Zeichen der Zeit

Fotografien von Eberhard Vogler - kommentiert

von Andreas Bialas

Foto © Eberhard Vogler
 
Zeichen der Zeit

Zu Fotografien von Eberhard Vogler 


von Andreas Bialas
 
Venedig – Lanzarote – Wuppertal – sie bemerken die Steigerung des Entzückens – das sind die Namen der Bilder!
Venedig – Lanzarote – Wuppertal – Und dann stellen sie sich vor die Bilder und sagen mal „Wie toll getroffen!“ Und dann fragen Sie sich mal: „Und warum?“
Venedig – Lanzarote – Wuppertal – also da könnte man auch andere Bilder, Fotos machen – so z.B. wie in jedem guten Verwaltungsflur der Stadt mit seinen Bildern des letzten Urlaubs der Angestellten – Sonne mit Meer – untergehende Sonne mit Meer – bei Venedig vielleicht Rialto-Brücke und Dogenpalast, die vielen Museen, Palazzi, Plätze, Kanäle; bei Lanzarote vielleicht der Hacha Grande, die Playas, das blaue Meer, bei Wuppertal denken wir an – … auf jeden Fall denken wir an Ronsdorf.
Venedig – Lanzarote – Wuppertal. Auf den Bildern sieht man keine Bewegungen, keine spektakulären Szenen, keine schönen Menschen, auch keine Nackten, keine romantischen Sonnenuntergänge, keine, keine, keine … Die Orte würde man darauf jetzt nicht sofort erkennen.
 
Man hätte auch andere Bilder machen können, nicht Wände, nicht Türen, nicht Putz und Rinne und Rost. Also: gehen sie mal durch Wien, fotografieren nur die Kopfsteinpflaster und zeigen die Bilder dann anderen und sagen – das ist Wien – war das toll. Wahrnehmung und Beurteilung von Schönheit ist eine schwierige Aufgabe, aber eine lustvolle Aufgabe und ein langwieriger Prozeß.
Aber das ist ein wesentlicher Wert der Kunst – die Auseinandersetzung, die Reibung, der Konflikt, das Tasten nach Möglichkeiten – die Annäherung, das Beginnende Begreifen, das Verwerfen, die Depression, die kurzfristige Abkehr, das Sich-wieder-nähern, das Staunen, das Aha–Gefühl – nur um wieder in die nächste Kollision, Konfrontation, Konfusion hineingeworfen, hineingeschleudert zu werden. Immer wieder. Immer wieder. Und immer wieder so haben wollend. Ewiglich: „da capo“ singend, würde Nietzsche dazu sagen.
Wie nähern wir uns nun Venedig – Lanzarote – Wuppertal – etwas konkreter: Das muß jeder für sich selbst versuchen – ich kann nur zwei drei Fäden, zwei drei Gedankenfäden anbieten – und ob die stimmig sind, sei dahingestellt.
 

Foto © Eberhard Vogler
Erster Gedanke: In die Gegensätzlichkeit der uns bekannten und vertrauten Schönheit der Renaissance Italiens, (Spaniens, Deutschlands laß ich mal hier weg) setzt der Künstler die Häßlichkeit und das Detail und die Farbe. Er fotografiert keine Plätze, Stadtteile, Häuser – Gesamteindrücke – er fotografiert Details: Eine Tür, besser noch einen Teil einer Tür, rostige Scharniere, abgeplatzten Putz an der Wand – aber er zeigt uns nicht das Detail um des Details willen, sondern er findet eine neue Formzusammenstellung (Steine und Türeinfassung, Fenster und Verputzung, Putzabbröckelung und Regenrohr) und er findet neue Farb- und Lichtkombinationen und entwirft dadurch – im Gegenentwurf zur Schönheit - die Häßlichkeit. Er nimmt sie in den detailgenauen Blick und gibt ihr wiederum eine eigene Ästhetik – eine eigene Schönheit: und zwar eine Ästhetik der Angegriffenheit – eine Ästhetik der morbiden Abgängigkeit, eine Ästhetik im Gedanken und in der geometrischen Figurenstrenge.
 
Irgendwie schafft es der Künstler aus einer Häßlichkeit eine neue Schönheit zu entwerfen – durch Komposition in der Detailaufnahme, also einer Reduktion des Gegenstandes (er zeigt ja nur einen Teil der Tür, einen Teil der Hauswand, immer nur einen Teil) – wie gesagt: Reduktion des Gegenstandes durch ein Herausreißen des Bildinhaltes (Teil der Tür) aus dem Gesamtzusammenhang (ganze Tür) – Herausgerissen aus dem Gewohnten und Üblichen, denn sie würden vermutlich am Original, an der Tür, an der Hausfront einfach vorbeigehen und denken, da müßte mal was dran gemacht werden – und dann stehen sie doch wieder vor dem Bild und sagen: Oh ja, schön.
 
Zweiter Gedanke: Frage: Aber warum? Was ist das für eine Schönheit? Es ist eine Schönheit des Verfalls, eine Schönheit des Kaputten, eine Schönheit des Untergangs. Wir müßten uns mal fragen, warum uns das gefällt – aber es gefällt uns – wir nehmen Teil an den Geheimnissen der Ästhetik der letzten oder vorletzten Bilder – des letzten oder vorletzten Augenblicks. Vielleicht gibt es die Tür bald nicht mehr. Vielleicht gibt es die Hausfront bald nicht mehr. Die Farbabblätterung der Türeinfassung gibt dem ganzen ollen Holz Charakter.
Fahren sie mal in den Süden und schauen sich die malerischen Buchten an, die bebauten – das sind meist Häuserreihen kurz vorm Zusammenbrechen – da stehen wir auch und rufen: „Mein Gott wie schön.“ Wohnen wollen wir da aber nicht. Altes und kaputtes hat einen Reiz auf uns – wir verknüpfen es mit positivem Beigeschmack. Vielleicht weil wir auch wollen, daß man uns schön findet, wenn wir abzublättern beginnen.
 

Foto © Eberhard Vogler
Und daher ein dritter Gedanke: Die Originale – die Wände, Türen, Fenster sind möglicherweise für sich genommen gar nicht so schön – man würde sich die jetzt, wie gesagt, nicht an seinem Haus wünschen – aber sie werden durch das Medium des Hervorholens, das Medium der Fotografie zu schönen Bildern. Im Detail wird vieles wieder schön (z.B. wenn sie mal nur einen Teil ihres Partners betrachten …).
 
Viel Spaß bei der Annäherung an die Bilder.


Andreas Bialas ist Abgeordneter der SPD im Landtag Nordrhein-Westfalen.
 
Redaktion: Frank Becker