Alles bestellen

von Hanns Dieter Hüsch
Alles bestellen
 
Sie wissen natürlich, meine Lieben, daß man nichts mitnehmen kann, aber ich mein das jetzt nicht nach dem Tode, das ist ja logisch, das ist ja klar, das wissen wir ja alle. Das haben wir ja hinreichend geübt. Das ist ja Philosophie, das ist ja das berühmte Hemd ohne Taschen, nicht wahr, man kann nichts, man kann nichts mitnehmen. Nein, ich meine jetzt mehr so im Leben, also im Geschäft, meine ich, also nichts mitnehmen - also im Laden. Oder wie könnte ich zwei Klappen mit einer Fliege schlagen. Also sagen wir mal, zu Ladenlebenszeiten Also, vielleicht haben die Damen unter Ihnen das ja auch schon festgestellt, früher konnte man doch in einen Laden gehen und einfach sagen: „Ich hätte gern ‘n Küchenstuhl,“ Nur als Beispiel, jetzt mal. Dann hat man sich einen ausgesucht, bezahlt, den Stuhl geschnappt, nach Hause getragen. Wie heißt der schöne Spruch - „Das ist der Daumen - der schüttelt die Pflaumen, der liest sie alle auf der trägt sie nach Haus und der kleine ißt sie alle auf“, und fertig war die Sitzgelegenheit.
Und heute - heute sagt fast jeder zweite Verkäufer - fast jede zweite Verkäuferin: „Das kann ich Ihnen gerne bestellen!“ Ich meine, es gibt schon noch Sachen, ja ja, es gibt schon noch Sachen, die man gleich mitnehmen kann, wie Butter und Kartoffeln beispielsweise. Das ist ja auch elementar, das heißt ja von der Hand in den Mund - das ist ja altgriechisch, nicht wahr. Eleumentaros, nicht - eleu - von der Hand - mentaros - in den Mund. So heißt es, glaube ich. jedenfalls, aber wenn Sie sich dagegen ’ne Küche oder `n Schlafzimmer oder `n Sofa oder nur `n Paar Schuhe - habe ich neulich erlebt - oder nur `n Paar Schuhe anschaffen wollen, dann sagt der Verkäufer oder die Verkäuferin meistens: „Kann ich Ihnen gerne bestellen!“ Das heißt, erst gucken sie noch mal im Lager nach, rufen X Zentralen an, nichts, in den meisten Fällen muß bestellt werden. Ob das nun Bettwäsche ist, wo die Größe nicht vorrätig ist, oder Tischdecken, die zusammengenäht werden müssen, weil sie nur 80 auf 120, ich weiß das ja, ich hör das ja, ich geh ja immer mit, ich bin ja Partner, nicht, ich bin ja schließlich Partner! Ich hab zwar keine Ahnung davon, ich hab noch nie auf `ner Tischdecke gelegen, aber die müssen zusammengenäht werden, weil sie nur 80 auf 120 liegen. Ich meine, da braucht man doch eigentlich gar kein Geschäft mehr aufzumachen, da können wir doch eigentlich alles direkt beim Hersteller vor Ort telefonisch bestellen. Gut, bei den großen Teilen, ja da kann ich das ja begreifen, kann ich das verstehen, aber selbst bei Badezimmermatten muß doch die arme kleine Verkäuferin oft tief in den Keller steigen, um nachzugucken, ob da eventuell vom vorigen Schlußverkauf noch was speziell Sandfarbenes übrig geblieben ist, was speziell Sandfarbenes. „Das ist so gebrochenes Ocker“, sage ich immer. „Oder auch gestoßenes Krokant, es liegt so dazwischen.“ „Es liegt - es ist `ne Zwischenfarbe, keine Zwischengröße, ist `ne Zwischenfarbe 25, nicht wahr.“ Ja, und wenn nicht - kann sie´s gerne bestellen. Sie hätten´s dann bis zur nächsten Lieferung, allerdings erst in zwei Monaten. „Ja, und das Fleischmesser mit dem weißen Griff - da könnte ich Ihnen etwas Ähnliches eventuell in drei Wochen aus Skandinavien besorgen.“ „Ja“, sage ich, „das ist jetzt dumm, wir sind auf der Durchreise - und da müssen wir uns halt, mit einem anderen Hackebeil behelfen.“
„Das kommt so weit“, habe ich neulich zu meiner Frau gesagt, „daß du eines Tages in einen Laden gehst und sagst“: „Ich hätte gerne drei Brötchen.“ Und die Verkäuferin sagt dann zu Dir: „Welche Brötchen möchten Sie denn?“ „Drei ganz normale Brötchen - so wie früher.“ Und die Verkäuferin sagt dann: „Ja, die muß ich Ihnen leider bestellen, Lieferzeit vier Wochen, nicht wahr, Anzahlung eine Mark zehn. Mohnbrötchen fünf Wochen, Speckbrötchen drei Wochen, Sesambrötchen sechs Wochen.“ Wieso denn sechs Wochen, es hieß doch früher immer: Sesam öffne dich.“ „Ja, früher“, sagt die Verkäuferin, „aber heute liegt ja die Lieferzeit für Roggenbrötchen beispielsweise schon bei acht Wochen. Ja, die kommen aus Italien, da verzögert sich sowieso alles immer, wegen der vielen neuen Regierungen.“ Und die berühmten Gipfeli aus der Schweiz brauchen auch meist schon sieben Wochen im Schnitt, sieben Wochen im Schnitt. Die Gipfeli aus der Schweiz, im Schnitt sieben Wochen! Müssen Sie sich mal vorstellen, aus der Schweiz. Im Schnitt, die Gipfeli. Ich bin ein Wiederholungsfetischist, sieben Wochen im Schnitt, die Gipfeli aus der Schweiz. Sieben Wochen! Ich geb ja gerne zu, das alles ist maßlos übertrieben, aber wir werden es ja sehen! Sie können mich anrufen! Ich sage immer, alle Übertreibungen - siehe Jules Verne - sind bis jetzt immer noch eingetroffen. Die meisten sind doch längst überholt, was heißt hier überholt, die meisten sind schon regelrecht verjährt!
 


© Jürgen Pankarz
 
© Chris Rasche-Hüsch
Veröffentlichung aus "Meine Geschichten" in den Musenblättern mit freundlicher Genehmigung
Die Zeichnung stellte freundlicherweise Jürgen Pankarz zur Verfügung.