Kettenraucher der Worte

Klabunds „Literaturgeschichte in einer Stunde“

von Jörg Aufenanger

Kettenraucher der Worte
 
Klabunds „Literaturgeschichte in einer Stunde“
 
Mit seiner „deutschen Literaturgeschichte in einer Stunde“ und der „Geschichte der Weltliteratur in einer Stunde“ hat der Dichter Klabund in den 1920er Jahren zwei Bestseller verfaßt. In meiner Bibliothek habe ich je ein Exemplar der Büchlein gefunden, erschienen in einem New Yorker Verlag auf deutsch, versehen mit dem Zensurstempel des Fort Getty, einem Lager für deutsche Kriegsgefangene. Selbst hierhin hinter Stacheldraht hatten Klabunds Bücher ihren Weg gefunden, als Mittel der Reeducation. Nach Klabunds Tod hat der Phaidon Verlag 1929 beide Bücher als „Literaturgeschichte- die deutsche und fremde Dichtung“ zusammengefaßt, die ebenso von den damaligen Lesern verschlungen wurde. Diese ist nun erneut im Berliner Elfenbeinverlag erschienen, der schon eine vorzügliche Werkausgabe Klabunds im Programm führt.
 
Eigentlich hieß Klabund Alfred Henschke, ein Apothekersohn aus Crossen, der ab 1910 in der Münchener und der Berliner Bohème eine schillernde Figur war. Obwohl schwer TB erkrankt, trat er als Kabarettsänger auf, schrieb Gedichte, Theaterstücke, Lieder und Romane, sein berühmtester ist „Borgia, der Roman einer Familie“. „Ich würde sterben, hätt’ ich nicht das Wort“ war sein Motto und so schrieb er unermüdlich, las unersättlich, erübrigte dennoch viel Zeit für Frauen, einen „Kettenraucher der Liebe“ nannte man ihn daher. Dennoch heiratete er, aber seine Frau Brunhilde Heberle („Irene“) starb nach vier Monaten Ehe. Sieben Jahre später heiratete er die Schauspielerin Carola Neher, die Ehe dauerte drei Jahre, dann starb Klabund im Alter von nur 37 Jahren.
Da er früh wußte, er hätte nur wenige Jahre vor sich, raste er nicht nur durchs Leben, sondern auch durch die Literatur aller Kontinente und Epochen, so daß es den Leser seiner Literaturgeschichte schwindelt. Dennoch folgt man gebannt, denn Klabund ist ein Erzähler par exellence, stilistisch brillant, voller Witz und so einzigartig persönlich in der Darstellung, daß man ebenso persönlich berührt ist.
 
Für Klabund ist die Literatur untrüglicher Beweis für das Dasein Gottes. „Dichtung kommt aus Gott und sie mündet in Gott.“ Sie beginnt mit den ältesten Gottesliedern, die Klabund in der ägyptischen, der griechischen und der indischen Literatur findet. Umgekehrt haben die Chinesen Li Tai-Pe, den Klabund für den größten Lyriker aller Zeiten hält und nachdichtet, in ihrer Verehrung zu einem Gott gemacht, ihm Tempel errichtet. Der Sprung nach Hellas und Rom folgt, und Klabund schildert eine südliche Idylle, wie er sie selbst erlebt hat, Leben und Literatur sind für ihn ein „unbedingtes Jasagen zur Sonne und allen Sinnen“. Er erzählt nicht nur, wie er als Schüler in einem Lustspiel des Plautus mitgespielt hat, er ist stets präsent, auch wenn er bald bei Walther von der Vogelweide anlangt und den Leser beschwört: „Lest seine Liebeslieder Ihr Liebenden!“ In diesem emphatischen Ton geht es weiter durch die Jahrhunderte, „Dante ist Vollendung, Boccaccio ein Anfang“. So bringt er den Übergang vom Mittelalter zur Renaissance auf eine kürzestmögliche Formel, landet bei dem „himmlischen“ Villon, seinem geistesverwandten Erotomanen und Pamphletisten, fertigt aber andere wie Racine, Lohenstein oder Pascal in Halbsätzen oder wie später Proust in drei Zeilen ab, während er den Goethefreund Johann Georg Jacobi über Gebühr preist, hingegen manche Verse Schillers der Lächerlichkeit preisgibt. Eine subjektivere Literaturgeschichte als die Klabunds ist nicht denkbar. Aber gerade das - wie auch seine bonmothaften Charakterisierungen -machen das Lesen zu einem Vergnügen: „Platen, er suchte den Adonis, ohne ihn zu finden“ oder: „Eichendorff, das deutsche All im Regenbogen“ oder: „Wedekind, genialischer Spießer, Sadist, Masochist aus religiöser Überzeugung“. Oder dies: „Flaubert schildert die Seelenregung der Madame Bovary wie das Wehen des Winds an einem Baum, an dem ein Hund das Bein hebt.“ Oder: „Stefan Georges Tingeltangelallüren des echten Priesters“. Unzählige Beispiele dieser boshaft lasterhaften und witzigen Urteile finden sich bei Klabund, sodaß man ihm manche Fehler der Darstellung oder gewagte Einordnungen nicht übel nehmen kann, denn nach dem Schleudergang durch alle Literaturen ist man nicht nur viel klüger, sondern auch in heiterer Stimmung.
 
Klabund: „Literaturgeschichte“ - Die deutsche und die fremde Dichtung von den Anfängen bis zur Gegenwart
© 2012 Elfenbein-Verlag Berlin, 380 Seiten, Leinen, hrsg. von Ralf Georg Bogner
40,- Euro
 
 
 
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der Berliner Zeitung und der Frankfurter Rundschau
Redaktion: Frank Becker