Perfektion und Seele

Die Bergischen Symphoniker unter Helmut Imig adeln Fritz Langs „Siegfried“

von Frank Becker

Perfektion und Seele
 
Die Bergischen Symphoniker unter Helmut Imig
adeln Fritz Langs „Siegfried“
 
 
Remscheid. Bemerkenswert bereits der anhaltende Begrüßungsapplaus für die Musiker der Bergischen Symphoniker, ein deutliches Zeichen für die Solidarität des Publikums im gut besuchten Filmkonzert am Mittwochabend. Hier wurde deutlich Sympathie für das von Sparmaßnahmen bedrohte Orchester bekundet. Gegeben wurde eine von der Murnau-Stiftung restaurierte und rekonstruierte Fassung des Fritz Lang-Klassikers „Siegfried“ (Der Nibelungen 1. Teil) aus dem Jahr 1924, entstanden zwei Jahre nach Langs Sensationserfolg „Dr. Mabuse, der Spieler“ und drei Jahre vor seinem epochalen Meisterwerk „Metropolis“. Alle genannten übrigens nach Drehbüchern von Langs Ehefrau Thea von Harbou.
 
Die Bergischen Symphoniker unterstrichen mit ihrer von Helmut Imig sensibel geleiteten Interpretation der Original-Musik zum Film, die Gottfried Huppertz bereits zur Uraufführung geschrieben hatte, seelenvoll und unerhört präzise gespielt ihren hohen Rang als außerordentlich gut besetzter und geführter Klangkörper. In sieben „Gesängen“ erzählt Lang im ersten Teil des Filmepos frei nach der mittelhochdeutschen Nibelungensage die Geschichte des Xantener Königssohnes Siegfried (Paul Richter), der nach der Lehrzeit beim Schmied Mime (stark überzeichnet: Georg John) beschließt, um Kriemhild (Margarete Schön), die Schwester des in Worms residierenden schwachen, grüblerischen Burgunder-Königs Gunther (Theodor Loos) zu freien. Auf dem Weg macht er einen harmlosen Pappdrachen nieder, der im Wald eigentlich nur seine Ruhe wollte und badet in dessen Blut, um unverwundbar zu werden. Um bei Kriemhild sein Ziel zu erreichen, muß der Recke mit Hilfe seiner Tarnkappe für den schwächlichen Gunther die nordische Königin Brunhild (beeindruckend: Hanna Ralph) besiegen, damit dieser sie heimführen kann. Daß er sie nebenbei auch noch stellvertretend für Gunther durchnimmt, sei ihm gegönnt.
 
Der Schwindel fliegt natürlich irgendwann auf, weil mal wieder die Eifersucht stärker ist als die Klugheit und Kriemhild ihr Plappermaul nicht halten kann. Margarete Schön gibt diese zum Erwürgen dämliche teutsche Blondine mit wüst rollenden Augen (aber alle rollen im Stummfilm ja wüst mit den weit aufgerissenen Augen), mit  Rapunzelzöpfen und fürchterlichem Make Up. Unfreiwillig komisch auch die archaisierenden oder sollte man sagen: wagnerisierenden Zwischentitel. Der strahlende Held Siegfried, nicht zu bremsender Optimist und Strahlemann, der ein wenig von Parzival und ein wenig von Ralph Möller hat, besticht durch athletische Erscheinung, Zahnpastalächeln und eine wirklich tolle Frisur. Richter ist ohne Zweifel die Idealbesetzung gewesen (und eine Steilvorlage für die späteren NS-Rassehygieniker). Ihn schlägt - nehmen sie es wöertlich - nur noch Hans Adalbert Schlettow als grandios finsterer Hagen von Tronje, ein herrlicher Bösewicht, der Siegfried schließlich an seinem Archilles-Schulterblatt mit einem Speer durchbohrt und damit die blutige Rache Kriemhilds auf sich zieht. Aber das geschieht erst im zweiten Teil.
 
Beeindruckend Fritz Langs Kameraführung, seine visionären Einstellungen, die Filmtricks, die traumhaften Kostüme, die monumentale Ausstattung, die musikalische Umsetzung. „Sehr gute Unterhaltung!“, bestätigten die in der Pause befragten jugendlichen Zuschauer Sebastian Gensicke (17) und Valentin Ruckebier (15), ebenso Pia Kreienbaum (21) Maschinenbau-Praktikantin. Die durch Helmut Imigs kongeniales, meisterliches Dirigat erreichte harmonische Einheit von Bild und Musik ging wohl dem gesamten Publikum unter die Haut, berührend das Cello-Thema Siegfried/Kriemhild, faszinierend das punktgenaue Schlagwerk, nie überspitzt die packende Dramatik, berührend der Trauermarsch – dieser Filmkonzert-Abend bot allerhöchsten Genuß. Nach in keiner Minute langweiligen drei Stunden sah man ausschließlich zufriedene Gesichter im Publikum, das zu Recht rauschenden Applaus gab.