Weltuntergang

Ein Mozzarella-Experiment

von Erwin Grosche

Foto © gänseblümchen / pixelio.de

Weltuntergang
Ein Mozzarella-Experiment
 
In diesem Jahr soll die Welt untergehen. Es gibt Voraussagen, die so seriös sind wie die Wiedergutmachungsbeteuerungen meiner ehemaligen Frau, wenn sie sich mit meinem Steuerberater vergnügt hatte. Mein Steuerberater ist übrigens der einzige Mann der Welt, dessen Weltuntergangsszenarien ich ernst nehme. Machen wir uns nichts vor. Wir tragen das Ende in uns. Schon unsere Geburt ist nur der Anfang von allem. Manchmal erscheint das Ende der Welt so nah, daß Tausende sofort ihren Sommerurlaub stornieren. Ein Arbeitskollege hatte in dieser Stimmung unserem Chef gesagt, daß er ihn für einen Aasgeier und Menschenausnützer halten würde. Er wurde sofort entlassen. Aber hatte er nicht recht gehabt mit seiner Vorahnung? Das nächste Weltende wird sofort vorausgesagt nach dem Nichteintreffen der letzten Weltuntergangsprognose. Weltuntergangstimmungen gehören zu uns wie der Fußpilz (und sind auch genau so schwer zu bekämpfen). Auch ich ließ mich mal zu einer Endzeitstimmung hinreißen, als meine Ex mich mit einem asiatischen Linsengericht überraschte und ich meinem Ende nur entging, indem ich es aufaß. Immer und immer wieder wird das Ende der Welt ausgerufen, als hätten wir es nicht schon schwer genug, die Zeit davor sinnvoll auszufüllen. Kürzlich machte ich einen Test. Mein Mozzarella im Kühlschrank hatte eine Lebenserwartung, die genau am 17. April um 14:07 enden würde. Der italienische Käse sollte genau an dem Tag und zu dieser Stunde seinen Geist aufgeben. Ich ließ ihn im Kühlschrank stehen und wollte, daß er unter den besten Bedingungen sein Leben fristen konnte. Ungeduldig wartete ich auf den 17. April. Würde dann der Mozzarella verderben wie ein pubertierender Meßdiener? Die Spannung wuchs. Der Augenblick der Entscheidung kam. Trotz des drohenden Mozzarella-Untergangs versuchte ich, mein eigenes Leben in aller Demut und Fröhlichkeit zu verbringen. Man darf sich nicht hängen lassen. Das nützt keinem was. Dann war es soweit. Ich schnitt am 17. April, genau um 14:07, die Mozzarella-Verpackung auf und drückte das weiße Käse-Ei an mich. Wie rein und weiß es war. Ich schnitt es behutsam in kleine Scheiben. Ich schaute auf die Uhr. Es war 14:10. Nach der Vorhersage der Weisen und Käsespezialisten mußte der Käse nun am Ende sein. Ich wartete noch ein wenig. Im Angesicht des Todes spielt die Zeit keine Rolle mehr. Es war 15:05 Uhr, draußen begann es zu regnen, als ich schließlich eine Mozzarellascheibe zu mir nahm, schmeckte und entdeckte: sie mundete. Da verwandelte sich der Käse in Hoffnung. Der Mozzarella schmeckte so gut, als hätte ihn der Teufel vergessen. Er mundete wie der Kuss einer italienischen Molkereimitarbeiterin. Der Käse war dem Raunen des Untergangs nicht gefolgt. Bevor er verderben konnte, hatte er sich zu seinem Zweck erhoben und alles Unken abgestraft. Ich aß ihn ganz auf, mit Respekt und langsam. Natürlich weiß ich, daß auch die Welt untergehen wird. Sie wird uns verlassen, wie wir auch sie verlassen werden. Nach meinem Mozzarella-Experiment wußte ich aber, daß unser Untergang einen Sinn haben kann. Streben wir nach Vollendung. Nutzen wir unsere Zeit und finden wir unseren Platz. Die Welt ist ein unsicherer Ort. Wehren wir uns, unschuldig Geborene.


© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker