Giacomettis Porträts und Spielfelder

Bis Mitte Mai in Hamburg - Norddeutsche Kultur-Notizen

von Andreas Greve

Andreas Greve - Foto © Arne Weychardt
 Bis Mitte Mai in Hamburg:
Giacomettis Porträts und  Spielfelder
 
Norddeutsche Kultur-Notizen

Von Andreas Greve

Doppelausstellung
 
Die meisten haben sie sicher irgendwann einmal gesehen - und sei es nur als Foto - diese klapperdürren Figuren, die trotz ihres verhungerten Aussehens für Unsummen gehandelt werden. Die Kunst Alberto Giacomettis leidet unter ihrem Bekanntheitsgrad. Der dünne schreitende Mann mit den langen Beinen: Kennt man einen, kennt man alle. Dazu eventuell noch ein Foto des rauchenden und frierenden Künstlers in einem winterlich-gräulichen Paris. Ganz offenbar ein armer Wiederholungstäter. So oder so ähnlich das Klischee. Weit gefehlt?
 
Allein das ist schon Grund, mehrere der Skulpturen an einem Ort zu versammeln. Es macht die Verschiedenheit deutlich und die Verschiebungen in den lebenslangen Versuchen des Künstlers, Figuren und Raum zu gestalten. Klinisch betrachtet war es wohl eine Manie oder Obsession von Giacometti, Gegenstände stets in ihrem Verhältnis zueinander wahr zu nehmen, bis hin zum Zwang, die Pantoffeln vorm Bett als einen Teil davon zu erleben und sie nachts noch mehrfach umzustellen, bevor endlich Schlaf mit geschlossenen Augen riskiert werden konnte. Das Leben als

Alberto Giacometti, Projet pour un place
Versuchsanordnung mit den Konstanten Mann, Frau oder Mann und Frau. Das hat schon fast etwas schelmisches, daß er den Femme-Titel beibehält, ganz egal, wie stark die die Form aufgebrochen, abstrahiert oder in die Ebene gelegt ist. Mann – Frau: Kriegen sie sich oder verfehlen sie sich? Wie hoch ist die erotische Komponente? Glaubt man den Ausführungen der Kuratorin der Ausstellung der Kunsthalle, ist das sexuelle Moment sehr hoch. Der visuell ansprechende Katalog versteigt sich – nach meiner Meinung - in seinen akademischen Auslegungen, während die Ausstellung selbst und die Präsentation - die ein Vertiefen leicht macht, weil man dicht an die Objekte heran kommt - eine sehr sinnliche Rezeption ermöglicht. Ich halte es für eine großartige Idee, daß man die nur Tablett-großen Spielfelder im Sitzen und von mehreren Seiten betrachten - und ohne zu ermüden, quasi den prüfenden Blick des Künstlers simulieren kann.
 
Empfehlung

Ich möchte sehr empfehlen, zuerst die Porträt-Skulpturen im Bucerius Kunst Forum am Rathausmarkt anzuschauen. Hier steht Bekannteres in konventionellerer Umgebung. Und hernach – schreitend! – den kurzen Weg an der Binnenalster entlang zur Kunsthalle zu gehen und sich dort auf den zweifachen Rundgang auf zwei Etagen einzulassen. Zitat gemeinsame Pressemitteilung:
„Der neuartige, themenspezifische Werküberblick legt erstmals offen, wie sehr Werk und Sockel, Präsentiertes und Präsentationsform bereits in den surrealistischen, so genannten Spielbrett-Skulpturen ineinander fallen und Giacomettis ganzes Oeuvre bestimmen. Entscheidend wird die bedeutungsvolle Positionierung der einzelnen, geheimnisvoll auf Eros, Tod und Erinnerung anspielenden Elemente.
Bislang kaum bekannte Zeichnungen aus Privatsammlungen eröffnen zudem eine bisher unentdeckte, weitergehende Wahrnehmung: Giacometti zeichnet menschliche Figuren in die Spielflächen und macht deutlich, daß die Skulpturen als Modelle auf große öffentliche Platzgestaltungen verweisen. Hier sollte der Betrachter in aktiv handelnden, körperlichen Austausch mit der Kunst treten. Die tischbrettgroßen ‚Spielfelder’ sind somit als Experimentierfelder für größenmaßstäbliche, den Menschen einbeziehende Platz-Realisierungen zu verstehen. Damit nimmt Giacometti die ‚Environment’-Kunst der 1960er Jahre voraus, in denen die Umgebung zum Teil des Werkes wird.“
 
Man könnte es auch als Sisyphusarbeit sehen: Die lebenslange Vorbereitung auf eine Platzgestaltung, die ihm dann gründlich mißlang, weil er die enorme Präsenz des Wolkenkratzers der Chase Manhattan Bank nicht mit einbezogen hatte. Erst danach war er erstmals in New York und konnte selber sehen, daß mit drei beziehungsarmen Figuren von nicht mal drei Metern Höhe wenig auszurichten war. Da wollte er gleich noch mal anfangen.


Alberto Giacometti, La place
 
Wahrlich eine Geschichte, die das Leben schrieb. Den obsessiven Charakter seiner Arbeit veranschaulicht aber sein Atelier viel besser. Hier fand die vierzigjährige Dauerausstellung statt. Giacometti selbst wurde ein Teil von ihr. Ohne diese Obsession hätten die Plastiken, die ihren Weg nach draußen fanden, niemals solch enorme Lebensfähigkeit besessen. Im Gegensatz zu ihrem Meister hatten sie das Zeug für die Ewigkeit. Giacometti machten sie nur berühmt. Er starb 1966 in der Schweiz an einem Herzleiden und chronischer Bronchitis.
 
Giacometti-Ausstellung – Kunsthalle Hamburg und Bucerius Kunst Forum
25.1. – 19.5.2013
 
Weitere Informationen:
 
PS: Die Bahn bietet Hamburg-Besuchern der Ausstellung Fahrten zum Sonderpreis von 39 € an – Und: für 29 € gibt das „Kunstmeile Hamburg“-Ticket Zugang zu fünf Ausstellungsstätten