Gelungenes Zusammenspiel

„GERMAN SONG“, ein Multimedia-Stück von Heiner Bontrup

von Martin Hagemeyer

Gelungenes Zusammenspiel
 
Mit der „freien Szene“ zusammenzuarbeiten: Das ist eine der Anforderungen, die an die Kandidaten für die nächste Schauspielintendanz in Wuppertal gestellt werden. „GERMAN SONG“, ein Multimedia-Gastspiel im Kleinen Schauspielhaus, hat jetzt daran erinnert, daß das schon geschieht – und daß der Vorwurf an die bisherige Leitung, solche Kontakte versäumt zu haben, schief ist; wie so mancher.
 
Heiner Bontrup, Wuppertaler Autor und Kulturjournalist, hat gemeinsam mit Ulrike Müller den Abend konzipiert; und zur Realisierung zusammengekommen sind: Die Musiker Dietrich Rauschtenberger und Charles Petersohn, die Schauspieler Caroline Keufen, Ralf Grobel und Andreas Ramstein, die Schülerin und Sprecherin Faith Iyere, die Videokünstlerin Wasiliki Noulesa, die Tänzerin Chrystel Guillebaud. Was dann das Publikum durch diese Vielfalt erlebt (sofern man denn die enorme Schlange an der Kasse noch glücklich mit einer Karte in der Hand verlassen hat): Das ist ein stark aufs Atmosphärisches setzendes Programm um Gewalt und Verantwortung – ausgehend von literarischen Texten von Else Lasker-Schüler, Paul Celan und Gottfried Benn.
 
Wenn genre-übergreifende Kunst mehr sein will als eine Collage, kann sie ein verbindendes Gerüst gebrauchen. Und das ist heute „Am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm, die autobiografische Erzählung zur Verarbeitung der Naziverbrechen anhand der Vergangenheit von Timms Bruder in der Waffen-SS. Akustisch – visuell, textlich – tänzerisch: Was die einzelnen beteiligten Künstler heute zeigen, gruppiert sich um Auszüge dieses Berichts, den an Stelle des erkrankten Hans Richter der Schauspieler Ralf Grobel liest.
Ständig präsent sind dabei die Beiträge von Noulesa, Rauschtenberger und Petersohn: Die Videokünstlerin wechselt abstrahierte Aufnahmen aus der Natur ab mit Personenportraits; und für die volle Wirkung der Projektionen nutzt sie die hintere Wandfläche in ganzer Breite. Dietrich Rauschtenberger, als Pionier des Free Jazz sicher mit der namhafteste Teilnehmer, arbeitet mit Schlagwerk und Gongs in verschiedenen Größen; er wirkt spielerisch dabei und doch genau abgestimmt auf all das, was sonst noch passiert auf der Bühne. Gleiches gilt für Charles Petersohn, Produzent, DJ und musikalischer Leiter des Abends, der seine Klänge unauffällig, aber durchgängig einmischt ins Geschehen.
 
Und es ist ja immer das Zusammenwirken, das (neben dem Text-Gerüst) eine Kooperation verschiedener Künste unterscheidet von einer bloßen Revue aus Einzeltalenten. Bei GERMAN SONG mag sich tatsächlich ein Gesamteindruck zwischen den Akteuren einstellen: Während etwa Caroline Keufen vor besagtem Hintergrund Passagen aus Celans „Todesfuge“ spricht, im Wechsel mit der 17-jährigen Faith Iyere, die diese selbst [in die Sprache ihrer afrikanischen Heimat?] übersetzt hat: Da schwenkt Chrystel Guillebaud, zuvor gestenreich in Bewegung, zuvor plötzlich um und kauert sich auf den Boden – wie ein trauernder Friedhofsengel? Vielleicht. Vielleicht auch ganz anders. Kunst, die so stark ans Unterbewußte appelliert wie der heutige Abend, ist ja prädestiniert fürs freie Assoziieren.
 
Neben solch inszenierter Kombination der Künste ist auch spannend zu beobachten, wie die Akteure aufeinander reagieren, wenn eine der Kunstformen gerade „Pause hat“. Etwa wenn Rauschtenberger an seinen Instrumenten sichtbar „mitgeht“ mit all der Bewegung vor ihm. Oder Stichwort „Lili Marleen“: jener Schlager, den die Militärpropaganda zur Hymne des deutschen Soldaten machte und der in Europa und Nordafrika an allen Fronten lief. Als die Melodie erklingt, wie eine zynische Begleitmusik zum Tun auch von Timms Bruder: Da hören Faith Iyere, die schwarze junge Frau, ebenso zu wie Petersohn, der jetzt einen Judenstern trägt: wach, aber stumm.
 
Menschen aus verschiedenen Hintergründen, die sich durchaus auch etwas fremd bleiben dürfen: Das ist es wohl, was den Reiz eines freien Projekts wie GERMAN SONG zum Gutteil ausmacht, wo die Akteure in dieser Konstellation nur zu diesem Anlaß zusammenkommen. Mit ihrem Ad-hoc-Charakter sind sie so gesehen ja schon vom Ansatz etwas anderes als ein Ensemble-Stadttheater (mit seinen eigenen Vorzügen). Schön, wenn ein Theater sich dem öffnet, wenn es denn paßt – wie heute. Zur Offenheit der Bühnen Richtung Szene nimmt Charles Petersohn auch Noch-Intendant Christian von Treskow entschieden gegen Vorwürfe in Schutz: „Er hat den Kontakt zur Stadt, also zur freien Szene und deren Community angestoßen. Er hat jeden eingeladen, etwas zu realisieren, der etwas Professionelles zu bieten hat.“