Abstruses Regiment

Anne Leppers „Käthe Hermann“ an den Wuppertaler Bühnen

von Martin Hagemeyer

v.l.: Lutz Wessel, Sophie Basse, Anne-Catherine Studer - Foto © Uwe Stratmann

Abstruses Regiment

Anne Leppers „Käthe Hermann“ an den Wuppertaler Bühnen
 
Inszenierung: Jakob Fedler - Bühne und Kostüme: Dorien Thomsen - Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Käthe: Sophie Basse – Irmi: Anne-Catherine Studer – Martin: Lutz Wessel.
 
 
Der Titel klingt nach Gerhart Hauptmann oder einem Fontane-Roman: „Käthe Hermann“ heißt das Stück von Anne Lepper, mit dem die Autorin gerade als Nachwuchsdramatikerin des Jahres ausgezeichnet worden ist; in der Regie von Jakob Fedler hatte es jetzt Premiere im Wuppertaler Kleinen Schauspielhaus. Und tatsächlich: Wie der altertümliche Name ist auch das Werk  in mancherlei Hinsicht nicht „modern“.
 
Erstens erzählt das Stück eine Geschichte; das ist ja nicht mehr selbstverständlich. Man könnte sagen: Es erzählt (einmal wieder) eine Familientragödie vor zeitgenössischem sozialem Hintergrund. Die verwitwete Käthe Hermann (Sophie Basse) soll mit ihren Kindern Martin und Irmi ihr Haus verlassen, dem der Abriß für den Braunkohletagebau droht. Doch sie lehnt sich auf. Verstärkt wird ihre Halsstarrigkeit durch Käthes Vergangenheit als erfolglose Künstlerin: Nachdem sie Irmi und den verkrüppelten Martin geboren hat und ihr Mann gestorben ist, konnte sie ihre Laufbahn als Ballett-Tänzerin nicht weiter verfolgen. Jetzt hat sie genug vom Einstecken – und will es allen zeigen. Nicht nur der Kohlewirtschaft,  auch ihren damals ja hinderlichen Kindern, irgendwie auch ihrem toten Hans… und überhaupt: „Den Leuten“, wie es immer wieder heißt.
 
Zweitens geht es auch um ein Thema, das bekanntlich schon frühere Epochen gern gestalteten: Selbstgefälligkeit und Weltferne.  Zwar nicht wie in der Sozialkritik des 19. Jahrhunderts etwa diejenige eines arrivierten Bürgertums. Aber doch die Eigensucht einer Gescheiterten, die sich als Opfer berechtigt sieht, sich nun im Gegenzug alles und jeden nutzbar zu machen.   
Und an dieser Stelle wird es Zeit, konkret zu werden und die Inszenierung näher vorzustellen. Denn Regisseur Fedler richtet in seiner Inszenierung den Fokus in jeder Hinsicht auf ebendiese Eigenschaft Käthes. Sophie Basse in der Titelrolle thront für den Großteil der Aufführung meterhoch über den anderen - und in anderen Sphären. Ein schwarz gehülltes Podest, zugleich Herrschafts-Sitz und monströses Ballkleid: ein gewaltiges Bild, eine tolle Bühnenidee (Bühne und Kostüme: Dorien Thomsen). Und so wie diese Situation denkbar direkt ihre Ab-Gehobenheit umsetzt: so gibt auch Sophie Basse die Käthe ganz als Narzißtin mit dem Gestus einer gütigen Monarchin. Huldvoll dirigiert sie ihre längst erwachsenen Sprößlinge, die allabendlich herhalten müssen als Publikum und Bühnentechniker in einem, wenn sie tanzt und ihre Karriere so ersatzweise im Wohnzimmer durchexerziert. Rührend ist diese Träumerei hier nicht im geringsten. Sondern: die schiere Diktatur.
 
Zuckend spuren da unten Anne-Catherine Studer und Lutz Wessel auf Mutters knappe Handbewegungen hin, als wären es ferngesteuerte Stromschläge. Und halb komisch bewegt Wessels gelähmter Martin sich mühsam auf einem rollenden Brett als verfremdetem Rollstuhl über die Bühne. Aber Schläge verteilen kann Käthe Hermann auch verbal in Vollendung: „Wie kann ein so schöner Mensch wie ich so ein Kind bekommen haben?“, sinniert sie lächelnd mit Blick auf ihren Sohn, den „Krüppel“. Und spätestens wenn sie hier nachtritt, zuckt’s auch beim Zuschauer: „… Vielleicht vertauscht?“
 
Bei der Textgestaltung: Da ist nämlich Schluß mit aller Hauptmann-Parallele. Käthes Reden stecken voller Bosheiten, die in ihrer Überzogenheit so gar nicht naturalistisch sind: „Du hast doch Arme?“, beschwert sie sich, als Martin den Plattenspieler nicht bedienen mag. Stimmt, er hat ja nur keine Beine. Das ist nicht mehr frech, sondern grotesk. Und Autorin Lepper, die übrigens in Wuppertal studiert hat und wieder hier lebt, zeigt erstaunliches Talent für Groteskes.
Anne-Catherine Studer spielt Irmi, obwohl die sich im Stück ihrerseits gegen die Mutter auflehnt, so gesehen ganz als gelehrige Schülerin. Harmlos kommen die eifrigen Rundumschläge daher, in ihrem Tonfall als Mädchen mit Sinn fürs Praktische: Eine Bombe wäre für das Haus, verglichen mit dem Auszug, das bessere Unglück, denn die „hätte Gelegenheit, hier alles zu zertrümmern.“ Logisch.
Allerdings: Am Ende ist Irmi tot. So wie diese Auskunft hier den Leser überrumpelt, so tut es auch die Inszenierung: Auf einmal hängt Irmi kopfunter vom Gerüst. Und Käthe, dieser Prototyp des Opfers, das zur Schein-Heiligen wird, Mutter Käthe bleibt dann doch die Meisterin im Zynismus und lächelt: „Jetzt hat uns die Irmi eine Möglichkeit gegeben, zu trauern.“ – Triumph der Heuchelei und Selbstmord durch Erhängen: Also doch wieder klassisch.   

Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de