Düstere Bergwelten

Evelyn Grill - "Der Sohn des Knochenzählers"

von Jürgen Kasten

Düstere Bergwelten
 
Der Sohn des Knochenzählers
Evelyn Grill
 
Evelyn Grill, 1942 in Österreich geboren, lebt in Freiburg im Breisgau. Gleichwohl spielen ihre mehrfach ausgezeichneten Romane in den Bergen Österreichs. Von einer heilen Bergidylle ist dort allerdings nicht viel zu verspüren. Es herrschen Düsternis und Kälte, die sich über die Menschen legen. Eine ungezwungene Fröhlichkeit kennen ihre Protagonisten nicht. Es sind bemitleidenswerte Gestalten, gefangen in ihrer engen Gedankenwelt, unfähig auszubrechen.
Wenn schon die Autorin kein Mitleid mit ihrem Personal hat, so muß es wenigstens der Leser haben. Man kann nicht anders. Atemlos folgt man ihrer stringenten Erzählweise, fasziniert davon, wie lakonisch sie daherkommt und doch Satz für Satz Spannung aufbaut.
 
Man spürt, ein Unheil bahnt sich an. Doch zunächst kommen „nur“ Hamster zu Tode.  Einen nach dem anderen schmeißt Titus sie in die abgedeckte Zisterne hinter dem Haus. Aus Gedankenlosigkeit hat er sie verhungern oder verdursten lassen, vielleicht auch, weil sie ihm nichts bedeuten. Trotzdem schafft er sich immer wieder neue an. Außer Connie, einem Schulfreund, steht ihm sonst kein Lebewesen nahe. Mit Ausnahme von Lea, der Ziehtochter seiner Eltern. Zu ihr besteht aber nur telefonischer Kontakt. Sie wohnt weit weg. Titus ist der Sohn des Knochenzählers. Die Dorfbewohner nennen ihn so, weil er als Archäologe auf altertümliche Skelette spezialisiert ist.
Titus war der schönste Junge im Dorf und ein begabter Schüler. Nach dem Abitur ein Studium zu beginnen, kann er sich jedoch nicht entschließen. Er vergräbt sich in seinem Zimmer, trinkt mehr Bier, als ihm gut tut und ist mit den Gedanken bei seiner wunderschönen Mutter, die sein Vater seinerzeit nach einer Studienreise aus Italien mitbrachte. Seit geraumer Zeit ist die Mutter verschwunden, abgehauen mit einem Liebhaber, raunen die Dörfler. Verschwunden sind auch Titus´ Elan und Fröhlichkeit, seit ein Brandunglück sein schönes Gesicht verunzierte.
Um endlich von seinem Vater wegzukommen, mit dem er ansonsten nur die nötigsten Worte wechselt, bewirbt er sich um die freigewordene Stelle als Totengräber. Als Zanotti, ein Fremder, ein Schauspieler und Künstler, im Dorf auftaucht, bekommt der die Stelle, denn er will aus dem Friedhof einen „Kunstort“ machen, der die Touristen anziehen soll. Titus wird sein Assistent.
 
Zu keiner Zeit ahnt der Leser, was noch passieren wird oder schon passiert war. Man taucht ein in die dunkle Welt der Dorfbewohner in ihrem engen Tal, das mit dem beginnenden Herbst kaum noch die Sonne zu sehen bekommt.
Ein starker Roman, der durchweg fesselt. Man leidet mit den tragischen Figuren dieser Geschichte, will genau wie sie endlich wissen, welches Geheimnis die schöne Benita, Titus Mutter, umgibt. Die Autorin löst es erst auf den letzten Seiten auf. Evelyn Grill ist eine herausragende Erzählerin – unbedingt lesen.
 
Evelyn Grill - Der Sohn des Knochenzählers
© 2013 Residenz Verlag, Gebunden mit Schutzumschlag, 136 Seiten
ISBN: 978-3-7017-1605-0
€ 19,90, sFr. 26,90
 
Weitere Informationen: www.residenzverlag.at