Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Unglückliche Menschen
(und glückliche!)

23. April: Doktor Dicht ergriff das Wort: „Unglückliche Menschen sind oft sehr häßlich und wenig unterhaltsam. Es macht keinen richtigen Spaß mit ihnen zusammen zu sein. Sie jammern dauernd und klagen herum. Ich kannte mal eine unglückliche Frau, die beschimpfte uns alle auf Englisch und nervte mit ihren kaum zu übersetzenden Flüchen.“ Wir schauten alle aus dem Fenster und ließen uns nicht von Doktor Dicht provozieren. Schließlich sagte Hedwig: „I hate me“, und lachte dabei, als wäre sie glücklich.
 
24. April: Daß ich als kleiner und schwacher Mensch zur Gewaltlosigkeit neige, kann man sich wohl denken.
 
27. April: Als ich im Park auf die Toiletten ging, schaltete sich das Licht an. Kaum war ich durch die Tür, wurde es hell. Ich wußte sofort, das macht es nur für mich. Ich entdeckte später sogar, wenn man die Hände leicht lockend vor dem Bewegungsmelder hielt und dabei „Wasser komm, du Wasser du“ flüsterte, dann sprudelte Wasser aus dem Hahn. Ich dachte nur, wie schön die Welt sein muß für Leute, die sich auskennen. Andere irren herum und haben von nichts eine Ahnung. Natürlich wird dann alles schwer und umständlich. Mir sagte mal ein Auto-Reparateur: wenn bei ihrem Wagen die Öllampe aufleuchtet, dann öffnen sie den Motorraum. lassen die Klappe wieder zufallen, dann können sie unbedenklich noch 100 Kilometer fahren. Ich meine, so was muß man doch wissen. Alles kann so einfach sein. Ich stand mal stundenlang hüpfend vor einer automatischen Eingangstür, bis ich endlich bemerkte, das war überhaupt gar keine automatische Eingangstür. Das war einfach nur eine Scheibe und zwar die Scheibe von einem Schaufenster hinter der man Klinken für Türen bewundern konnte. Nun weiß ich das. Wie leicht man Türen öffnen kann, wenn man eine Klinke hat. Wenn man in unserer Dusche heißes Wasser haben will, dann muß man dazu den Hahn über dem Becken anmachen. Alle, die das nicht wissen, müssen hart werden und kalt duschen. Ein Bekannter erzählte mir jetzt, daß man im Sommer den Keller nicht lüften soll, weil er sonst feucht wird. Man soll den Keller im Winter lüften, dann zieht die Nässe aus den Mauern und fährt draußen Schlittschuh. Ich hätte es andersrum gemacht. Ich habe als Jugendlicher mal eine Frau geküßt, die nicht geküßt werden wollte. Automatisch bekam ich eine geknallt. Jahre später habe ich noch gedacht, daß das die natürliche Reaktion auf einen Kuß wäre. Kein Wunder, daß ich mich seitdem in dieser Hinsicht sehr zurückgehalten habe, zumal mir auch mein Vater gesagt hatte, wenn man sich richtig küßt, dann muß was explodieren. Ich denke heute noch bei jedem Kuß, ich spiele mit meinem Leben. Vielleicht stimmt das sogar. Das Glück nichts mit Klugheit zu tun hat, sieht man auch daran, daß sehr kluge Menschen unglücklich sind. Zum Glück bin ich dumm geblieben und weiß von all dem nichts. Danke Gott.


© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker