Henri und Mathilde

... das andere Paar

von Konrad Beikircher

Heinrich Heine
Henri und Mathilde
das andere Paar
 
Eine Verbeugung von Konrad Beikircher
vor Karin Hempel-Soos (1939-2009)
 
 
Was haben sie sich die Finger in Fransen geschrieben über das, was war, aber nicht sein durfte. Wie? Ein deutscher Dichter und eine Analphabetin? Wo soll denn da Liebe sein, wenn sie noch nicht mal seine Gedichte lesen kann? Liebe, die hehre deutsche Liebe, hat körperlos zu sein, durchgeistigt wie die Archive der germanistischen Seminare, in denen Erguß ein Gedicht meint und Höhepunkt die Hebung im Versmaß.
Wie Terrier haben sich Generationen von Germanisten auf Heines Frau Mathilde gestürzt und sie mit denselben Waffen abzuschießen versucht, die sie schon auf Christiane Vulpius gerichtet hatten.
Frauen, die im Bildungs-Nichts leben, können geistige Titanen wie Goethe oder Heine doch allerhöchstens als Öffnung interessiert haben, wenns in dunklen Stunden mal unters Manuskript tropft! Unvorstellbar, daß da Liebe sein kann!
Niedlich, wie sich diese Generation von Germanisten gegen die Anfechtungen, die aus dem Leben eines Goethe oder eines Heine sprießen, gewehrt hat, drollig, wie sie ihre Professorengattinnen gegen die Mathildes und Christianes geschützt hat, indem sie diese zur Fußnote degradierte, um nicht zum Professor Unrat zu werden, heftig, wie sie durch Verschweigen das Bild der Dichter sich stimmig zu machen versuchte!
Eine Grisette, eine Kokotte hat sich Heine da gehalten und nur der Anständigkeit seines - dann doch wohl deutschen - Charakters hätte sie es zu verdanken, daß er sie in den Stand der Ehefrau hob. Für diese Biographen füllen die Christianes und Mathildes das Kapitel „Niederungen“, was anderes läßt die bankrotte Archivarphantasie wohl nicht zu. Eigenartig.
Dabei weist schon Carles Baudelaire auf einen ganz anderen Aspekt solcher Lieben hin:
„Weil die echten Literaten zuweilen einen Abscheu vor der Literatur haben, lasse ich für diese freien und stolzen Seelen, diese ermüdeten Gehirne, die stets das Bedürfnis haben, am siebenten Tag der Ruhe zu pflegen, nur zwei Frauenarten als möglich gelten: die Dirne oder den weiblichen Dummkopf, die Liebe oder den Suppentopf. - Brüder, brauche ich Gründe dafür auszuführen?“
 
Nun aber Mathilde. Das heißt: Crescentia Eugenie Mirat. Dieser Name schien Heine so unaussprechlich, daß er sie Mathilde nannte. In Vinot im Departement Seine-et-Marne, östlich von Paris, kommt sie als nicht eheliches Kind einer Bäuerin und eines reichen Galans, dem die Zeugung eines Kindes Fürsorge genug war, zur Welt. Wie alle armen Dorfmädchen hatte sie Kühe zu hüten und dergleichen mehr bis die Mutter sie, vielleicht um einer vagen besseren Zukunft willen, nach Paris zu Tante Maurel schickte, die in der Nähe des Justizpalastes einen Schuhladen hatte. So wurde Crescentia zur Schuhverkäuferin, einem der - wenn man den o.a. Biographen Glauben schenken will - frivolsten Berufe im damaligen Paris. Man nannte die Näherinnen und Putzmacherinnen, also auch Crescentia, Grisettes, wegen der, sicher schicken, grauen Wollkleider, die sie trugen, und weil das alles in Paris war, setzt der Brockhaus heute noch dazu, daß es sich dabei um leichtlebige junge Mädchen handelte. Sachs-Villatte schreibt, daß eine Grisette ein Mädchen ist, das „von ihrer Hände Arbeit lebt und sich abends und sonntags mit ihrem Liebhaber nach Möglichkeit amüsiert“. No, wenn da nicht der Sünde Tür und Tor geöffnet ist...!
Heine amüsiert sich in Paris auch nach Möglichkeit abends und sonntags mit jeweiligen Liebhaberinnen, was wunder, wenn er dabei Crescentia kennenlernt.
 
Crescentia also ist es. Und wird es bis zum Lebensende bleiben. Bis zu beider Lebensende. Sie blieb dem treu, was sie ihrem Heinrich im Dezember 1836 sagte, als sie in die erste gemeinsame Wohnung zogen:
„Ich werde Dich nie verlassen, Du magst mich lieben oder nicht, Du magst mich heiraten oder nicht, Du magst mich mißhandeln oder nicht...Von dem Moment an, da ich bereit war, mit Dir zusammenzuleben, sagte ich mir: Dieser und kein anderer! Und für immer, immer, immer!“
Obwohl Heine eine ganz andere Vorstellung von Ehe hatte:
 
Nein, seine Verse konnte sie nicht loben, sie verstand sie nicht, sie wußte gerade mal, daß er welche schrieb.
Und ganz Paris schmunzelte über diese Mesalliance des Dichters mit der sprachlosen Schönen, der Heine erst im Laufe der Jahre Lesen und Schreiben beibringen ließ.
Vielleicht ob des Gespötts von tout Paris, vielleicht um Distanz zu gewinnen, flieht er ein paar Monate in die Aristokratenkreise, zur Gräfin Belgiojoso, um dann, 1836, sehr entschieden und ebenfalls für immer zu seiner Mathilde, wie er sie jetzt nannte, zurückzukehren.
Es wird also eine Ehe daraus. Zunächst ohne Trauschein, später - Heine befürchtete, angesichts eines Duells, sterben zu müssen und wollte seine Schöne nicht ohne Sicherheiten zurücklassen - dann mit Trauschein, und zwar einem katholischen!
Es war die „Ehe zweier Kinder“, wie Ludwig Marcuse schreibt, glücklich in ihrem Gezänk, zärtlich in ihrer Eifersucht und ohne Scheu vor Fremden. Seine Eifersucht ist wunderbar. Wie stolz muß sie - insgeheim - sein Mathildchen gemacht haben…
 
Vor sechs Jahren war das mein Anteil an einem Text über Heinrich Heine, zu dem die 2009 verstorbene Karin Hempel-Soos den weit aufschluß- und kenntnisreicheren Teil beigetragen hat. Ich habe ihn nicht mehr. Dennoch möchte ich Ihnen das Fragment nicht vorenthalten, zu dem mir die liebe Kollegin etliches ins Ohr geflüstert hat. Sie bleibt unvergessen.
 
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher


 ©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker