Literatur und Recht
Auf Spurensuche nach dem Rechtsverständnis bei Künstlern hat sich der im April 2012 verstorbene Rechtsphilosoph Gerhard Sprenger, der an der Bielefelder Universität gelehrt hat, begeben. Sein nach seinem Tode veröffentlichtes Werk “Literarische Wege zum Recht” versammelt eine Reihe von hochinteressanten Artikeln (Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden 2012). Besonders hervorheben möchte ich den Beitrag über Fontanes Auseinandersetzung mit dem Netzwerk an Regeln und Ordnungen, in das man hineingeboren wird, und die Gedanken von Wilhelm Busch zum Thema Recht und Gerechtigkeit “Man ist ja von Natur kein Engel.”
Sprenger zeigt: In seinen Romanen, Aufsätzen und Briefen geht Theodor Fontane immer wieder auf die mannigfaltigen Verstrickungen der Menschen in vorgegebenen Ordnungsstrukturen des gesellschaftlichen Miteinanders ein – seien es staatliche Vorschriften, seien es gewachsene Traditionen.
Einerseits sieht Fontane das Recht in einer ständig schwankenden Gestalt, andererseits anerkennt er, daß der Mensch sich in geltende Ordnungsstrukturen fügen muß, um das Ganze, dessen Teil er ist, nicht zu gefährden. Allerdings betont Fontane auch die Notwendigkeit der Fortentwicklung von Gesetzen und gesellschaftlichen Regeln und die Bedeutung des Gewissens, das sich im Konfliktfall gegen Regeln und Vorschriften stellen kann. Fontane vertritt die weise und richtige These, daβ es nur eine “Einzelfallgerechtigkeit” gibt, denn nach seiner Auffassung ist in den festen Prinzipien “ein Zug zum Unmenschlichen” enthalten. Deshalb läßt er den alten Stechlin sagen:
“Ich gehöre zu denen, die sich immer den Einzelfall ansehen.” (Der Stechlin, S. 436).
Wilhelm Busch, der dem Denken des Philosophen Arthur Schopenhauer nahe stand, entschied sich bei der Frage, ob Schuld oder schicksalhaftes Geschehen festzustellen sei, gegen die These von der Willensfreiheit der Menschen.
“Es kann doch unsereiner nur denken, wie er muß.”
(Vgl. Sämtliche Werke, hg. von Otto Nöldecke, 1943,
Band VI, S. 321).
Obwohl Wilhelm Busch die Verantwortung des Menschen für sein So-Sein ablehnt, anerkennt er aber die Verantwortung für sein Handeln.
Über Hans Huckebein, den Unglücksraben, sagt Wilhelm Busch:
“Gar manches ist vorherbestimmt;
das Schicksal führt ihn in Bedrängnis,
doch wie er sich dabei benimmt,
ist seine Schuld und nicht Verhängnis.”
Wilhelm Busch meint nun, es gelte auf die Einsicht des Menschen Druck auszuüben, damit der (“böse”) natürliche Wille möglichst gezähmt wird. Sprenger stellt fest:
“Busch rechtfertigt Erziehung … weniger durch ihr Wesen als durch ihre Wirkung.” (S. 83)
Aber auch Strafe muß sein, allerdings weniger zur Vergeltung als zur Abschreckung und Vermeidung zukünftiger Straftaten (Prävention).
Sowohl bei Fontane als auch bei Busch bedurfte es der Versenkung in das Gesamtwerk, um die Haltung dieser Autoren zu Recht und Ordnung herauszuarbeiten. Dem Forscher Gerhard Sprenger ist das hervorragend gelungen.
Für Literaturfreunde seien noch zwei Beiträge Sprengers besonders erwähnt, die an die Darstellung kleiner Rechtsfälle durch Schriftsteller anknüpfen. Einmal handelt es sich um “Crainquebille” von Anatole France, zum anderen um den “Kürbisprozeß oder Gerechtigkeit fürs Volk” von August Scholtis. Im ersten Fall gerät un petit citoyen, ein ambulanter Gemüsehändler, wegen einer Kleinigkeit in das unbarmherzige Räderwerk des Polizei- und Justizapparates und endet im Elend, denn “die Justiz kann es sich nicht leisten, menschlich und gefühlvoll zu sein” (Sprenger S. 89).
Im zweiten Fall entsteht aus dem in Schenkungsabsicht ausgeführten Kürbis-Diebstahl einer armen Dorfbewohnerin eine verzwickte Rechtsangelegenheit, weil sich Unklarheiten einer unsicheren Rechtspflege und menschliche Unzulänglichkeiten dank der Einschaltung eines “Winkeladvokaten” munter mischen. Das Ganze ist als ein Plädoyer für die armen, ungebildeten und ausgebeuteten Leute auf dem Lande, “die immer und überall die Verlierer sind”, zu verstehen. (Sprenger S. 121)
Zum Schluß muβ auf einen Beitrag hingewiesen werden, der für mich eine kleine Kostbarkeit bedeutet. In “Über die Menschlichkeit des Scharfrichters” (S.123 ff.) stellt Gerhard Sprenger Überlegungen zu einer Betrachtung des polnischen Poeten Zbigniew Herbert an. Es geht um das Verhalten eines Scharfrichters in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts bei der Hinrichtung eines einstmals hochangesehenen Politikers. Er weist dem Delinquenten eine Stelle im Licht an:
“Hier, Euer Gnaden. Ihr werdet die Sonne im Gesicht haben.”
Ein Gnadenerweis besonderer Art … Die Achtung der Menschenwürde – hier kann man sie begreifen!
Gerhard Sprenger war ein beliebter Hochschullehrer und anerkannter Rechtsgelehrter. Aber er hatte auch die Gabe, kluge Gedanken gut und einfach auszudrücken. Neben seinem ausgeprägten Rechtsgefühl steht ein feines Sprachgefühl. Sein nachgelassenes Werk zeugt davon.
Gerhard Sprenger – “Literarische Wege zum Recht”
© 2012 Nomos Verlag, 137 Seiten, Kartoniert (TB), Deutsch Nomos - ISBN-10: 3832970649 - ISBN-13: 9783832970642
36,- €
Weitere Informationen: http://www.nomos-shop.de/
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