Ein grausamer Spaß

Sybille Fabian inszeniert Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“

von Frank Becker

v.l.: Harald Schwaiger, Thomas Braus - Foto © Uwe Stratmann
„Klara, sag, daß das alles nur ein
Spaß, ein grausamer Spaß ist!“
 
Sybille Fabian inszeniert
Friedrich Dürrenmatts
„Der Besuch der alten Dame“
 

Inszenierung: Sybille Fabian – Bühne: Herbert Neubecker – Kostüm: Sybille Fabian / Frauke Menzinger – Dramaturgie: Oliver Held
Besetzung: Claire Zachanassian: An Kuohn – Butler, Boby: Hendrik Vogt - Der Blinde, Koby: Julia Wolff - Alfred Ill: Harald Schwaiger - Seine Frau Mathilde: Juliane Pempelfort - Seine Tochter Ottilie: Hanna Werth - Der Bürgermeister: Markus Haase - Der Pfarrer: Heisam Abbas - Der Lehrer: Marco Wohlwend - Der Polizist: Thomas Braus - Zugführer, Pfändungbeamter, Turner, Bahnvorstand, Geschäftsführer, Arzt: Silvia Munzón López
Güllener, Chor, Musiker, Polizeistaat, Die Dicklippigen, Die Debilen, Berater:  Ensemble  
 
 
Da bleiben Fragen offen
 
Schon zu Beginn bleiben viele Fragen offen, als ganze zehn Minuten lang eigentlich nichts passiert, außer daß sich unter dröhnendem Maschinengeräusch Gestalten durch einen Gazevorhang winden. Theaterprovokation dieser Machart ist überholt. Das hat Sybille Fabian wohl nicht verstanden, als sie Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ an Dürrenmatt vorbei für das Wuppertaler Schauspiel inszenierte und am Samstag als Premiere in Remscheid vor vollem Haus auf die Bühne brachte. Offen bleibt – ganz am Rande – auch die Frage, wieso zwar der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung (zuverlässig wie stets) samt Familie zur Premiere erschien, die Remscheider Oberbürgermeisterin Beate Wilding (uninteressiert wie immer) bei diesem kultur- und regionalpolitisch hochkarätigen Termin durch Abwesenheit glänzte und auch kein anderer Offizieller der Stadt Remscheid sich sehen ließ. Ein Affront.
 

Geld muß her! - v.l.: Marco Wohlwend, Harald Schwaiger, Thomas Braus, Heisam Abbas - Foto © Uwe Stratmann

Die Stadt Güllen ist bankrott. Die Stadt, jeder einzelne Bürger ist verschuldet. Vieles ist bereits gepfändet, die Einwohner und Administrativen einschließlich der Polizei (Thomas Braus) stehen im kurzen Hemd da, dem Bürgermeister (Markus Haase) ist von seiner Würde nichts als der Kummerbund geblieben, dem Pfaffen (Heisam Abbas) nur der einfachste Rock. Ihre Bewegungsfreiheit ist auf ein geringes Schrittmaß begrenzt. Nicht einmal wichtige Züge halten mehr in Güllen. Geld muß her. Dringend. Wie aber die Pleite abwenden? Da kommt den Güllener Honoratioren, die sich Ort und Einfluß teilen, ihre einstige Schulkameradin Klara Wäscher (An Kuohn) recht, die sich durch die Ehe mit einem armenischen Mogul zur Milliardärin hochgeerbt hat und nun Claire Zachanassian heißt. Sie hat ihren Besuch und Hilfe angekündigt – und ausgerechnet Alfred Ill (Harald Schwaiger) fällt die Aufgabe zu, Claire zu umgarnen. Dafür soll er den Posten des für die Pleite verantwortlichen Bürgermeisters bekommen.
 
Tanz ums goldene Kalb
 
Harsch und zynisch jedoch macht Claire, die von Anbeginn Güllen mit der Macht ihres Geldes und zerstörerischer Stimmfrequenz in Schach hält, dem Wahn ein Ende. Sie nennt ihren Preis: den Tod Alfred Ills, der sie vor Jahrzehnten geschwängert, verlassen, durch Meineid zur Hure gemacht und den Tod des gemeinsamen Kindes verschuldet hat. Dafür bietet sie Güllen 1 Milliarde Euro (bei der Uraufführung 1956 war es noch 1 Million - so inflationär hat sich die Welt entwickelt). Die lautstarke Empörung der Güllener sowie die scheinbar konsequente Ablehnung des unmoralischen Angebots wandelt sich subkutan, eine durch die Verbesserung der Garderobe sichtbar gemachte Veränderung, die auch Alfred Ill nicht entgeht. Der Tanz ums goldene Kalb hat längst begonnen. Claire wird nicht nachgeben, zu groß ist der Haß, aus dem heraus sie ihre „Gerechtigkeit“ brutal einfordert – und bekommen wird.
 

1 Milliarde für Ills Leben - v.l.: Silvia Munzón López, Juliane Pempelfort, Harald Schwaiger, Marco Wohlwend, Markus Haase,
Heisam Abbas, Thomas Braus
- Foto © Uwe Stratmann

Starke Bilder, schroffe Striche
 
Friedrich Dürrenmatt hat den Konflikt zwischen Geld und Moral, Schuld und Vergebung, Heuchelei und Aufrichtigkeit als moralische „tragische Komödie“ auf eine Spitze getrieben, bei der das Gelächter gallebitter ist. In Sybille Fabians dröhnender Inszenierung hat Gelächter im Stakkato kakophoner Klang-Kollagen, gepreßter,  zerhackter, verzögerter Sprache keine Chance. Im wuchtigen Bühnenbild von Herbert Neubecker, einem sich auf einen Erdhaufen zu verjüngenden, neonbeleuchteten  Säulengang in Speer-Architektur, wird die zigmal geliftete, fast nur noch aus Ersatzteilen bestehende „alte Dame“ mit operativ eingefrorenem Grinsen zur grotesken Nebenfigur eines Dramas, in dem die Chargen zu beängstigenden Exempeln bürgerlicher Verlogenheit aufsteigen. Die Karikaturen, die Sybille Fabian hier mit schroffen Strichen zeichnet, gehen unter die Haut, ins Mark. Ein Haufen Arschkriecher.
Thomas Braus als nach unten tretender Polizist, Markus Haase als an seinem Stuhl klebender salbadernder Bürgermeister, Marco Wohlwend als verlogener Humanist und vor allem Heisam Abbas in seiner körperlich gelebten Rolle des bigotten Pfarrers geben dem Stück den schauspielerischen Glanz, der der Inszenierung ansonsten abgeht. Silvia Munzón López zeigt in vielen kleinen Rollen (herrlich: ihr Pfändungsbeamter) Wandlungsfähigkeit, und Juliane Pempelfort holt aus der farblos inszenierten Ehefrau Mathilde Alfred Ills doch noch Farbe heraus. Was inhaltlich in qualvoll künstlich gedehnten zweieinviertel Stunden dadurch bisweilen langweilig auf die Bühne gebracht wurde, hätte in einer gerafften Aufführung eventuell überzeugen können.
Sybille Fabian hat ihren bisherigen, teils auch kontrovers diskutierten Arbeiten für die Wuppertaler Bühnen (Kafka: „Der Prozeß“, Wedekind: „Lulu“, Molnar: „Liliom“) mit der ihr eigenen wuchtigen Bildsprache eine neuerlich das Bild vom bürgerlichen Theater umstürzende Inszenierung hinzugefügt. Das kam nicht bei allen Zuschauern der Premiere gut an, viele, sehr viele verließen die Aufführung vor der Zeit.
 

Es geht aufwärts! -  vorne v.l.: Thomas Braus, Silvia Munzón López, Heisam Abbas, Juliane Pempelfort, Hanna Werth,
An Kuohn  - Foto © Uwe Stratmann

Ein grausamer Spaß
 
„Klara, sag, daß das alles nur ein Spaß, ein grausamer Spaß ist!“ Diesen verzweifelten Satz Alfred Ills mochte mancher der tapfer ausharrenden Zuschauer noch im Ohr haben, als er nach zweieinviertel quälenden Stunden ohne Pause den Saal des Teo Otto Theaters in Remscheid verließ. Man muß Sybille Fabians „Besuch der alten Dame“ nicht mögen, aber man sollte ihn vielleicht doch gesehen haben. Wenn auch nur als abschreckendes Beispiel für mißverstandenes Theater.
 
Premiere war am Samstag, 6. April 2013, 19.30 Uhr als Gastspiel der Wuppertaler Bühnen vor nahezu ausverkauftem Haus im Remscheider Teo Otto Theater.
Die Wuppertaler Premiere wird am 17. Mai, 19.30 Uhr im Opernhaus zu sehen sein.
 
Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de