Gorki-Expreß auf Rollschuhen

Sebastian Nübling inszenierte Gorkis "Die Letzten" am Schauspiel Köln

von Andreas Rehnolt

Gorki-Expreß auf Rollschuhen
am Schauspiel Köln
 
Sebastian Nübling inszenierte Gorkis "Die Letzten"
- letztes Stück der Beier-Intendanz - mit viel Klischees
als mitleidslose Komödie
 

Was bei Eisenbahnen seit 25 Jahren gilt, muß auch für Maxim Gorki gelten. So hat vermutlich Sebastian Nübling gedacht, der Gorkis Stück "Die Letzten" am Schauspielhaus Köln jetzt als eine Art "Gorki-Expreß" auf die Bühne brachte. Unaufhörlich rollt das - wie immer hervorragende und doch nicht über die Typ-Klischees hinausreichende - Ensemble über die schier unendlichen Weiten der provisorischen Spielstätte, der Expo-Halle. Nicht soweit die Füße tragen, soweit die Rollschuh rollen, heißt es bei dieser allerletzten Inszenierung der Intendanz von Karin Beier.
 
Auf den ersten Blick wirken die Mitglieder der Familie um den korrupten und brutalen früheren Polizeichef Kolomizew lebendig, quirlig und agil. Tatsächlich sind sie allesamt schon seit langem eingerostet, verkrustet und erstarrt. "Die Letzten" schrieb Gorki rund zehn Jahre vor der russischen Revolution. Eine Familie, die heruntergekommen ist, sich gegenseitig belügt, mißtrauisch beäugt und nur noch durch das Geld von Onkel Jakow die zwielichtigen Existenzen aufrecht erhalten kann.
Ganz stark erinnert diese Prekariats-Familie bei Nübling an Karin Beiers grandiose Inszenierung "Die Schmutzigen, die Häßlichen und die Gemeinen". Was damals im deutschen Sozialhilfe- und Hartz-IV-Milieu angesiedelt war, tummelt sich jetzt in diesem Gorki-Stück im Endzeit-Zaristischen Rußland. Auch viele der Schauspieler spielten damals wie jetzt die allesamt gräßlichen Figuren. Das Bühnenbild von Muriel Gerstner - ein riesiger, in Tortenstücke geschnittener rot-runder Divans, eine Wand mit wechselnden historischen Texten, zwei Kammern, die Einblicke verwehren und schließlich eine Dia-Wand mit ebenfalls wechselnden Bildern aus dem Eisenstein-Revolutionsfim "Panzerkreuzer Potemkin", in die die Kölner Akteure hin und wieder eintauchen und für Sekunden zu erstarren scheinen.
 
Markus John brilliert als schmieriger, fetter Ex-Polizeichef, Julia Wieninger als seine folkloristisch ausstaffierte Frau Sofja verschließt die Augen vor den Familienproblemen, die Kinder Alexander (Tim Porath), Nadeshda (Anja Lais), Pjotr (Jan-Peter Kampfwirth), Wera (Marie Rosa Tietjen) und die boshafte, bucklige Ljubow (Lina Beckmann) tuen in dieser knapp zweieinhalbstündigen Inszenierung alles, um an Geld zu kommen - bei Nadeshda geht es sogar bis hin zur inzestuösen Handlung mit dem eigenen Vater. Die Randfiguren bleiben ehr blaß und überflüssig.
Was sich einprägt, ist das Boshafte, das Geldgierige und das Verlogene der Protagonisten, die immer andere, nie sich selbst und das eigene Verhalten verantwortlich machen für die desolate Situation, in der sie stecken. Am Ende dieses Stücks, in dem fast nie gesprochen, sondern vor allem geschrieen wird, bleibt der gutmütige und stets von allen ausgenutzte Jakow auf der Strecke. Eine neue Karriere des widerlichen Iwan steht ins Haus - er soll Richter in einer Kleinstadt werden und an den Verhältnissen der Familie wird sich vorhersehbar nichts ändern.
 
Nübling braucht in dieser - pausenlosen - Inszenierung entschieden zu lange, um an diesen Endpunkt zu kommen. Der Applaus bei der Premiere am 25. Mai war dennoch lang - wenngleich nicht euphorisch. Immerhin ist mit diesem Stück auch der Abschied des Kölner Publikums von einer ganzen Reihe grandioser Darsteller verbunden, die mehrheitlich mit Karin Beier ins Deutsche Schauspielhaus nach Hamburg wechseln.
 
Die nächsten Termine: 5.,6.,7.,8.,9. Juni.
 
Weitere Informationen: http://www.buehnenkoeln.de/