Vom E-Bridge - und von Hölzchen auf Stöckchen (1)

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Mit den jüngsten Veröffentlichungen über die Strompreis-Politik der Energie-Konzerne zu Lasten der Verbraucher bekommen Konrad Beikirchers Betrachtungen zum Thema zusätzliche Brisanz.
(d. Red.)
 
 
Vom E-Bridge
- und von Hölzchen auf Stöckchen
 
Es gibt keine rheinischere Tätigkeit oder keine Tätigkeit, für die der rheinische Mensch besser geeignet wäre als das Verteilen. Ob das Geld, Kölsch oder Müll ist, Karnevalsorden oder Strom: im Verteilen ist der Rheinländer Weltmeister. Er übersieht keinen, er kennt sie alle, er hat schon auf den Wagen vom Rosenmontagszug gelernt die Kamelle
a) einzuteilen, damit sie bis zum Ende vom Zoch reichen, und
b) gerecht zu verteilen, also nicht nur nach unten zu werfen sondern auch die darbenden Jecken, die im ersten und zweiten Stock in den Fenstern stehen, mit Wurfmaterial zu beglücken.
Das kommt ihm überall zugute, natürlich auch beim Stromverteilen. Wobei das mit dem Strom ja schon die höhere Kunst ist, weil: da sieht man ja nicht so direkt, wie viel noch da ist und es kann auch nicht jeder beurteilen, ob der richtige Strom nun auch an die richtigen Leute gekommen ist.
Man kann da ja z.B. nicht so mir nix dir nix linksrheinischen Strom im Rechtsrheinischen fließen lassen, die Hertzzahlen sind da einfach zu unterschiedlich. Wenn wir im Linksrheinischen mit soliden katholischen 50 Hertz arbeiten, haben die drüben möglicherweise lutheranische Hertzfrequenzen von 60 oder 70, das kommt von der damaligen Bereitschaft, vor dem normalen Glauben laufen zu gehen, das hat der Protestant ja immer noch nicht wirklich abgelegt:
das erhöht den Puls, der Mund wird trocken – deshalb singt der Protestant auch immer so freudlos – die Muskeln sind ständig angespannt, immer auf dem Sprung, vor dem Papst und dem Meisner davonzulaufen und der ganze Glauben wird dadurch zum Training für die Ewigkeit – also da kommt bei mir kein Glauben auf, wenn Sie mich fragen. Glauben muß doch jetzt Spaß machen und nicht erst in einer Ewigkeit, von der wir noch nicht mal wissen, wie lang sie dauert! Das zehrt natürlich an den Kräften des Protestanten, vorwiegend im Rechtsrheinischen, und ich meine, das sieht man auch: gucken Sie ihn sich an, er hat verhärmte Züge, er lächelt höchstens in der Achselhöhle und auch ansonsten sieht er eher aus wie ein Asket, dem nix Spaß macht, schon gar nicht das irdische Leben im Hier und im Jetzt. Ich meine: das kann man auch mal physikalisch sehen: Arbeit = Kraft mal Weg. Schön, nur: wenn die Kraft mal weg ist, dann bleibt nur die Arbeit übrig und das ist dem normalen Glauben zu wenig.
 
Gut, ich wollte jetzt nicht religionsphilosophisch werden, ich bin nur wegen dem Rechtsrheinischen und der total anderen Hertzzahlen, auch beim Strom da drüben, draufgekommen.
Also: E-Bridge waren wir dran. Der Büchner und seine Mannschaft, die sind ja quasi an rheinischen Steckdosen groß geworden – also nicht alle, aber die auswärtigen haben sich ebenfalls schnell ans rheinische Netz anschließen lassen - und sind da konsequenterweise auf die Idee gekommen, daß man gut aus dem, was einem Rheinländer sowieso in den Genen steckt, einen Beruf, eine Aufgabe, eine Firma machen kann: der Kunst, zu vernetzen, sprich: ze klüngele.
Wobei man da unterscheiden muß zwischen klüngele und maggele:
„Klüngele“ ist die Urform der rheinischen Demokratie, „maggele“ die Fähigkeit, Außenhandelsbeziehungen aufzubauen.
Wie das entdeckt worden ist, habe ich aus allererster Quelle erfahren:
Zwanzig Jahre mag es her sein, da war ich bei einer Vernissage in Bad Godesberg. Es stellte eine Künstlerin aus, Frau ***, Gattin des damals gerade in den Ruhestand getretenen Generals ***. Und so, wie der da stand, war klar: Der hier ist direkt in den Ruhestand getreten!
Frau *** war Bildhauerin, sie hatte ein Bild gehauen und ausgestellt, wir haben uns den Schaden kurz angeguckt, um dann zum eigentlichen Zweck jeder Vernissage überzugehen, dem freien Einlöten. Ich stand mit dem Lötkolben neben der Künstlerin, welche ihrerseits neben ihrem Gatten stand, der sich nicht vom Fleck bewegt hatte – warum auch, ist er doch im Ruhestand. Da teilte er mir mit, daß er und seine Gattin mehrmals mich auf der Bühne erlebt hätten und daß er sich für erlebtes Vergnügen mit einer Information bedanken möchte, die ich weiter verwenden möge, so sie mir denn behage.
Und er setzt an und will schon loslegen, da beißt er sich im letzten Moment auf die Zunge, weil ihm einfällt, daß er mir die Geschichte gar nicht erzählen darf, fällt sie doch unter militärische Geheimhaltungspflicht. Und, General aktiv oder General i.R., Militärgeheimnisse dürfen beide nicht verraten, klar. Also hat sie es mir erzählt, und zwar:
„Es gibt seit dem 1870er Krieg eine geheime Ordre im deutschen Generalstab, die alle Kriege, den 70/71er, den 14/18er und den 39/45er, überlebt hat und die heute noch Geltung hat – natürlich ist sie nie schriftlich festgehalten, sondern wie alles, was wirklich wichtig ist, nur mündlich von Generalstab zu Generalstab weitergegeben worden. Sie besagt, daß es im Ernstfall, also im Krieg, allen deutschen Generalstäben untersagt ist, mehrere Rheinländer gleichzeitig, geschweige denn eine ganze rheinische Kompanie, an die vorderste Front zu verlegen. Warum? Weil der Rheinländer, sowie er an der vordersten Front ist, direkt in Geschäfte mit dem Feind verwickelt ist.“
Soweit die Ordre. Nun stellt sich einem natürlich gleich die Frage: Wie kam das denn?
 
Das kann ich Ihnen sagen. Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Preußen in Berlin ihren Hohenzollern-König. Wie der geheißen hat? Na, wie alle Hohenzollernkönige, Wilhelm, auf andere Ideen sind die ja nie gekommen. Entweder nannten sie sie Wilhelm oder Friedrich oder Friedrich Wilhelm, auf die Idee, es mal mit einem Marcel oder einem Kevin zu versuchen sind die natürlich nie gekommen! Und dieser Wilhelm hatte einen Kanzler, Otto von Bismarck. Der hatte die Idee, den Preußenkönig zum Deutschen Kaiser ausrufen zu lassen und hatte 1870 das Ganze schon vorbereitet, indem er die umliegenden Fürsten- und Königshäuser entweder gekauft oder erpreßt oder an die Wand gedübelt hatte.
Jetzt war der Weg frei und es ging nur noch um die Frage: Wo soll das stattfinden? Denn, die Proklamation eines Preußenkönigs zum Deutschen Kaiser ist natürlich ein Ereignis, das einen würdigen Rahmen braucht, das heißt, ein Event, der die richtige Location braucht.
Wobei die ganzen Partyhengste und Event-Fetischisten vergessen haben, daß „location“ von „locus“ kommt. Ach was, vergessen – die haben das noch nie gewußt.
Dem Kanzler Bismarck wäre das am liebsten gewesen, leider gab's das noch nicht. Also blieb quasi nur die etwas aufwändige zweite Wahl, der Spiegelsaal vom Schloß in Versailles. Bismarck schrieb also dem Preußischen Generalstab ein aide-mémoire, daß die Proklamation dort stattzufinden habe. Ab in die Rohrpost, fertig war die Laube.
Nun sagt man den Mitgliedern des Preußischen Generalstabs gerne nach, daß ihr IQ ihre jeweilige Schuhgröße nicht übersteige, das traf aber in diesem Falle nicht zu. Denn, man wußte nicht nur, daß Versailles in Frankreich ist, man wußte sogar, daß es mitten in Frankreich ist, und das war das strategische Problem.
So war klar: zwischen der belgischen Grenze und Versailles liegen gute 300 Kilometer Frankreich. Wenn man dahin will, sagte sich der Preuße, dann sollte man zu mehreren sein.
Und wenn der Preuße sagt, „zu mehreren“, dann meint er auch „zu mehreren“. Also hat er erstmal die Sachsen zwangsverpflichtet, die Hessen, die Bayern, ein paar MacPommern waren auch dabei. Kurz und gut, 1870 standen schließlich über 503.000 Mann in Berlin, gestiefelt und gespornt und abmarschbereit.
Alles scharrte schon mit den Stiefeln, alles fieberte dem Startschuss entgegen, alle hatten nur ein Ziel: Paris! So kommen sie nach Köln, bauen sich vor den Kölschen auf, die ganz höflich und hilfsbereit fragen:
„Wo wollt Ehr dann hin?“
„Wir wollen nach Paris“, schnarrt der Flügeladjutant. „Noh Paris? Kei Thema! Ööcher Stroß immer wigger un wenn Ehr durch Belgien durch sid, noh links, dann sid Ehr do!“
Schnell aber war klar, daß der Preußische Generalstab mit so einfachen Anweisungen nichts anfangen konnte – andererseits bestand ein hohes Interesse daran, dat Jesocks so schnell als wies möglich quitt zu werden, also sagten die Kölschen:
„Pass op – mir jonn vür, un Ehr kutt hinger uns her, esu bränge mer Üch noh Paris.“
Gesagt getan. Der ganze Troß setzte sich also in Bewegung: Aachener Strasse, an Melaten vorbei, Müngersdorfer Stadion, Junkersdorf, dann um Düren einen kleinen Bogen gemacht, um Langerwehe, um Aachen einen großen Bogen gemacht, weil, „Mer muss de Ööcher nit wejen jedem Dreß wecke!“, bis man ins Belgische kam, wo bei Eupen erstmal Ende der Fahnenstange, Schluß der Veranstaltung war, weil da belgisches Militär stand. Gut, Militär es e bessje üvverdrevve, die Eupener stundte do. Die fragten natürlich:
„Wo wollt Ehr dann hin?“
Worauf die Kölschen antworteten:
„Mir nit! Die do hinge! Die wolle noh Paris!“
„Ja Moment ens, su jeiht dat ävver nit, dat sin jo jot 500.000 Mann, die trampele uns et janze Land platt, Moment, mir schicken gleich mal jemanden zum Leopold und dann gucken mir mal!“
Gesagt, getan.
Nun war das damals so, für militärische Standardsituationen gab es Standardrezepte. Damals war ja Soldat-Sein quasi noch ein Handwerk. Also, wenn zwei feindliche Heerlager einander gegenüberlagen grub man sich mit ein paar Meter Abstand einfach ein. Dafür hatte damals jeder Soldat ein Schäufelchen dabei. Also hoben die Eupener mit ihrem Schäufelchen einen Schützengraben aus, die Kölschen mit ihrem Schäufelchen hoben einen Schützengraben aus und dahinger dat Jesocks hob mit schwerem Gerät och sing Schützengräben aus, fertig. Vorne bei den Eupenern und den Kölschen gedieh das Werk prima und als die Schützengräben ungefähr brusttief waren, griff der rheinische Nippelreflex.
Der rheinische Nippelreflex geht so: Sobald ein Rheinländer in Nippelhöhe einen Widerstand fühlt, ein Geländer, eine Balustrade, ein Fensterbrett, holt er ein Kissen, legt es drauf, stützt sich auf und guckt.
 
Und weil man sich kannte, entweder durch Verwandtschaft oder vom Weihnachtsmarkt in Aachen, fing man an, miteinander zu plaudern. Üvver dit un üvver dat un üvver’t Essen.
„Wat hat Ehr dann för zo Essen dobei? Mir han hee Brud, do han uns de Preußen mit dutjeschmesse! Paderborner Kastenbrot! – Wat hat Ehr? Hähnchen? Boh, lecker!“
Und schon jing et los:
„Wat solle mer sage: drei Brude – ei Hähnche? Fünnef? Jot! Fünnef Brude – ei Hähnche. Jupp, fang ens an ze schmieße.“
Und der Jupp warf die Kastenbrote rüber und von drüben kamen die Hähnchen geflogen – wunderbar. Als der Preuße das sah, fiel dem natürlich das Monokel aus dem Auge und hastdunichtgesehen! schnappte er sich die Rheinländer aus dem ersten Schützengraben, formulierte die geheime Ordre, daß es im Ernstfall, also im Krieg, allen deutschen Generalstäben untersagt ist, mehrere Rheinländer gleichzeitig, geschweige denn eine ganze rheinische Kompanie an die vorderste Front zu verlegen, und verlegte die Rheinländer in die Etappe, also dohin, wo’t schön es! So ist das damals entstanden und so ist die Welt auf die wundervolle Eigenschaft des Rheinländers, klüngele und maggele zu können, aufmerksam geworden.
Wobei wer beim Klüngele kritisch die Nase rümpft und den Rheinländern vorwirft, daß beim Klüngele alle wichtigen Probleme unter den Teppich gekehrt würden, verkennt, daß der Rheinländer das grundsätzlich anders sieht. Er nämlich sagt:
„Was untern Teppich gekehrt ist, das ist vom Tisch!“
 
Die Kunst zu vernetzen ist eine der höchsten Leistungen, zu der die Zivilisation fähig ist und sie hat ihre Vollendung im Rheinland gefunden.
In der Branche allerdings, in der Sie alle tätig und aktiv sind, ist es ganz besonders schwierig, effektive Netzwerke betreiben zu können und zwar insbesondere deshalb, weil die Bundesregierung – und von der könnte man jetzt nicht sagen, daß sie rein rheinisch besetzt ist – dem Rheinland den Vernetzungsgedanken abgeguckt hat und eine eigene Bundesnetzagentur aufgebaut hat, die aber nicht nur rheinischen Gesetzen gehorcht. Der oberste Grundsatz der rheinischen Vernetzung ist die Geschmeidigkeit: „Mr kennt sich, mr hilft sich“ und schon läuft es. Das ist aber ein Grundsatz, der in Berlin unbekannt ist, da kommt ja alles auf den Tisch und wenn da nix mehr drauf Platz hat gibt’s Neuwahlen. Das kann ja nicht im Sinne des Erfinders sein, oder?! Jetzt ist es natürlich höchst begrüßenswert, daß die E-Bridge-Leute auch mit der Bundesnetzagentur zusammenarbeiten, so, daß in den ganzen Laden ein bißchen rheinische Geschmeidigkeit kütt.
 
Lesen Sie in der nächsten Woche an dieser Stelle die elektrische Fortsetzung meiner Betrachtungen.
 
In diesem Sinne!
Ihr
Konrad Beikircher
 

 ©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker