Von der Weisheit der Bäcker

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Von der Weisheit der Bäcker
 
Alte Bäcker haben Teighände und Augen aus Rosinen. Sie haben neun Finger und Ohren aus Blätterteig mit einer schwarzen Schokoladenspitze.
  Ihre Tränen ergießen sich salzig, durchmengt mit Hefe, Muskat und Mehl.
Ihre natürlichen Feinde sind die Hornissen, die der Süße ihrer Pflaumenbleche nur noch die Süße ihres Blutes vorziehen, bevor es resistent wird und Stiche schluckt wie einen warmen Amerikaner.
   Ihre modernen Feinde heißen ALDI, Plus und Minipreis (und wie sie sich verbergen mögen unter einem Namen groß wie Sahne), diese Supermärkte mit den Plastiktüten, in denen sie Brote gegen ihren Willen horten für einsfünfzig und zweiachtzig. Diese alten Bäcker (in einer Reihe zu nennen mit Schuster, Schneider, Müller und dem Schmied), diese schweigsamen Morgendiener, die den Anbruch des Tages als Backzeit nutzen, denken an Regentagen an Puddingteilchen, die als zwei Pfützenweiher genau nebeneinander liegen und in der Momentaufnahme eines niedergefallenen Tropfens Wasserringe werfen, die erstarren, genau in der Bewegung und genau mit dieser Spannung nach außen hin, als wäre diese Pfütze kurz vor dem Überlaufen wie der Pudding in der Acht vom Puddingteilchen, das in dem Einzellabyrinth der Rosinenschnecke seine Entsprechung findet.
   Der erste Schnee erinnert den weißen Gesellen an herabrieselnden Puderzucker aus dem himmlischen Puderzuckersieb auf den ahnungslosen Bienenstich (dieser Namensopfergabe an all die unersättlichen Schwadenstürmer und Wadenstecher).
Beim Drehen der Berliner in Zucker schaut er den Kindern zu, die sich im Straßengraben im brusthohen Schnee wälzen, bevor er  die possierlichen Glanzstücke aufspießt und ihnen den süßen Marmeladenstoß versetzt und sie verwundbar macht für all die Leckermäuler und Schleckerzungen.
   Die Schwere des reifen Frühlings erwartet er - älter werdend - wie der junge Teig die Teigruhe, wo er sich mit Leben füllt und reift und eine neue Haut bekommt, wie der Mond, wie der Tag, wie alles Leben.
   Wie durchschaubar erscheint der herbstliche Nebel vor dem Abspritzen des heißen Brotes, wo sich der Tag für Sekunden im undurchlässigen Wasserdampf verbirgt.
   Der frühlingshafte Windbeutel (dem man den Namen einer Schmetterlingsart zugestehen sollte, vielleicht den einer tropischen), der sommerliche Zwetschgenkuchen, der spätherbstliche Pfeifenmann und all die winterlichen Printen und Spekulatii - alle vier Jahreszeiten finden sich wieder als Düfte und Stimmungen in den Backstuben der alten Backdruiden.
 
Für meinen Vater