Über Gottesnähe

von Erwin Grosche

Foto: Harad Morsch
Über Gottesnähe
 
I
 
Ich habe einen Freund, der ist Gott verfallen. Wo er geht und steht muß er helfen und verteilt Zettelchen. Manchmal schüttelt er Entgegenkommenden lange die Hand, fragt dies und das, als nehme er ihnen die Beichte ab. Gestern hielt er mich am Arm fest und flüsterte viel zu leise: „Ich backe mit anderen gottesfürchtigen Menschen Brot. Wir suchen herzensgute Menschen, die unsere Arbeit unterstützen.“ Ich ahnte Schlimmes und schaute deutlich auf meine Uhr. „Ich hoffe sehr“, flüsterte er weiter, „du weißt ein gutes Brot zu schätzen und kaufst es bei uns. Denk bloß nicht, wir sind nur arme Irre, denn Gottes Gaben schlummern auch im Sauerteig.“ Er drückte mir einen Zettel in die Hand, auf dem neben Auszügen aus dem Johannes-Evangelium auch seine Brotkontaktadresse zu lesen war. „Schmeiß ihn nicht gleich weg“, warnte er und ließ endlich meinen Jackenärmel los. „Ich rechne mit dir“, warnte er weiter, »und hoffe, nicht in deiner nächsten Geschichte vorzukommen, sonst straft dich Gott mit einem schlechten Auftritt und einer häßlichen Platzwunde.“ Ich schüttelte verängstigt den Kopf und sagte, daß ich so etwas nie machen würde und beschloß, den Zettel ungelesen fortzuschmeißen und diese Geschichte aufzuschreiben. Was sind wir nur für arme Irre.
 
II
 
In Detmold lebt ein Friseur, mit dem saß ich als Schüler in einer Klasse. Manchmal besuche ich ihn und lasse mir von ihm die Haare schneiden. Letztes Mal erzählte er mir, daß George Harrison gestorben wäre. Neben mir saß ein älterer Lipper, ein Bäckermeister, und fragte, wer denn George Harrison gewesen sei. Mein Klassenkamerad, seine Mitarbeiterin, die dem Lipper gerade die Haare schnitt, und ich schauten uns über Spiegel und in echt an und legten los. Wir erzählten von den Anfängen der Beatles in Hamburg, daß Harrison immer der Stille der vier gewesen war und sangen schließlich gemeinsam „Here comes the sun“. Wir erklärten dem Lipper, daß George Harrison der Konditor unter den Bäckern gewesen wäre. Wie erstaunt waren wir dann, als wir uns wieder im Spiegel fanden und völlig entgeistert feststellten, daß mein Klassenkamerad und seine Mitarbeiterin uns eine Beatlesfrisur geschnitten hatten. Neidisch bemerkte ich sogar, daß dem Lipper der Pilzkopf besser stand als mir.
 
III
 
Nachdem der Papst 1996 Paderborn besucht hatte, ging das Gerücht um, daß gegen eine hohe Geldsumme sein mehrmals benutztes Bett noch einmal zu mieten war. Man dürfe dann unter der gleichen Bettwäsche schlafen wie er und ein wenig von seiner Gottesnähe atmen. Ich stand dann eine Woche vor dem Leokonvikt um diese einmalige Krafttankaktion zu nutzen, aber leider sprach mich kein Papstbettvermieter an. Ich träumte dann einmal, daß die Papstbettwäsche nach frischem Brot riechen würde.
 
IV
 
Einmal spielte ich vor meinem Arbeitsminister Walter Riester. Ein kleiner SPD Ortsverein hatte den Auftritt organisiert und dazu weder Scheinwerferlicht noch einen schwarzen Vorhang besorgt. Vor der Veranstaltung hatte eine Podiumsdiskussion stattgefunden, die sich um die Zukunft von Arbeit sorgte, zumal gerade in Westfalen sehr viele Bäcker, Bühnenbauer und Beleuchter arbeitslos waren. So war es kein Wunder, daß die Stimmung im Saal eher gedrückt war - aber meine auch. Plötzlich, während der Vorstellung, passierte etwas. Der Arbeitsminister lachte und amüsierte sich. Wie ansteckend der Applaus eines Arbeitsministers sein kann! Der Auftritt lief auf einmal wie geschmiert, als gebe es ab sofort einen schwarzen Vorhang und volles Bühnenlicht. Die Stimmung wurde sogar so gut, daß ich dachte, der Arbeitsminister mag als Arbeitsminister sein wie er will, meinen Arbeitsplatz hatte er auf jeden Fall geriestert. Tatsächlich wurde ich nachher gefragt, ob ich noch einmal für die SPD spielen würde, aber da sagte ich natürlich: „Nein.“
 
V
 
In der Notfallstation am Bahnhof hingen an der Wand zwei Nägel. Ich saß davor mit einer häßlichen Platzwunde und schaute auf die leere Stelle. Weil an diesen Nägeln kein Bild hing, mußte ich mir selbst vorstellen, welches Motiv diesen Platz wohl verschönert hätte. Ich stellte mir vor, daß dort ein Bild von meinem Freund hängen würde, wie er mit anderen Gläubigen am Brotbacken war, und beschloß, nun ein Brot zu kaufen, aber wirklich nur eins.
 
 
 
 © Erwin Grosche – aus: „Warmduscher-Report“
Veröffentlichung in dem Musenblättern mit freundlicher Genehmigung