Der Bonner

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Der Bonner
 
Der Bonner? Also da muß ich erstmal janz rheinisch sagen: zementens (locker übersetzt: Moment mal)! Gibt es den Bonner überhaupt?
Mag die Frage, ob es den ... gibt, für die meisten Städte eindeutig beantwortbar sein, im Fall Bonn ist sie es nicht. Ähnlich wie bei dem New Yorker kommt es auf den Blickwinkel an.
Von Köln aus gesehen gibt es da vor den Toren der Stadt ein Dorf, dessen Bewohner über das zeitweilige Glück, Hauptstädter sein zu dürfen, größenwahnsinnig geworden sind und vergessen haben, daß sie immer schon im Schatten (und bestenfalls auch: im Schutz) Kölns gelebt haben.
Von Berlin aus gesehen ist der Bonner ein abgefeimter Taktiker, der auf krummen Wegen etwas zum Besitz erklären wollte, das ihm nur geliehen war, ein rheinischer Mafioso, der selbst vor der Erpressung von Schutzgeld nicht zurückschreckt.
Vom Kanzleramt aus gesehen ist der Bonner ein Untertan, dessen Loyalität höchstens bis zum nächsten Kölsch reicht und auch das nur, wenn klar ist, daß diese Runde nicht ‘auf ihn geht’.
Für die Medien ist er gegebenfalls Lokalkolorit, für die Opernleute Abo-Provinzler und die Karnevalisten fahren sowieso nach Köln.
Wer zum Teufel ist also der Bonner?
Fragt man ihn selber, sagt er: „Wie: Bonner? Ich bin Muffendorfer!“. Oder Endenicher, oder Poppelsdorfer, Kessenicher oder Beueler. Sie alle sind Bönnsche, aber Bonner ist keiner von ihnen.
Den Bonner gibt es also gar nicht. Die virtuelle Bundeshauptstadt Bonn hat seinerzeit virtuelle Wesen erzeugt (weil eine Stadt nun mal Eingeborene haben muß), die nie existiert haben und die seit der Berlin-Entscheidung wieder verschwunden sind. Und das ist gut so.
Endlich kann Bonn wieder es selbst sein. Nur: was ist es selbst?
Zunächst mal ein Haufen verstreuter Viertel, mehr oder weniger malerisch in der Köln-Bonner Bucht stadtähnlich gelegen, links und rechts des Rheins. Diese Viertel haben Bewohner, die sich im Grunde für die feinere Ausgabe des Kölners halten. Die feinen Leute wohnen immer in den Außenbezirken. Daß das die Kölner noch nie gemerkt haben, fuchst die feinen Leute fast noch mehr als der Umzug nach Berlin. Gnädig haben sie einem Verkehrsverbund mit Köln zugestimmt, obwohl sie grundsätzlich nur mit dem Auto nach Köln fahren. Wer in der Rheinufer- oder Vorgebirgsbahn Richtung Köln sitzt, ist entweder Kölner, der nach Hause muß, Kappesbuur, der es eilig hat und deshalb nicht mit dem Traktor fährt oder Schüler.
Die Einwohner sind darüberhinaus natürlich Rheinländer. Gnadenlos. Das ist so: ein Kessenicher ist ein Rheinländer, der in einer Stadt lebt, die Bonn heißt. Das ist das Rezept, mit dem die Bönnsche den Status Bundeshauptstadt und den Wasserkopf Regierungsviertel überlebt haben.
Dem Grundgesetz haben sie ihr eigenes rheinisches Grundgesetz entgegengehalten, das aus fünf Artikeln besteht, die da lauten:
Artikel 1:
Et es wie’t es (es ist wie es ist).
Artikel 2:
Et kütt wie’t kütt (wie’s kommt, kommt’s).
Artikel 3:
Et hätt noch immer jot jejange (es ist noch immer gut gegangen).
Artikel 4:
Wat fott es es fott (was weg ist, ist weg oder: Reisende soll man nicht aufhalten).
Artikel 4a:
Kenne mr nit, bruche mr nit, fott domet (kennen wir nicht, brauchen wir nicht, weg damit).
Artikel 5:
Wat soll dä Quatsch?! (so what?!).
 
So haben de Bönnsche alle überlebt: den Römer, der die Rheinaue kurzfristig zu entsumpfen versuchte (daher der Schürmann-Bau...!), die Wittelsbacher (denen sie für Sprengversuche die ungeliebte Godesburg zur Verfügung stellten), Lord Byron (der in seiner Attika-Begeisterung die Ruine der Godesburg für die Akropolis hielt, bloß weil im ‘Ännchen’ damals ein Tsatsiki-Büdchen war) und die englischen Rheintouristen, die Rheinwein-Begeisterten E.M. Arndt und Freiligrath (denen sie Kölsch entgegenhielten und damit der Nationaltümelei den Gefühlsseparatismus) und selbst Adenauer, dem sie nicht verziehen, daß er Kölner war, dessen Satz „Hinter Deutz beginnt Sibirien“ sie jedoch gerne auf Beuel ummünzten. Kam es ganz gefährlich, haben sie durchlässig reagiert: die ungeliebte preußische Verwaltung und ihre schroffen Anordnungen scheiterten am „Ob dat jeiht? Kann sin - müsse mr gucken, ne!“, Hitler und seine spärlichen Besuche wurden nach Bad Godesberg durchgeschleust, die störenden Staatsbesuche der Bonner Republik auf den Petersberg expediert und selbst die Bonner Uni hat mit einem einfachen Entschuldigungsschreiben an Thomas Mann (dem sie in den dreißiger Jahren die Ehrendoktorwürde aberkannt hatte) die Dinge rheinisch wieder ins Lot gebracht.
Immer noch bewahren die Bonner Eigenbrötler ihre Größe, indem sie sich überschaubar halten, was man nur kann, wenn man sich abgrenzt. Köln? Och jo, die koche och nur met Wasser. Berlin? Kannse verjesse: kei Sibbejebirje, keine Rhing, kei Kölsch - na also. Umzug? Loß se doch - wat mr han, dat hammer, un dä Reß - müsse mr gucken.
Die Republik ist abgehakt. Sie hat „den Bonner“ verwöhnt, entsprechend hat er eine zeitlang ob des verlorenen Schnullers gegreint, aber jetzt besinnt er sich eines Besseren.
So da wäre: Kultur!
Beethoven? Klar! UNS Beethoven - och eine Bönnsche. Und weil es den Bonner nicht gibt, macht jeder sein kleines Beethovenfest. Gleich vier waren es jüngst. Und es ist nicht abzusehen, daß es demnächst weniger werden. Eine dezentralisierte Stadt feiert eben so: nie wirklich groß aber überall irjendswie doch.
Robert Schumann? Sicher! Jot, is schwer, wenn einer Sachse ist, aber: dat Häuschen in Endenich (die ehemalige Privatklinik, in der Schumann starb) wird jede Woch jefegt und dat Leergut om Grab bringen Woch für Woch die Penner weg. Wie: Musikverlag? Bierverlag - steh ich mich besser bei!
Macke? Klar! Die Bilder sin em Keller vom Kunstmuseum, damit die Leute nicht zuviel Farbe weggucken. Und das Fresko im Macke-Haus ist vor ein paar Jahren nach Münster verkauft worden, weil: „Jo weiße wat dat koß, dat janze Dingen ze restauriere?“. Ebends.
Das Max-Reger-Archiv ist glücklicherweise nach Karlsruhe umgezogen, weil: „Dä wor jo suwiesu nit von he“, der Lennè hat sein Büstchen am Rhein bekommen und war sonst noch wer? Wüßt ich nit!
So wird die Liebe zu den Bonner Größen überschaubar gehalten, der Rheinländer mag keinen Bohei.
Sie sind als Kessenicher stolz auf Kessenich, als Bönnsche stolz den Bonner Markt und die vielen, vielen Straßencafès und als Rheinländer stolz auf den Kölner Dom. Und wer wirklich zu den Bonnern gehört, ist stolz auf eine Statistik, die sicher schon seit Jahrhunderten existiert: daß es in Wahrheit allerhöchstens 16 echte Bonner Familien gebe.
Und da bin ich bei dem, was schön ist:
Bonn ist klein genug, um alle zu kennen und groß genug, um ihnen aus dem Weg gehen zu können. Entsprechend ist der Stolz der Bönnschen: nie aufdringlich aber immer exklusiv. Schnell erkennt er fremde Leistungen an und überhäuft sie mit Ehrungen und Orden, wer aber ‘eine Bönnsche’ ist, der muß sich das erst verdienen, aber hallo! So kursiert die Geschichte, daß noch im ausgehenden 19. Jahrhundert in der Kneipe neben Beethovens Geburtshaus ab und an das Gespräch auf den großen Sohn Bonns gekommen sei: „Sarens, dä Ludwig, dä Kleen do, dä Beethoven - wat mag aus dem jeworden sein?“. Wenn ich sehe, wie die ungehobenen Schätze im Beethoven-Archiv vor sich hin dämmern, werde ich den Eindruck nicht los, daß er sich das immer noch verdienen muß.
Andererseits:
es dat nit schön? Diese köstliche Mischung aus Provinzialität (Sitzung im Stadtrat, es geht um die Oper, ein gewichtiger Politiker erhebt sich und ruft: „Drieß Üch jet op die Oper, ich bruchen ‘nen Kanal!“ - sch...was auf die Oper, ich brauche einen Kanal) und exhauptstädtischer Weltläufigkeit (diese rheinische Leichtigkeit war 40 Jahre lang der Kredit der Bundesrepublik im Ausland - niemand traute und traut Bonn ein erneutes ‘Deutschland erwache!’ zu) schlägt sich im Sosein der Bönnschen nieder: sie sind nicht so prol wie die Berliner, nicht so protzig wie die Düsseldorfer und nicht so brachial wie die Kölner. Wen stört es da, daß gehässige Münder behaupten: „Bonn? Um Gottes willen! Entweder sind die Schranken zu oder es ist am regnen oder die Dame ist in Köln“? Das war ja immer das Feine an Bonn: es schenkt Dir Zeit, wenn die Schranken zu sind, es schenkt Dir Besinnlichkeit, wenn es regnet und es schenkt Dir Ruhe, wenn die Dame in Köln ist. So es dat. Und wem das noch zu hektisch ist, für den gilt der alte Bonner Ehespruch:
„Wenn einer von uns zwei stirbt, zieh ich nach Godesberg!“

Ich, als gebürtiger Südtiroler ohnehin an das Extreme gewöhnt, habe in Bonn meine Heimat gefunden, weil ich ohne Widersprüchlichkeiten nicht mehr leben mag. La bönnsche vita ist mediterran genug, um Neapel nicht vermissen zu müssen, hat aber doch soviel Zuverlässigkeit, daß ich nicht jeden Tag zur Bank gehen muß, um ens ze luure, ob ming Jeld noch do es. Und wo sonst hätte ich das tägliche Vergnügen, auf der Folie der großen Politik die Feinheiten lokalpolitischer Posseninszenierungen so unmittelbar genießen zu können?
Und falls das rechtsrheinisch-preußische Getue dem frankophilen bönnschen Herzen zu bedrohlich wird, tuen mir der Rhein höherlegen und der Fall hätt sich!
 
 
In diesem Sinne!
Ihr
Konrad Beikircher
 
 

 
©  2013 Konrad Beikircher für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker