Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
 Über Ängste
 
25. Juni:
Ich kannte einen Mann, der war stolz darauf, daß man vor ihm Angst hatte. Ich wunderte mich immer, daß es ihn reizte, gehaßt zu werden. Wie war er gut gelaunt, wenn man vor ihm Angst hatte. Manchmal klatschte er sich dann selbst Applaus zu, verneigte sich übertrieben und lachte unanständig laut, als wäre er ein verkannter Sympathieträger. Das machte es auch nicht besser. Ich hatte eine solche Angst vor ihm, daß es mich nicht gewundert hätte, wenn ich mal durch ihn sterben würde.

27. Juni: An der Wänden in jedem Raum hing ein Telefon. Eine schmucklose Attrappe, die nicht zum Telefonieren geeignet war. Betete man hier einen neuen Gott an, der durch ein Telefon symbolisiert wurde? Oder wählten die Christen nun das Symbol des Telefons, um Gott nahe zu sein? Konnte es sein, daß in meiner Abwesenheit das Kreuz ausgedient hatte? Unterstützte nun Telekom das Christentum? Alles war möglich. Menschen schrecken vor nichts zurück. Und was macht Gott? Gott lacht. 

28. Juni: Es ist gut, daß Voyeure hauptsächlich an meinem Unterleib interessiert sind. Angst hätte ich davor, wenn sie mein Gesicht beobachten wollten. Manche wollen auch das Herz sehen, aber das ist wieder eine andere Geschichte.  
 
 
 
 
 
© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker