Frieden - jetzt!

Landestheater Detmold: Eine Zeitreise mit dem Musical „Hair“

von Frank Becker

Frieden - jetzt!
 
Dirk Böhling inszeniert für das
Landestheater Detmold
eine Zeitreise mit dem Musical „Hair“
 

Musikalische Leitung: Tobias Richter - Regie: Dirk Böhling - Choreografie: Ricardo Fernando - Ausstattung: Petra Mollérus - Dramaturgie: Elisabeth Wirtz – Fotos: Michael Hörnschemeyer
Besetzung: Berger (Stephan Clemens) - Claude (David Jakobs) - Woof (Martin Krah) - Hud (Fernando Spengler) - Sheila (Fenja Schneider) - Mrs. Berg (Kerstin Klinder) - Jenny Berg, ihre Tochter (Ewa Rataj) - Oliver Berg, ihr Sohn (Vladimir Karadjov) - Jeannie (Jenny-Ellen Riemann) - Chris/Vater (Robert Andrej Augustin) - Dionne (Marta Hornik)
Ensemble: Julia Bielinski / Julia Hinze / Kathrin Horstkötter / Sebastian Sohn / Jakob Warlich / Dorothee Möller
Die Band: Thomas Krause (ts, as, bs, cl) – Daniel Reichert (tp) – Shawn Grocott (tb) – Martin Rukowski, Niklas Kopp (g) – Mario Lauterbach (b) – Michael Peiler (dr) – Julian Buhe (perc)
 
Nach 45 Jahren: Botschaft oder Nostalgie?
 
Remscheid. Die Anziehungskraft des seit 45 Jahren ungebrochen populären Musicals „Hair“ ist enorm, die Botschaft so aktuell wie damals, als die USA 58.168 ihrer Söhne im Vietnam-Krieg verheizten, 15.000 davon gerade mal 20 Jahre alt. „Hair“ wurde zum musikalischen Ausdruck ernsthafter Auflehnung gegen allgemeine Wehrpflicht und Krieg, aber auch naiv-sanfter Proteste harmloser Blumenkinder, die wie die Deserteure aus der Armee (viele flohen nach Kanada oder Europa) für ihre konsequente Haltung Gefängnis riskierten. Ob es nun die politische Botschaft war oder nur verklärende Nostalgie – am vergangenen Sonntag blieb im Remscheider Teo Otto Theater beim Gastspiel des Landestheaters Detmold - im Publikum alle Generationen von 12 bis 72 vereint - kein Sitz frei.
 
Morgens einen Joint…
 
Die Bühne: eine friedliche Szene unter einer Brücke im New Yorker Central Park, von kiffenden Hippies bevölkert (erstklassige Kostümrecherche von Petra Mollérus), die Story: der Rekrut Claude „Hooper“ Bukowski bleibt auf seinem Weg zur Musterung für die US Army bei den Blumenkindern dort hängen, lernt den Duft und die Wirkung von Marihuana, den Protest gegen Gesellschaft und Establishment und den Traum vom freien Leben – die freie Sexualität jenseits bürgerlicher Moral eingeschlossen – kennen. Soll er wie die anderen seinen Einberufungsbescheid verbrennen? Das Grüppchen mit ihrem Anführer und Meinungsmacher Berger (Stephan Clemens), das nach Mustern eigener Moral lebt, kann ihn dennoch nicht halten, er folgt dem Ruf der Fahne und rückt ein. Claude wird in Vietnam fallen.


v.l.: Fenja Schneider, David Jakobs, Stephan Clemens - Foto © Michael Hörnschemeyer
 
Mitreißende Songs
 
Das handlungsarme Buch wird von den Songs getragen, darunter  „Aquarius“ als Motto des neuen Zeitalters, „Donna“, „Manchester, England“ und „I Got No…“, „Hair“, „Where Do I Go?“ für die Ausweglosigkeit, „Black Boys“, „Hare Krishna“, „Good Morning Starshine“ und schließlich „Let The Sunshine In“ als Ausdruck der Hoffnung - mitreißende Ohrwürmer, durchweg hervorragend vom auch tänzerisch ausgezeichneten jungen Ensemble interpretiert. David Jakobs als Claude zeigt dabei besondere Qualitäten, ebenso Fenja Schneider als Sheila, Jenny-Ellen Riemann als Jeannie und Martin Krah als Woof. Trotz der unter die Haut gehenden Melodien blieb das Publikum lange bemerkenswert reserviert, gab Szenenapplaus - nicht bei „Sodomie, Masturbieren ist nicht schwer“, da herrschte peinliche Stille, man hatte wohl vergessen, daß „Hair“ nicht nur für Flower Power, Joints und Pril-Blümchen steht. Apropos: Ich schwebe“ propagiert gelöst Qualität und Nutzen einer Tüte" - würde vielleicht mal wieder Zeit...


"Where do I go?" - David Jakobs - Foto © Michael Hörnschemeyer

 
Blumen im Haar
 
Dirk Böhling hat das Stück für seine Inszenierung stark gekürzt und geschickt als Rückblick in eine moderne Rahmenhandlung gepackt, in der eine Zeitzeugin (Kerstin Klinder) Tochter und Enkel von den Hoffnungen der 68er-Generation erzählt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß „Hair“ für nachwachsende Generationen gewisse Erklärungen braucht. Böhling schaffte es, mit der Hymne der Flower Power-Bewegung von Scott McKenzie „(If you´re going to) San Francisco (be sure to wear some flowers in your hair)“ als Intro, vielen der über 30 Songs der Originalfassung und den Slogans der Zeit „ Wer zweimal mit der selben pennt...", „Make Love not War", „Peace ... Now" u.a.m. das damalige Aufbruchs-Gefühl authentisch umzusetzen. Vorbildlich auch das im Reclam-Format aufgemachte informative und reich bebilderte Programmheft. Live von einer 8-köpfigen Band begleitet und mit der gelungenen Choreographie von Ricardo Fernando ausgestattet, riß die Aufführung – eigentlich ein Stück über „Hair“ - ihr Publikum gegen Ende und bei den Zugaben dann doch noch aus der Reserve. Ein lohnender Abend.
 
Weitere Informationen und Termine: http://www.landestheater-detmold.de/