Lohnende Ausgrabung

Chet Baker – „But Not For Me“

von Frank Becker

Lohnende Ausgrabung
 
Ungezählte Aufnahmen von Chet Baker (1929-1988) sind auf dem Plattenmarkt unterwegs, neben den bekannten hochqualitativen Standards der Major Labels auch fast unüberschaubar viele obskure Billig-Pressungen von zweifelhaften Live-Mitschnitten oder Reste-Sammlungen aus weggeworfenen Studio-Schnipseln in teils kläglicher Qualität. Da kann man Schreckliches erleben, besonders aus der Phase der späten 70er und frühen 80er, als Baker jeden Gig annahm, um zu Geld zu kommen. „Neuentdeckungen“ machen folglich leicht mißtrauisch, besonders, wenn es sich um die Ausgrabung eines kleinen, unbedeutenden Labels wie Random Chance Records handelt, dessen „Top Dog“ Rick Congress allerlei recht Unverdauliches auf seiner Web-Seite anbietet.
 
Dann aber die Überraschung: seine Wiederentdeckung und Re-Issue des im April 1982 in New York aufgenommenen Studio-Albums „But Not For Me“, mit Chet Baker, Charlie Haden, Kenny Barron, Ben Riley, James Newton und Howard Johnson hochkarätig besetzt und ungewöhnlich instrumentiert, ist ein wirklich rarer Fund, eine Perle in der Diskographie Chet Bakers. Bisher nicht einmal in die Diskographie aufgenommen, bietet das ursprünglich bei STASH Records verlegte Album brillante Studio-Qualität und einen Chet Baker in guter kammermusikalischer Form, was damals nicht unbedingt selbstverständlich war. Kenny Barron am Klavier kommt noch auf Augenhöhe mit Chet, der geniale Kontrabassist Charlie Haden, der wenig später mit seinem „Quartet West“ einen kometenhaften Aufstieg hatte, ist hier kaum mehr als Sidekick mit wenig Solo-Chance, Drummer Ben Riley zeigt sich in feiner Spiellaune. Originell, wenn nicht unbedingt der Top-Act dieser Aufnahmen sind die drei Beiträge von Howard Johnson auf der Tuba. Johnson, ursprünglich Baritonsaxophonist, reüssierte später mit George Gruntz an der Tuba – da paßte es besser. Bakers butterweiches Spiel vor allem im Opener „Lament“, von Baker auf dem Spiritual „Sometimes I Feel Like A Motherless Child“ aufgebaut, und dem Schlußstück „Prayer To The Newborn“ sowie seine beiden stimmlich noch ungebrochenen Vocals in „Four“ und im Titelsong „But Not For Me“ machen dieses Album aus.  Informationen darf man von dem lächerlichen Zettelchen, das dem Album beliegt, allerdings nicht erwarten - und man darf sich auch vom Titelfoto nicht täuschen lassen: das zeigt einen etwa 20jährigen Chet Baker, der aber war zur Zeit der Aufnahmen bereit 53. Dennoch: eine lohnende Ausgrabung.
 
Ein Tip: „Spring Cycle“ von Steve Hobbs bei Random Chance Records ist ebenfalls eine solche Perle.
 
Chet Baker – „But Not For Me“
© 1982 STASH Records / 2003 Random Chance Records
Charlie Haden (b) - Ben Riley (dr) - James Newton (fl:1, 4) - Kenny Barron (p: 1, 2, 4, 5, 6) -
Chet Baker (tp) - Howard Johnson (tub: 2, 4, 5) – Chet Baker (voc: 2, 5)
Titel:
1 Lament  6:52 - 2  Four  4:34 - 3  Line For Lyons  6:28 - 4  Ellen David  8:32 - 5  But Not For Me  7:55 - 6  Prayer To The Newborn  7:55

Gesamtzeit: 40:59