 40 das Feierdatum 50 Tage später. Und überdies: Dieses Feiern post festum ermöglicht eine weitere Huldigung sub mysterio numerorum: Gustav Adolf und Stella Baum haben just gemeinsam das 41. Jahr ihrer Ehrenbürgerschaft angetreten. Folglich feiern wir sie an einem beziehungsreichen Datum, dessen Quersumme, wie Sie aus dem vor Ihnen liegenden Blatt ersehen, natürlich 41 ergibt (frei gerechnet!). Dieser von der Hochschulleitung äußerst stimmig und beziehungsreich komponierten Zahlensymphonie über die Werte 40, 41 und 50, dieser Zahlenmagie kann ich mich nicht verschließen, sodaß ich etwas zum Glanz der eigentlichen Jubiläumszahl 40 beitragen möchte.
 
40 Jahre – so lange zog Israel durch die Wüste, bis man ins Gelobte Land kam, das dann die Kundschafter zunächst 40 Tage durchstreiften; Isaac mußte warten, bis er 40 Jahre alt geworden war, dann durfte er seine Rebecca freien.
40 Tage - 40 Tage weilte Moses in Erwartung auf dem Berg Sinai, bis er die Gesetzestafeln erhielt; 40 Tage stieg das Wasser der Sintflut, und zwar 40 Ellen hoch; 40 Tage hatte Ninive Zeit zur Buße; 40 Tage währte der Weg des Propheten Elias bis zum Berg Horeb; 40 Tage bereitete sich Jesus, in der Wüste fastend, auf seinen Auftritt vor. Der kirchliche Kalender und die Volksfrömmigkeit haben daraus die überragende Bedeutung der Zahl 40 erkannt: 40 Tage zwischen Auferstehung und Himmelfahrt, 40 Tage Fastenzeit von Aschermittwoch bis Karfreitag, 40 Tage Adventsfasten vom Katharinentag bis Weihnachten (Sanct Kathrein stellt’s Tanzen ein); 40 Tage währt in Österreich das Epiphanias-Fasten (nämlich vom 6. Januar bis zum 14. Februar, dem Valentinstag, wo man wieder lustig sein darf); 40 Tage (gemäß jüdischem Ritus) von der Geburt bis zur Darstellung Jesu im Tempel (2. Februar). Ferner wollte man errechnen, daß Christus nicht nur 40 Tage gefastet, sondern auch insgesamt 40 Monate gelehrt und schließlich 40 Stunden im Grab gelegen habe: Die dem entsprechende geistliche Übung des 40stündigen Gebets geht auf das Jahr 1275 zurück (die westfälische Deutung, hier handele es sich um eine stellvertretende Bußübung für die an den drei tollen Tagen auf dem 40stündigen Höhepunkt des rheinischen Karnevals begangenen Sünden, ist jüngeren Datums). Und auch die Frist von 40 Wochen wußte man im Leben Jesu unterzubringen.
Walther von der Vogelweide sagt es so: „er was in einer reinen megede klûs wol vierzec wochen und nicht mê“ d.h. Christus war 40 Wochen und keinen Tag länger in der Klause, in der Abgeschlossenheit einer reinen Jungfrau; es ist die Zeit der Schwangerschaft der Jungfrau Maria, die zwischen Mariae Verkündigung (25. März) und Weihnachten (25.12.) eben genau 40 Wochen betragen haben soll. Die Mutter aber heißt MARIA, und dieser Name hat fast möchte man schon sagen: natürlich - den Zahlenwert 40, denn M ist der 12., A der 1., R der 17., I der 9. und wieder A der 1. Buchstabe des Alphabets: 12 + 1 = 13, l3 + 17 = 30, 30 + 9 = 39, 39 + 1 = 40. Solche Stimmigkeiten freuten die Menschen von der Spätantike bis zum Ende der Barockzeit - es freute sie die mathematische Stimmigkeit der ganzen Schöpfungs- und Heilsgeschichte, und es freute sie die Entdeckung dieser geheimen Struktur-, Proportions- und Symbolzahlen - denn so steht es ja im Liber Sapientiae des Alten Testaments (11, 21) als göttliche Offenbarung festgeschrieben: „Omnia in mensura et numero disposuisti” (Gott, Du hast alles, wohlgemerkt ALLES, nach Maß und Zahl geordnet). So kann sich Daniel Czepko noch 1648 sicher sein, daß ihn jeder Mensch versteht und ihm jeder beistimmt: „In allem ist ein Geist, der würkt ohn’ Unterlaß, Von Ihm kriegt Erd' und Stern Gewichte, Zahl und Maß.“ Es ist der Geist Gottes selbst, der alles nach dem Gesetz der Zahl geordnet hat, und genau das meinte Kepler, als er sagte: Gott hat bei der Schöpfung Geometrie getrieben. Was den Zahlenwert von Namen (wie bei Maria) betrifft, so geht etwa noch Johann Sebastian Bach ganz selbstverständlich davon aus, daß jedermann die Bedeutung seiner 14taktigen musikalischen Themen, seiner 14 Silben umfassenden Rezitative usw. richtig erfaßt: Der Zahlenwert des Namens Bach ergibt nämlich 14, und mit diesen Anspielungen bringt der Komponist sich selber ein.
 
Zurück zur 40. Goethe sagt in den Noten zum „West-östlichen Divan“: „Mehrere runde, heilige, symbolisch, poetisch zu nennende Zahlen kommen in der Bibel vor … die Zahl 40 scheint dem Beschauen, Erwarten, vorzüglich aber der Absonderung gewidmet zu sein.“ In der Tat: Die Erwartung des Endes der Sintflut, des Gelobten Landes, des öffentlichen Auftritts - Goethe hat, wie immer, recht. Gottfried Keller hat ihm auf subtile Weise seinerseits recht gegeben: Als der „Grüne Heinrich“ hinaus ins Leben ziehen muß, da trifft er eine seltsame, aber durchaus zur Nachahmung zu empfehlende Vorbereitung. Er leiht sich bei einem Buchantiquar Goethes Sämtliche Werke und liest sie auch sämtlich an einem Stück: „Ich entfernte mich von selber Stunde an nicht mehr vom Lotterbettchen und las 30 Tage lang“ so in der Erstfassung des Romans. In der Zweitfassung:“… und las 40 Tage lang“. Hier hatte es Meister Gottfried inzwischen erfaßt: Goethes Werkausgabe umfaßte 40 Bände (wie es auch Wilhelm Raabe betont: „Da werden in alle Zeit hinein alle 40 Bände Goethe die große Panazee bilden“), und da passen 40 Tage besser; vor allem aber: Der Romanheld ist eindeutig im Stadium des Erwartens und vorzüglich der Absonderung - so wie es Goethe aufgefaßt und formuliert hatte. Woher diese eminente Bedeutung der Zahl 40 zugewachsen ist? Ich denke, Walthers Anspielung auf die 40wöchige Schwangerschaft enthält die Anwort: Die Zeit zwischen Empfängnis und Geburt, diese 40 Wochen, ist die Zeit der Abgeschlossenheit und der Erwartung schlechthin, ersteres für das Kind, letzteres für Kind und Eltern. Als man entdeckte, daß die Entwicklung von der Larve bis zur hochangesehenen Biene genau 40 Tage benötigt, sah man sich aufs schönste bestätigt. Und wenn ein Engländer die Dauer eines kleinen Nickerchens den Zustand „besonderer Abgeschlossenheit“ - benennen will, so spricht er von „forty winks“ (40 Wimpernschläge).
 
Im Umgang mit der strukturierenden Zahl 40 schaut der Mensch aber nicht nur auf seine praenatale Existenz von 40 Wochen zurück, sondern auch in sein Leben hinein und darüber hinaus: Josef balsamiert Jacobs Leiche (1. Mose 50,3) und bestattet ihn, „als 40 Tage um waren, denn so viele Tage müssen vergehen“ der 40wöchigen Schwangerschaft vor der Ankunft auf der Welt entspricht das 40tägige Abschiednehmen der Leiche von der Welt. Der katholische Brauch, nach 40 Tagen eine weitere Messe für den Verstorbenen zu feiern (das sog. Sechswochenamt), entspricht bis heute dieser Sitte. Andererseits glaubt man bei den Slaven, der Vampir steige genau nach den ersten 40 Tagen seiner Grabesruhe (oder besser: -unruhe) erstmals aus dem Sarg. Daß die Zahl Vierzig in den verschiedensten Lebens- und Wissensbereichen eine wichtige Rolle spielt, kann ich hier nur andeuten. Im Strafvollzug: Die römische Geißelung bestand aus maximal 40 Streichen (darum aus Furcht vor Maßüberschreitung 40 weniger einen). So bestätigt es auch Karl May: „daß der Verbrecher auf jede Fußsohle 40 Hiebe erhalten soll“. Das italienische Recht gestattet vor einer Auslieferung eine Haft von höchstens 40 Tagen. Im Gesundheitswesen: Einreisende ohne Gesundheitspaß müssen 40 Tage in Quarantäne; der endgültige Verlauf einer Krankheit entscheidet sich nach 40 Tagen. In der Meteorologie: „Wenn’s am Johannestag regnet, so regnet's 40 Tage.“ In der Politik: „Zum Bundespräsidenten wählbar ist jeder Deutsche, der das 40. Lebensjahr vollendet hat“ (ein Alter, was übrigens schon in der altrömischen Ämterlaufbahn eine ähnliche Dignität besaß). In der Kulturwissenschaft: Die Académie francaise hat seit Richelieu 40 Mitglieder, und Oscar Wilde parodiert im „Dorian Gray“ eine englische Paralleleinrichtung: „Um diese Stunde schlafen wir dort alle 40 an der Zahl, in 40 Klubsesseln” was man vom hier versammelten Senat ja nun nicht sagen muß.
 
Auf den gemalten und mit Sprüchen versehenen Lebenspyramiden der Jahrzehnte des Menschenlebens ist die 40 der Zenit. Der Mensch gleicht mit 40 einem Löwen, sagt Bebel 1512, und der Volksmund betont es immer wieder: Was man bis zum 40. Jahr nicht erreicht, erreicht man nimmer. Die Schwaben werden bekanntlich mit 40 gescheit - immerhin, wir andern ja angeblich nicht in Ewigkeit. Ernst Wiechert weiß von sich selbst zu berichten: „Ich war 40 Jahre alt, als der Durchbruch der Gnade über mich kam“ das verdient Aufmerksamkeit und Respekt, auch wenn seine Bücher nach diesem Durchbruch nicht unbedingt besser wurden. Aber man sieht den Menschen von 40 Jahren nicht nur auf dem Höhepunkt, sondern auch gleichsam an der Wegscheide denn zu dieser Zeit entscheidet es sich, ob er der Altersmelancholie verfallen wird oder nicht. Noch Hofmannsthals „Jedermann” ist im Blick darauf und auf Burtons barockes Buch über die Anatomie der Melancholie bewußt als genau 40jähriger vorgestellt, den die Melancholie als Krankheit zum Tode befällt. An anderer Stelle spricht Hofmannsthal von der „Neurasthénie de la quarantaine”. Ähnlich steht es um Ingeborg Bachmanns „Malina“, von dem es im ersten Kapitel bündig heißt: „Malina … heute 40 Jahre alt geworden“. Auf diesem Hintergrund versteht sich eher, was Wilhelm Raabe in seinem Roman „Abu Telfan“ aussprechen läßt: „Sonsten mag er wohl nahe an die 40 reichen. Serena begann mit dem rechten Füßchen auf dem Boden die bedenkliche Zahl nachzuzeichnen: Vierzig! Vierzig! Ein recht solides, verständiges Alter.“
 
Horkheimer und Adorno haben das in ihrer „Dialektik der Aufklärung“ auch bemerkt: „Im Alter von 40 Jahren pflegen Menschen eine seltsame Erfahrung zu machen. Sie entdecken, daß die meisten derer, mit denen sie aufgewachsen sind und Kontakt behielten, Störungen der Gewohnheiten und des Bewußtseins zeigen. Einer läßt in der Arbeit so nach, daß sein Geschäft verkommt, einer zerstört seine Ehe, ohne daß die Schuld bei der Frau läge, einer begeht Unterschlagungen.“ Die Zahl 40 kann im Blick auf des Menschen Jahre also auch durchaus zu pessimistischen Assoziationen führen, wie es Ludwig Tieck einmal pathetisch formuliert hat: „O glauben Sie mir - dem Manne, der über 40 ist, der die Welt gesehen hat, und der doch kein Menschenfeind ist, dem sollte man Altäre aufrichten.“
 
 
 
© 1997 Heinz Rölleke
(Dieser Artikel erschien erstmals 1997, gewidmet Gustav Adolf † und Stella † Baum)
Für das Foto danken wir Marco Polo Film