Rhein und wahr

Aus dem Tagebuch

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker
Kommen und gehen
und
die Würde des Unbekannten

10. März: Letzten Monat habe ich zu meinem Briefträger gesagt: „Sagen sie mal Herr Briefträger, sie mit ihrem gelben Fahrrad und ihrer schwarzen Umhängetasche - stecken da diese kleinen Briefe in kleine Schlitzchen, kommen sie sich nicht komisch vor, sie sind doch ein Mann?“ Und da hat er mir gesagt: „Indem ich dem Geheimen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen und dem Bekannten die Würde des Unbekannten und dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“ Da habe ich zu ihm gesagt: „Also genau so mache ich es auch immer.“ Wunderte mich aber nicht mehr, daß die Post in einer tiefen Krise steckte.
DHL - Dauert halt länger.
 
12. März: Eigentlich wollte ich eine Entschuldigung von der Frau haben, die nie zurückgewinkt hat. Ich war ein wenig verliebt in meine Nachbarin, die Frau von gegenüber. Manchmal standen wir abends an unseren Fenstern und sahen uns an. Ich stand an meinem Fenster und sie an ihrem. Einmal traute ich mich und winkte ihr zu, aber sie winkte nicht zurück. Das fand ich so grob. Ich wollte doch nur freundlich sein. Lange habe ich überlegt, ob ich von dieser Frau auch eine Entschuldigung verlangen sollte. Später hörte ich dann, daß sie blind ist.
 
 
15. März: Der Mann kam immer näher. Ich entdeckte ihn schon, da dachte er noch, man sähe ihn nicht. Er ging dann sehr schnell, als wenn er sich beobachtet glaubte. Er wollte so tun, als wäre er guter Dinge. Schade, dachte ich, bald wird er hier sein und will gelobt werden. Ach ginge er doch wieder und hinterließe keine Spuren. Es ist beeindruckend, einen Mann kommen und gehen zu sehen, lästig ist nur sein Bleiben.
 

© 2013 Erwin Grosche für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker