Auf historischen Spuren durch Venedig

Donna Leon – „Himmlische Juwelen“

von Ingrid Wanja
Auf historischen Spuren
 
Was sind sie also, die „Himmlischen Juwelen“, über die Donna Leon zwischen dem zwanzigsten und (hoffentlich) einundzwanzigsten Fall von Commissario Brunetti ein Buch geschrieben hat? Für die junge Musikwissenschaftlerin Caterina Pellegrini sind es die Arien, deren Noten sie in den ihr zur Erforschung des Inhalts überantworteten Truhen zu finden hofft. Für die Nachkommen der Cousins des Barockkomponisten Agostino Steffani sind es Edelsteine, die sie ihrem schon beachtlichen, wenn auch unrechtmäßig erworbenen Vermögen hinzufügen wollen. Für den Advokaten Moretti, und er ist der einzige, der zufrieden gestellt wird, sind es Reliquien, Knöchlein und Holzsplitter vom Kreuz Christi, in denen aus welchen Gründen auch immer, der Abbé, Diplomat und Musiker sein Geld angelegt und die er im doppelten Boden einer der Truhen versteckt hatte. Die Heldin des Buches ist die bereits erwähnte Caterina, die Züge von Brunetti in der Art, wie sie Untersuchungen durchführt, aber auch solche von Donna Leon und Cecilia Bartoli hat, die den Anstoß zum Schreiben des Romans gab. Wie in den Krimis finden wir viele Ortsbeschreibungen von Venedig; seine Eßkultur, seine Weine, die kritische Haltung gegenüber der italienischen Gesellschaft und hier insbesondere dem Klerus (Opus Dei) nehmen beträchtlichen Raum ein. Wie in ihren bisherigen Büchern läßt sich Donna Leon viel Zeit, vertraut auf die Bereitschaft des Lesers, sich behaglich auf ihren Stil einzulassen. Wie immer kokettiert sie auch etwas mit ihren Italienisch-, dazu hier noch mit ihren Musikkenntnissen.
 
Es wird eine Fülle von Wissen vermittelt, das sich teilweise übrigens auch im Programmheft zu Bartolis Arienkonzert findet. Der Lebensweg Steffanis wird akribisch von Caterina und damit zuvor von Leon und Bartoli recherchiert, die Verwicklung in die Affäre um die Ermordung des Grafen Königsmarck, Geliebter der späteren englischen Königin Sophie Dorothea, seine Bemühungen um eine Rekatholisierung der norddeutschen Länder, insbesondere Hannovers. Daß er kastriert und deshalb sehr unglücklich war, will die Heldin des Romans aus der Bezeichnung „musico“ für ihn ableiten. Damit es auch etwas kriminalistisch-gruselig wird, kreuzt ein als sich harmlos herausstellender Mann im nächtlichen Venedig den Weg der Romanheldin. Viel Raum nehmen die Mails ein, die Caterina mit ihrer Schwester, einer in Tübingen lehrenden Nonne, wechselt und die die Möglichkeit bieten, die kritische Haltung gegenüber der katholischen Kirche zu untermauern.
 
Das besondere Geschick der Schriftstellerin besteht auch darin, daß sie kunstvoll die kriminalistischen Handlungen von barocker Vergangenheit und Gegenwart ineinander verwebt, daß sie, obwohl eigentlich nichts Sensationelles passiert, die Spannung bis zur letzten Seite des Buches halten kann. Ob allerdings Caterina, wie der Schluß es vorsieht, ihr Glück in Petersburg finden kann, bleibt bei der heißen Venedig-Liebe der Autorin und ihrer Figur zu bezweifeln.     
 
Donna Leon – „Himmlische Juwelen“
© 2012 Diogenes Verlag, 304 Seiten Leinen, ISBN 978-3-257-06837-5
€ (D) 22.90 / (A) 23.60 / sFr 32.90

Weitere Informationen: www.diogenes.ch
 
 
© Ingrid Wanja – Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis von
„Der Opernfreund“