Ein Lebensroman im Schatten großer Literaten

Manfred Flügge - "Muse des Exils" - Das Leben der Malerin Eva Herrmann

von Jürgen Koller

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Ein Lebensroman
im Schatten großer Literaten

Eva Herrmann –
Muse und Künstlerin
 
Es ist eine großartige Künstlerbiografie und zugleich ein lesenswertes Dokument über die deutschen Literaten in Südfrankreich und in Kalifornien der Jahre vor dem 2. Weltkrieg geworden, die Manfred Flügge nach mühevoller Recherche unter dem Titel „Muse des Exils“ Ende 2012 im Insel Verlag veröffentlicht hat. Wer war diese schöne Jüdin, die zugleich Künstlerin, Geliebte, Muse, Briefpartnerin und Sportskameradin bedeutender Exilliteraten gewesen ist? Im Nachwort findet sich der Satz des Autors, daß „so ein Leben kaum … Spuren (hinterläßt). In alle Winde zerstreut, was sie schrieb, malte, zeichnete...Sie lebte im Schatten großer Gestalten, von denen sie sich nicht lösen konnte, darin den Kindern von Thomas Mann vergleichbar, denen sie sich nahe fühlte.“ In der Biografie wird dem „bunten, vielfältigen Lebensroman“ der Eva Herrmann nachgegangen.
 
Der Lebensroman dieser Frau verknüpfte in vielfältiger Weise den alten europäischen Kontinent mit der neuen nordamerikanischen Welt. Es tauchten solche Namen auf wie Johannes R. Becher, Ricki Hallgarten, Lion Feuchtwanger und seine Frau Marta, Aldous Huxley und seine Frau Maria, Sybille Bedford als lebenslange Freundin oder Thomas und Katia Mann sowie deren drei ältesten Kinder Klaus, Erika und Golo Mann und viele andere Literaten und Künstler der alten und neuen Welt..
Eva Herrmann wurde 1901 in München geboren und war das dritte Kind eines vermögenden amerikanischen Malers mit deutsch-jüdischen Wurzeln und einer rumänischen Jüdin, die es nach Süddeutschland verschlagen hatte. Der Vater lebte seit den Neunzigern für fünfundzwanzig Jahre als Künstler in München. Nach der Scheidung der Eltern mußte das Mädchen Eva bei der ungeliebten Mutter verbleiben. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr wanderte sie von Internat zu Internat, oftmals wurde sie auch in katholische Mädchenheime gegeben. Es war eine traumatische Zeit für das kränkelnde, von übler Hautkrankheit geplagte Mädchen. Im Jahre 1919 reiste sie mit ihrem Vater, mit dem sie in ihrer Kindheit und Jugend nur selten Kontakt hatte, für zwei Jahre nach Amerika, beide waren ja US-Bürger. Dem Vater nahmen die revolutionären Ereignisse in Deutschland mit  den damit verbundenen bürgerkriegsähnlichen politischen Verwerfungen die Ruhe zur künstlerischen Arbeit.
 
In den USA, unter den neuen Lebensumständen, wandelte sich das häßliche, unscheinbare Entlein zu einem schönen, grazilen Schwan. Bereits damals zeigten Porträtfotografien Eva Herrmanns klassisch-edles Profil. Thomas Mann sollte Jahre später für sie den Namen 'Gemme' finden – ein in Edelstein geschnittener Mädchenkopf en profil. Angeregt durch die künstlerische Arbeit ihres Vaters begann sie zu zeichnen und malen. Um ihre Talente weiter zu vervollkommnen, reiste sie bereits 1922 wieder nach Deutschland. In Berlin verliebte sich die junge Künstlerin in den charmanten, zutiefst von sich selbst überzeugten expressionistischen Dichter Johannes R. Becher. Dieser war zwar von beachtlicher Wortgewalt, aber seine seltenen Einkünfte machten aus ihm einen armen, ziemlich abgerissenen und ewig hungrigen Poeten. Die junge Amerikanerin finanzierte mit ihren harten Dollars nicht nur die gemeinsamen Reisen nach Usedom und Amrum, sondern sie staffierte ihren Liebhaber auch aus und kaufte ihm sogar ein Motorrad. Schnell hatte Eva Herrmann verinnerlicht, daß man als Frau nicht verheiratet sein mußte, um ein unabhängiges, freies Leben führen zu können – es bedurfte in diesen Zeiten nur eines Vermögens. Und sie war durch eine beträchtliche Erbschaft in den USA vermögend geworden. Die Beziehung zu Johannes R. Becher zerbröckelte, als dieser sich mehr und mehr den Kommunisten anschloß. Eva Herrmann war kein kluger, politischer Kopf, aber Becher hatte es verstanden, in der Amerikanerin die Neugier auf das bolschewistische Sowjet-Rußland zu wecken. Eine Neugier, die über die Zeiten hinweg unterschwellig bis zum Krieg erhalten blieb. Einen losen Kontakt hielt Eva Herrmann zu Becher über dessen sowjetisches Exil aufrecht, er inzwischen ein überzeugter Kommunist, bis in die 50er Jahre, als Becher Kulturminister der DDR geworden war. Und Becher, eitel und von sich und seiner Funktion eingenommen, bat immer wieder seine ehemalige Jugendliebe um zollfreie Pakete mit feinen Anzugstoffen, Hemden und Schuhen, selbst das durchsichtige Brillengestell, das er beim Empfang von Thomas Mann in Weimar 1955 trug, hatte ihm Eva Herrmann aus den USA gesandt. Aus dieser alten Verbundenheit heraus übereignete sie Anfang der siebziger Jahre unentgeltlich ein beachtliches Konvolut mit Becherbriefen der Ost-Berliner Akademie der Künste.


© Insel/Suhrkamp Verlag
 
Von 1925 bis 1931 pendelte Eva Herrmann zwischen USA und Europa. Obwohl sie zu unstet war, um zielstrebig Malerei zu studieren, perfektionierte sie in diesen Jahren ihren Karikatur-Stil, wissend, daß sie als Malerin zweitklassig bleiben würde. Dagegen brachten ihr die Karikaturen bedeutender Köpfe aus Literatur, Kunst und Wissenschaft  Veröffentlichungen und Würdigungen in der alten und neuen Welt. Selbst die New York Times druckte Porträt-Karikaturen von ihrer Hand. 1929 erschien die Karikaturensammlung „On Parade“. Auffällig ist, daß die Künstlerin in diesen Jahren zwar mehrmals jährlich über den „großen Teich“ gedampft war – eine Passage mit der „Bremen“ oder „Normandie“ kostete ja ein Vermögen – aber nirgends findet sich in der Biografie der Herrmann ein Bezug zur großen amerikanischen Depression oder zur Wirtschaftskrise in Europa. In die Jahre zwischen 1927 und 1931 fiel die Liebschaft zu Richard „Ricki“ Hallgarten, einem glücklosen Künstler, der in der Nachbarschaft zu Erika und Klaus Mann in München aufgewachsen war. Eva Herrmann muß von diesem blendend aussehenden, sympathischen Mann fasziniert gewesen sein. Aber gegen dessen Todessehnsucht, gegen sein Verlorensein in der Welt fand auch sie kein Heilmittel. Und so wurde sie von Ricki Hallgartens Selbstmord 1932 hart getroffen. Diesen Verlust kompensierte sie mit Bildungs-und Vergnügungsreisen Reisen durch Europa – Frankreich, Italien und Spanien.
Kurze Liebschaften und längere erotische Affären wurden immer bestimmender in ihrem Leben. 1931 traf sie in Sanary-sur-Mer an der Côte d'Azur auf das britische Ehepaar Huxley. Mit dem Schriftsteller Aldous Huxley war sie mehr als nur freundschaftlich verbunden. In die Jahre 1931 und 1932 fallen auch zwei Reisen nach Moskau – aber das dort erlebte Sowjetsystem mit seinen brutalen Terrormethoden, mit seiner Unfreiheit, dem überall sichtbaren Mangel und Hunger ließen ihre Sympathien für die Ideen des Sozialismus spürbar schwinden.
 
Gemeinsam mit ihrer um zehn Jahre jüngeren Freundin Sybille Bedford mietete sie im Jahre 1933 in Sanary-sur-Mer ein Haus, das Treffpunkt etlicher deutscher Exil-Literaten sowie Amerikaner und Briten wurde. Regelmäßige freundschaftliche Kontakte pflegte Eva Herrmann mit den Geschwistern Erika und Klaus Mann, obwohl beide nicht in Südfrankreich lebten. Erika tourte mit ihrem Kabarett „Pfeffermühle“ durch Europa und Klaus als vielbeschäftigter Schriftsteller gab die Exil-Zeitschrift „ Die Sammlung“ im Querido-Verlag in Amsterdam heraus. Da Thomas und Katia Mann nur bis Ende 1933 in Sanary-sur-Mer lebten und dann ihr Exil in der Schweiz fanden, rückten Lion Feuchtwanger und seine Frau Marta ins Zentrum des gesellschaftlichen Lebens der Emigranten. Manfred Flügge verdeutlicht anschaulich die innere Zerrissenheit dieser Menschen. Natürlich einte alle Exilkünstler in Sanary-sur-Mer der Haß auf die Nazis in Deutschland, man gab sich politisch links, ohne kommunistisch zu sein, der französischen Volksfront nahe, teils auch sowjetfreundlich und ansonsten zelebrierte man einen bürgerlich-liberalen Lebensstil – immer vorausgesetzt man hatte rechtzeitig sein Vermögen aus dem Nazi-Reich heraustransferieren können oder man hatte Tantiemen aus Buchveröffentlichungen in Westeuropa und den USA. Allerdings minderte der Hitler-Stalin-Pakt von 1938 die Sympathien für Sowjet-Russland beträchtlich.

Lion Feuchtwanger und seine Frau führten ein großzügiges Haus in Sanary-sur-Mer und verstanden sich als Repräsentanten der bürgerlichen deutschen Kulturelite. Es sollte nicht lange dauern, da begann Eva Herrmann eine mehrjährige Affäre mit dem bekannten Schriftsteller. Marta Feuchtwanger hatte diese Liaison hingenommen, da ihr Mann ständig Beziehungen zu anderen Frauen unterhielt. Feuchtwanger wußte, daß nur Marta die aufwendige Haushaltsführung in ihrer Villa, sein geregeltes Arbeitsumfeld und das anspruchsvolle, repräsentative Leben im Exil organisieren konnte. Und sie wußte, daß sie ohne sein Vermögen keine Chance besessen hätte – also arrangierten sich beide. Auf Einladung offizieller Stellen der Sowjetregierung reiste Lion Feuchtwanger in Begleitung seiner Geliebten im Winter 1936/1937 nach Moskau. Von dem dort hochgeschätzten Schriftsteller erwarteten die Sowjets eine positive Würdigung der sowjetischen Politik im Westen. Feuchtwanger, der schon früh vor den Nationalsozialisten und vor deren rigiden Antisemitismus, aber auch vor einer neuen Kriegstreiberei Deutschlands gewarnt hatte, war nicht in der Lage zu erkennen, daß das Sowjetregime ein totalitärer, menschenverachtender Staat war. Selbst nach der Teilnahme an einem der Moskauer Schauprozesse sprach er von einem juristisch fehlerfreien Verfahren, und in einem von ihm verfaßten „Prawda“-Artikel fand er kein systemkritisches Wort. Deshalb waren nach Feuchtwangers Rückkehr die beiden jüdischen Exil-Autoren Arnold Zweig und Franz Werfel darüber besonders empört. Seine Annäherung an die Sowjets trug dazu bei, daß Feuchtwanger im amerikanischen Exil nie die US-Staatsbürgerschaft erhielt. Eva Herrmann hatte sich in Moskau mit Becher und dessen Ehefrau Lilly getroffen. Sie sah deren Not und spürte die Angst der beiden Exilanten vor dem unberechenbaren Terror der Sowjetmacht.
Interessant, auch der Biograf Manfred Flügge findet keine Antwort darauf, was die Herrmann an diesem siebzehn Jahre älteren, körperlich kleinen und gedrungenen, dabei ausgesprochen unschönen Feuchtwanger so anziehend fand – es müssen wohl die Faszination über seine profunde humanistische Bildung, sein allumfassendes Wissen und sein schriftstellerischer Erfolg gewesen sein, vielleicht spielte auch sexuelle Abhängigkeit eine Rolle.
 
Mit Kriegsbeginn war das behagliche Leben in Sanary-sur-Mer vorbei – die Einwohner des Ortes zeigten sich feindlich gegenüber den Emigranten. Nach dem Überfall Hitlers auf Frankreich wurde Feuchtwanger, wie viele andere Exil-Deutsche, von der Vichy-Regierung Mitte 1940 im Lager „Les Milles“ interniert, später in das Zeltlager Nimes verlegt. Mit Hilfe des amerikanischen Konsulats gelang ihm, seiner Frau und einigen anderen in einer abenteuerlichen Flucht über Spanien und Portugal die Ausreise in die USA. Eva Herrmann war bereits 1939 von Genua aus nach New York übergesiedelt. Vom Schiff aus hatte sie für viele Jahre den vorläufig letzten Brief an Johannes R. Becher nach Moskau gesandt. Sie hatte sich vergeblich bemüht, Lion Feuchtwanger und seine Frau zur Ausreise zu bewegen.
 
Durch die Nähe zu den großen Filmstudios von Hollywood mit ihrem Bedarf an Autoren siedelten sich viele Deutsche Schriftsteller bei Los Angeles an. Eva Herrmann unterstützte dort - sie war schon 1940 nach Santa Monica bei L.A. gezogen - ihre alten Freunde aus Frankreich mit Rat und Tat. Anfangs in angemieteten Häusern, ab 1948 dann im eigenen Domizil hatte sie eine neue Berufung gefunden. Sie fungierte als Gastgeberin in der Emigrantenkolonie. Ihre zeichnerische Arbeit führte sie fort, oftmals wurden ihre Gäste als Karikatur treffsicher aufs Papier gebracht. Besonders eng gestalteten sich die Beziehungen zum Ehepaar Thomas und Katia Mann, beide sahen in Eva eine Tochter. Man traf sich drei- oder viermal im Monat. Die 'Gemme' war gern gesehener Gast bei den Manns, gerade bei den Feiern zum Jahreswechsel. Auch zu den drei großen Mann-Kindern hielt sie Verbindung – mit Erika unternahm sie Ski-Urlaube. Die deutsche Geistes-Elite traf sich bei Eva Hermann, bei den Manns oder in der repräsentativen Villa Aurora bei den Feuchtwangers – Gäste waren Brecht, Adorno, Werfel, Heinrich Mann, Schönberg, Eisler, Russel, Einstein und viele andere. Aber auch Schauspielgrößen Hollywoods waren gern gesehene Gäste, so etwa Charlie Chaplin. Man politisierte über den Krieg im fernen Europa, über die Zukunft Deutschlands, über die Schriftstellerei und über die immensen Schwierigkeiten des Drehbuchschreibens für das Hollywood-Kino.
Nach dem Kriegsende zerbröselte die Emigrantenkolonie recht schnell - zum einen bedingt durch die Verdächtigungen wegen unamerikanischer Tätigkeit in der McCarthy-Ära und zum anderen durch die Rückkehr etlicher Emigranten nach Europa - Thomas
und Katia Mann nahmen 1952 für ständig Wohnsitz in der Schweiz. Lion Feuchtwanger blieb in Santa Monica bis zu seinem Tod 1958, seine Witwe Marta sollte ihn um dreißig Jahre überleben.
 
Eva Herrmann hatte sich zeitlebens mit Astrologie befaßt und glaubte an übersinnliche Wahrnehmungen. Parapsychologische Phänomene und spiritistische Interessen überwogen mit zunehmenden Alter – auch Liebesaffären mit deutlich jüngeren Männern. Besonders zu ihrem alten Schriftstellerfreund Huxley fühlte sie sich hingezogen. Der Brite hatte sich vom beobachtenden Satiriker zum Reformator für die Heilung der Welt mittels einer universellen mystischen Religion entwickelt. Eva Herrmann intensivierte ihre esoterischen Bemühungen und suchte nun in der Einsamkeit ihres Hauses einen ständigen Kontakt als Medium zu Verstorbenen herzustellen und deren Diktate aufzunehmen. 1976 veröffentlichte sie ihr Buch „Von drüben – Botschaften, Informationen, praktische Ratschläge“ (übermittelt von Eva Herrmann, mit einem Postmortem-Nachwort von Thomas Mann). Ihre Arbeit mit Karikaturen hatte sie zu dieser Zeit schon länger aufgegeben. Briefkontakt hielt sie noch mit ihrer Freundin Sybille Bedford in England und Golo Mann in der Schweiz.  Da ihr der Smog von L.A. und Santa Monica mißfiel, hatte sie sich in Montecito bei Santa Barbara , zwei Autostunden von L.A. entfernt, im Jahre 1969 nochmals ein Haus bauen lassen - mit wundervollem Ausblick auf den pazifischen Ozean. Eva Herrmann ist dort 1978 an einem Krebsleiden verstorben.
 
Abschließend sei ein treffendes Wort ihres Biografen Manfred Flügge zitiert: „Ihrer künstlerischen Arbeit fehlte es an Ehrgeiz, Geltungsbedürfnis, Kontinuität. Da sie keine Intellektuelle war, blieb ihr nur eine naive Form der Geisterbeschwörung und der Verankerung in der anderen Welt... Alle ihre Lebenssituationen … hatten etwas Irreales, ebenso ihre persönlichen Beziehungen. Sie existierte als Ausnahmewesen in einem Leben ohne Alltag, ohne Verantwortung, mit mehr Künstlichkeit als Kunst.“
 
 
Manfred Flügge, Muse des Exils / Das Leben der Malerin Eva Herrmann
2012Insel Verlag Berlin, 431 Seiten, gebunden - ISBN: 978-3-458-17550-6
24,95 €

Weitere Informationen: www.suhrkamp.de
 
Redaktion: Frank Becker