Lichtgestöber. Der Winter im Impressionismus Zauberhafte Ausstellung im Arp Museum Rolandseck
Die fortschreitende Erderwärmung, die Klimaforschern und umweltbewußten Bürgern Sorgen bereitet, auf die die Politik aber bisher mit kaum mehr als populistischer Rhetorik und im Ergebnis mageren internationalen Konferenzen reagiert, hat in den letzten Jahrzehnten u.a. dazu geführt, daß in Mitteleuropa Schnee zur Rarität geworden ist. Daran, daß das im 19. Jahrhundert ganz anders war und daß die Bildende Kunst darauf sehr direkt reagiert hat, erinnert derzeit eine zauberhafte Ausstellung im Arp Museum in Remagen-Rolandseck. Ihr Titel: „Lichtgestöber. Der Winter im Impressionismus“.
Historische Rückbezüge
„Lichtgestöber“ ist eine jener glücklichen Begriffsschöpfungen, die Eingang in den Duden finden sollten. Denn treffender läßt sich kaum in einem einzigen Wort zusammenfassen, worum es hier geht, nämlich um das für die impressionistische Malerei zentrale Phänomen des Lichtes unter den besonderen Bedingungen jener Form des festen Niederschlags, die als Schnee bezeichnet wird. Schneelandschaften als Gegenstand der Malerei sind keine Erfindung der Impressionisten. Man denke nur an die detailreichen, erzählerischen Schneebilder von Pieter Bruegel aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, oder an die Gemälde Caspar David Friedrichs wie etwa „Hünengrab im Schnee“ (1807), „Mönch im Schnee“(1807/08) oder „Klosterfriedhof im Schnee“ (1817/18) – Träger romantischer Stimmungen, Hinweis auf menschliches Verlorensein, Vorahnungen des Todes. Und das Sterben wird ganz konkret in einem zeittypischen Historiengemälde des französischen Schlachtenmalers Éduard Bernard Swebach, das im Arp Museum den impressionistischen Schneelandschaften kontrastierend gegenübergestellt wird. „Retraite de Russie“ von 1838 zeigt in
Lokalton und Erscheinungsfarbe
Gegen die in Frankreich vom sog. Salon favorisierte „offizielle“, an den Idealen des Klassizismus ausgerichtete Historienmalerei opponierten um die Mitte des 19. Jahrhunderts realistische Maler wie Gustave Courbet oder die Künstler der „Schule von Barbizon“, die eine von akademischen Fesseln befreite Landschaftsmalerei, die „paysage intime“, pflegten und damit dem seit den 1860er Jahren heraufziehenden Impressionismus entscheidende Impulse gaben.
Impressionisten wie Monet, Sisley, Pissarro revolutionierten die Kunst, indem sie an die Stelle einer mit historischen, mythologischen und religiösen Inhalten befrachteten Kunst eine Malerei des reinen Sehens, der spontanen Wiedergabe mehr oder minder flüchtiger Wahrnehmungsreize setzten. Mit seinem 1872 entstandenen Bild der aufgehenden Sonne in den morgendlichen Nebelschwaden im Hafen von Le Havre, das Claude Monet schlicht „Impression“ nannte, schuf er das Programmwerk des Impressionismus. Es ging um die künstlerische Fixierung eines unwiederholbaren Augenblicks, um die malerische Niederschrift einer spezifischen Atmosphäre, um Licht und Farbe. Durch ihre Praxis als Freilichtmaler hatten die Impressionisten erkannt, daß die Gegenstände nicht nur die ihnen eigene, charakteristische Lokalfarbe besitzen, sondern daß es die von den jeweiligen Lichtverhältnissen abhängige Eindrucksfarbe ist, die die farbige Erscheinung eines Objektes maßgeblich mitbestimmt. Und sie hatten gesehen, daß ein Schatten nicht einfach als abgedunkelter Lokalton zu behandeln ist, sondern daß er farbig ist und sogar als Komplementärfarbe der gegebenen Gegenstandsfarbe erscheinen kann.
Weiß ist nicht Weiß
Um dies zu demonstrieren, eignet sich nichts besser als die Darstellung von Schnee. Vor allem bei Sonnenschein nimmt das „neutrale“ Weiß des Schnees einen gelblichen Farbton an, und die Schatten erscheinen blauviolett. Camille Pissarros herrliches Bild „Schnee in Louveciennes“ von 1872, eines der typischsten der Ausstellung, zeigt das in überzeugender Weise. Und Renoir belehrte einen Malerkollegen: „Weiß existiert nicht in der Natur. Sie haben über dem Schnee Himmel. Ihr Himmel ist blau, dieses Blau muß im Schnee erscheinen. Morgens ist Grün und Gelb im Himmel. Auch diese Farben müssen im Schnee auftauchen…“ Daß Weiß also keineswegs gleich Weiß ist, was auch der Architekt Richard Meier mit der gleichzeitig in Rolandseck gezeigten Schau seiner Bauprojekte bekräftigt (siehe die Besprechung vom 11. Januar), kann in der Ausstellung an zahlreichen hochkarätigen Schneelandschaften französischer und deutscher Impressionisten studiert werden – darunter allein sieben Monets. Großartig dessen „Train dans la neige“ von 1875 aus dem Musée
Fragt man nach den Gründen für die Vorliebe der Impressionisten für Winterlandschaften, so läßt sich zunächst die besondere ästhetische Faszination des Phänomens „Schnee“ anführen, die das Ephemere dieses Aggregatzustandes durchaus einschließt (es gibt etliche Bilder, die bei Tauwetter entstanden sind). Hinzu kommt aber ein klimageschichtliches Faktum, das in der Ausstellung ausdrücklich thematisiert wird, nämlich die Tatsache, daß die Winter der 1860er bis 1890er Jahre ausgesprochen schneereich und kalt waren – in Paris mit Temperaturen bis zu -24° Celsius und im Durchschnitt ca. 4° Celsius niedriger als heute. Kein Grund für einen eingefleischten Pleinairisten, im Atelier zu überwintern, sondern im Gegenteil, eine Herausforderung, der Kälte zu trotzen und die Staffelei draußen vor dem Motiv aufzustellen.
Malerei und Fotografie im Dialog
Daß die Kuratorin der Ausstellung, Susanne Blöcker, den Gemälden der Impressionisten eine Reihe fotografischer Aufnahmen prominenter Fotografen hinzugesellt hat, ist eine Bereicherung, da sich hier ein spannender Dialog zwischen Malerei und „Lichtbildnerei“ ergibt. Allerdings überzeugen diese Gegenüberstellungen nur dort, wo Fotografien der sog. Piktorialisten wie Prescott Adamson oder Alfred Stieglitz gezeigt werden, die im Fahrwasser der impressionistischen Malerei flüchtige Lichterscheinungen, atmosphärische Eindrücke, momentane Stimmungen und zufällige Bewegungen zu erfassen suchten und sich dabei bewußt des Mittels der künstlerischen Unschärfe („out of focus“) bedienten und die fotografischen Bilder zusätzlich z.B. mit Hilfe von Edeldruckverfahren so manipulierten, daß sie „malerisch“ erschienen. Doch es gibt auch ein Mißverständnis: Mögen die Schneelandschaften von Albert Renger-Patzsch, des herausragenden Vertreters der Fotografie der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre, motivisch in durchaus reizvoller Weise mit einigen impressionistischen Werken korrespondieren, so muß doch daran erinnert werden, daß der von Renger praktizierte fotografische „Präzisionismus“ einer programmatischen Zurückweisung des älteren, am Impressionismus orientierten Piktorialismus gleichkam. Mag der in der Fotogeschichte nicht so bewanderte Besucher hier auch unnötig in die Irre geführt werden, so kann das abschließende Fazit dennoch nur lauten: eine fabelhafte Ausstellung, deren Besuch unbedingt zu empfehlen ist.
Lichtgestöber. Der Winter im Impressionismus
Hans Arp Allee 1 - 53424 Remagen-Rolandseck
bis 14.04.2013
Katalogbuch „Lichtgestöber. Der Winter im Impressionismus“, hrsg. v. Oliver Kornhoff, Kerber Verlag, Bielefeld/Berlin 2012, 184 S., 122 farbige und 63 S/WAbbildungen, ISBN 978-3-86678-736-0, im Buchhandel 39,95 €
Weitere Informationen: www.kerberverlag.com/de |