Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Die Straße der Verrückten

5. August: Glück ist immer ein wenig spießig.
 
6. August: Der Mondkuchen Der Mondkuchen erinnert an den Streuselkuchen. Schaut man aber genauer hin, sieht man, daß sich der Bäcker mehr Mühe mit der Anordnung der Streusel gegeben hat. Sie erinnern genau an die Krater des Mondes und geben dem Kuchen seinen Namen. Der Streuselkuchen wird oft unterschätzt. Er ist schlicht. Er ist eindeutig. Bei der Herstellung wird zunächst ein süßer Hefeteig auf dem Backblech ausgerollt. Anschließend werden Streusel und auf den Teigboden ausgestreut. Ordnet man die Streusel besonders an, erinnern sie an Mondkrater, und aus dem Streuselkuchen wird ein Mondkuchen. Der Mondkuchen ist der Anfang aller Backkunst. Kinder essen ihn gerne. Er vereint Schlichtheit und Süße. Er überrascht in allen Reifephasen. Am Anfang erwartet uns der ofenfrische Mondkuchen. Er duftet, und alles erscheint neu und unschuldig. Mhmm, allen Kindern läuft das Wasser im Munde zusammen. Bald schon verändert sich der Mondkuchen. Von Tag zu Tag entdecken wir andere Seiten an ihm. Der älter werdende Mondkuchen hat mehr Festigkeit. Er wird hart. Er liegt gut in der Hand. Wir beißen hinein und denken, wir machen eine Reise zum Himmel. Der alt gewordene Mondkuchen verlangt unsere ganze Zuwendung. Man kann ihn in Flüssigkeiten stippen, er wird wieder weich und erinnert an seine Anfangstage. Manchmal nennt man Streuselkuchen Mondkuchen. So macht es mehr Spaß ihn zu essen.
 
8. August: Die Straße der Verrückten Ich stand auf der Straße der Verrückten. „Sind sie etwa auch verrückt“, fragte ich einen Mann, der auf dem Bürgersteig stand und Zigaretten rauchte. „Natürlich“, sagte der Mann. „Ich bin verrückt, meine Frau ist verrückt und meine Kinder sind es auch.“ Ich lachte. „Dann ist es ja bei Ihnen nie langweilig, oder?“ „Darauf können sie einen lassen“, sagte der Mann. Eine Frau kam zu mir und umarmte mich. „Wenn ich nicht verrückt wäre, dann wäre ich ganz schön traurig“, sagte sie. „Das glaube ich gerne“, sagte ich und schaute mich um. Aus einem Auto stiegen vier Männer in schwarzen Anzügen. Sie liefen über die Straße und sangen dabei: „Verrückt, verrückt, verrückt, ach was uns das beglückt.“ Ich nickte. „Es muß wunderbar sein, noch einmal neben sich zu stehen“, murmelte ich. Ich ging noch einmal die Straße der Verrückten auf und ab und ließ mich von ihnen zum König aufrufen
 
10. August: Der Mayonnaisespender Tommi stand mit Klaas in der Imbißbude. Der Mann hinter der Theke fluchte. Er hatte sich gerade vom Mayonnaisespender vollspritzen lassen. Er war von unten bis oben mit Mayonnaise bekleckert. Er verdrehte die Augen und ging mit erhobenen Armen zum Waschbecken. „Da haben Sie aber noch mal Glück gehabt, daß es kein Senf war“, sagte Tommi, um ein wenig Mitgefühl zu zeigen. Da drehte sich der Mann um und schüttelte mißmutig den Kopf. Ich spürte, was der Mayonnaisenmann sagen wollte. Im Grunde war es egal. Im Grunde war es egal, ob man mit Mayonnaise oder mit Senf bekleckert war. Vielleicht war es nur ein wenig männlicher, voller Senfkleckse zu sein. Es hätte mehr nach einem Kampf ausgesehen.


© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker