Das andere Klavier
Eine Ausstellung in der Kölner Philharmonie Gemartert
Ein gutes Tier
Ist das Klavier, Still, friedlich und bescheiden, Und muß dabei Doch vielerlei Erdulden und erleiden... (Wilhelm Busch)
Destruktion als ästhetische Strategie
Philharmonie Köln, Empore des geräumigen Foyers, 19 Uhr. Während der Musikkritiker das erwartungsvolle Publikum eine Stunde vor Konzertbeginn in seinem Einführungsvortrag darauf einzustimmen sucht, was es anschließend zu hören gibt, läuft am Rande gleichzeitig auf einem Monitor ein Film ab, der den etablierten Musikbetrieb gewissermaßen auf den Kopf stellt: Zu sehen sind mehrere Männer in weißen Overalls, die mit Hämmern, Brechstangen, Trennscheiben und Kettensägen einem Flügel zu Leibe rücken und ihn vor Zuschauern systematisch in seine Teile zerlegen, bis nichts als ein Haufen Schrott übrig bliebt. Der Ton ist abgeschaltet, doch dürfte der Höllenlärm, der bei diesem barbarisch anmutenden Zerstörungsakt entsteht, ein essentielles Moment der Performance sein: „Musik“ in einem sehr erweiterten Sinne.
Der Film ist Teil einer spannenden Ausstellung mit dem Titel „Das andere Klavier“, kuratiert von Stefan Fricke, Redakteur für Neue Musik beim Hessischen Rundfunk. Dokumentiert wird in dem Film eine Performance des Komponisten und Klangkünstlers Hans W. Koch mit dem Titel „Requiem für einen Flügel“, aufgeführt am 19.04.2008 in einer Garage in Köln-Deutz. Dem in zwei Weltkriegen vorgeschädigten Flügel, Jahrgang 1901, wurde mit dieser Inszenierung ein regelrechtes „Abschiedskonzert“ zuteil, das in der totalen Auflösung des Instrumentes bestand. Es ist offensichtlich, daß dieses „Konzert“ in der mittlerweile fünfzigjährigen Tradition von „Fluxus“ stand, einer Avantgardebewegung der 1960er Jahre, an die im vergangenen Jahr mit großen Retrospektiven (Museum Wiesbaden, Staatsgalerie Stuttgart, Museum Ostwall) erinnert wurde. Traten Fluxus-Künstler wie Nam June Paik, Dick Higgins, George Maciunas, Wolf Vostell, Joseph Beuys und Benjamin Patterson (der 2008 auch an der Demontage des erwähnten Flügels beteiligt war) damals oft mit einer dezidiert kulturanarchistischen Attitüde auf, so ist Fluxus mittlerweile längst vom Kulturbetrieb aufgesogen und Gegenstand musealer Präsentation sowie kunst- und musikwissenschaftlicher Aufarbeitung geworden.
Cage, Fluxus und die „sichtbare Musik“
Fluxus ging es um das Fluktuierende, das Fließende zwischen den klassischen künstlerischen
Natürlich wäre es schön, Paiks Klavier, das an der Schnittstelle zwischen Objektmontage und Klangkunst angesiedelt ist, in Köln im Original sehen und möglicherweise auch „spielen“ zu können (es befindet sich im MUMOK/Museum moderner Kunst, Wien), doch wird sich der der Philharmonie-Besucher mit einer fotografischen Abbildung begnügen müssen. Ergänzt wird dieses Schlüsselfoto durch eine – unbedingt sehenswerte – Fotoausstellung mit Aufnahmen weiterer präparierter und/oder ihrer eigentlichen Funktion beraubter Pianos und Flügel, so von Joseph Beuys, John Cage, Rebecca Horn, Joe Jones, Ben Vautier, Wolf Vostell, La Monte Young, Günther Uecker und anderen, also von Künstlern, die genuin entweder von der Musik oder von der Bildenden Kunst herkommen. In höchst anregender Weise dokumentieren die Fotos, wie das Klavier bzw. der Flügel als kultureller Fetisch der (bildungs-)bürgerlichen Gesellschaft durch kreative Transformationsprozesse seine Gestalt und Funktion ändern kann und wie ihm dabei ganz neue ästhetische Qualitäten und Bedeutungsebenen zuwachsen können.
Toy Pianos und „klavieristische Gadgets“
Und die Vitrinen überraschen noch mit einer anderen Facette des Themas, nämlich mit „klavieristischen Gadgets“ (Fricke), also Spielereien oder Schnickschnack wie auf Krawatten aufgedruckten Klaviertastaturen, Pralinenschachteln in Form eines Flügels oder Zigarettenetuis in Gestalt eines Pianos. Das alles veranlaßt nicht nur zur eingehenden Betrachtung, sondern vermag auch stilles Schmunzeln, ja unverhohlene Heiterkeit auszulösen. Leider ist diese gleichermaßen ungewöhnliche wie anregende Ausstellung, die noch bis Ende Februar 2013 zu sehen ist, nur während der in der Philharmonie stattfindenden Konzertveranstaltungen zugänglich.
Kölner Philharmonie - Bischofsgartenstraße 1 - 50667 Köln
Fotos: Archiv Stefan Fricke (mit freundlicher Genehmigung)
und Rainer K. Wick |