Handgriffe der Empathie

Krzysztof Juretko zeichnet Enric Rabasseda

von Andreas Steffens
Am 18.11.2012 wurde mit einer eloquenten
Einführung
von Dr. Andreas Steffens die
Wuppertaler
Ausstellung mit Bildern von
Krzysztof Juretk
o zu Enric Rabasseda
eröffnet. Wir haben das Privileg, hier die
von der Lokalpresse ignorierte Rede des
namhaften Wuppertaler Philosophen

veröffentlichen zu dürfen.


Handgriffe der Empathie
Krzysztof Juretko zeichnet Enric Rabasseda
 
Eröffnung der Ausstellung: Krzysztof Juretko:
Innere Bewegtheit. Zeichnung und Film
BKG-Studio, Wuppertal, 18.11.2012
 
Künstlervereinigungen sind Zweck- und Interessensverbände, man geht zusammen, weil man gemeinsame Ziele hat, und ermöglicht sich gegenseitig, sie zu erreichen. Freundschaften untereinander kommen dabei vor, sind aber eher die Ausnahme.
So ist es eine Besonderheit, die man nicht genug rühmen kann, daß die Freundschaft, deren Zeugnisse in dieser Studio-Ausstellung versammelt sind, in den Reihen der BKG entstand. Diese Ausstellung durchbricht in besonderer Weise die berufstypische Egomanie des Künstlers als des einsamen Individuums, das in der Abgeschiedenheit seines Ateliers an seinen Manifestationen arbeitet. Es ist keine gemeinschaftliche Ausstellung; und doch bezeugt sie eine Gemeinsamkeit, wie sie seltener kaum sein könnte: ein Künstler gewährt einem anderen nicht nur Einblick in seine Arbeit im Prozeß ihres Entstehens, sondern gestattet ihm über mehr als ein Jahr, ihn selbst dabei zum Gegenstand von dessen eigener Arbeit zu machen.
Eine denkbar schwierige Situation: nicht nur gleichzeitig im selben Raum am Eigenen zu arbeiten, sondern sich dabei ununterbrochen auf den jeweils anderen zu beziehen. Selbst Künstlerpaare vermeiden das für gewöhnlich, und wenn es durch die Beschränktheit äußerer Umstände doch dazu kommt, wird es nur zu schnell zum Anlaß von Konflikten. Was Rabasseda und Juretko sich auf diese Weise ebenso gewähren, wie gegenseitig zumuten, ist allein schon etwas Ungewöhnliches; äußerst Selten sind die Ergebnisse dieser Begegnung. In der Kunst aber zählen schließlich nur die Hervorbringungen, nicht deren Umstände.
Auf den ersten Blick handelt es sich um Portraits. Die Zeichnungen erfassen einen Künstler in seinem Arbeitsprozeß.
Ein Portrait ist Ausdruck der Sympathie, oder der Verachtung: soll es gut sein, muß es entlarven, ohne bloßzustellen: es muß zeigen, was einer ist, nicht, wie einer gesehen werden will. Das braucht Mut auf beiden Seiten. Der Portraitierende muß bereit sein, alles zu sehen, auch das Unansehnliche; der Portraitierte muß bereit sein, alles an sich entdecken zu lassen. Deshalb sind Portraits als Auftragsarbeiten zwar die einträglichsten, aber um den Preis, zugleich die schwierigsten zu sein: das Bild darf nicht diplomatisch, sein Autor muß es dafür um so mehr sein.
Die hier versammelten Portraits stehen außerhalb dieser Problematik. Nicht nur, weil sie keine ‚klassischen’ Portraits sind, so sehr ihr zeichnerischer Duktus auch auf den ersten Blick genau danach aussieht; sie gehen über das übliche Portrait weit hinaus, denn was sie zeigen, ist kein Bild eines Menschen. Sie sind vielmehr Momenterfassungen des Bildes, als das der eine Künstler in der Wahrnehmung des anderen erscheint, während er diesen bei der Arbeit beobachtet.
Hier gibt es kein Modell. Der Portraitierte erscheint auf jedem Bild wie abwesend, ganz in sich selbst versammelt, ohne Beziehung weder zu dem, der ihn zeichnet, noch zu denen, die seine Bilder sehen werden. Er ist abwesend. Gerade, weil er in einer äußerst gesteigerten Anwesenheit erfaßt ist: in der aufs höchste konzentrierten Überlassung an seine Arbeit. Der einzige Blick, den der Betrachter zu sehen bekommt, ist der des Zeichners; kein einziger des Gezeichneten wendet sich ihm zu. So entfällt das Merkmal des klassischen Portraits.
Die über das Papier hetzenden Linien, Striche, Hiebe, Wischungen, sie verdichten sich zu Wahrnehmungsprotokollen, nahezu erfaßt in ‚Echtzeit’.
Sie zeigen einen Menschen in heftiger Bewegung, und sind das Produkt eines anderen, der in ebenso heftiger Bewegung festhielt, was er mit-erlebte: Graphismen der Empathie.


      Der Mensch in Bewegung – das ist das treibende Motiv des Malers ebenso wie des Zeichners Juretko nun seit Jahrzehnten: äußerlich des sich im Raum bewegenden Tänzers, innerlich des Charakters eines Portraitierten. Was beide Motivgruppen miteinander verbindet aber, ist die Emotion in ihrer doppelten Strahlrichtung: vom Motiv zum Künstler, vom Künstler zum Motiv. Während es in den Tanzzeichnungen die Emotionen des Tänzers sind, die sich in seinen Figurationen formen, die die Wahrnehmung des Künstlers in seine graphische Gestik überträgt, ist es in diesen Bildern die eigene Emotion des Künstlers: die eigene innere Bewegung, die entsteht, während er sich ganz der in die eigene Hand laufenden, ihrerseits hoch emotional verdichteten Aktion des bei dessen Arbeit beobachteten Freundes im Atelier überläßt. Die in den Zeichnungen zum graphischen Geflecht erstarrte Bewegung, die in jenem Geflecht hin und her fließt, ist ein hoch energetisches Überspringen der Bewegung aus der einen Arbeit in die andere: dauernd getrennt, und doch eine Einheit erzeugend, solange die Situation dauert.
Das kann nur mit der Zeichnung erreicht werden. In ihr setzen die Impulse des Hirns sich unmittelbar in die Handlung der Hand um. So entstehen graphische Protokolle einer hochgradigen Intimität der Wahrnehmung eines anderen Menschen in dessen ungeschütztester Intimität der eigenen Entäußerungshandlung, die jeder künstlerische Prozeß ist. Genau deshalb schützt der arbeitende Künstler sich mit geschlossenen Räumen, zieht er sich in die Einsamkeit zurück.
Die Digitalisierung unserer Alltagswahrnehmung hat die Fotografie, die elektronische Simulation, zum Maß aller Bildlichkeit gemacht: an diesen Zeugnissen eines hochkomplexen Psychographismus zeigt sich, welche Verarmung damit einhergeht: das technische Bild einer vorgetäuschten Wirklichkeit kann nur Abbilder des Ungesehenen schaffen, aber nichts zeigen; als Protokoll einer intensiven inneren Bewegung, in der alle menschlichen Wahrnehmungs-, Gefühls- und Reaktionsmöglichkeiten ineinander greifen, kann die Zeichnung das Unmögliche leisten, und etwas sichtbar machen, das sich keinem Auge, keinem organischen, noch technischen, jemals direkt, ungeschützt präsentiert.
Die Verdichtung von Wahrnehmung und Produktion im Sekundentakt, die Juretko in diesen Zeichnungen gelingt, schafft eine Dynamik, die noch über das erstarrte Produkt, die Zeichnung auf dem Papier, hinausdrängt. So sehr, daß es in diesem Prozeß um die Zeichnungen selbst gar nicht geht. Vielmehr um das, was sich in ihnen zeigt, ohne abbildbar zu sein, was sie bezeugen.
Worauf sie abzielen, und was sie erreichen, das erschließt sich erst in der eigenen imaginativen Nachwirkung beim Betrachter, der die Zeichnungen in der ihnen angemessenen Geschwindigkeit und seriellen Geschlossenheit hat auf sich wirken lassen: dann verdichten sie sich mit einem Mal, und werden zu dem, was keine Zeichnung für sich alleine leisten kann, zum intimen Portrait eines Menschen. Dann sieht man mit einem Mal in vollkommener innerer Klarheit das Bild, nach dem sie alle suchen, in sich selbst: und man kann einen Menschen kennenlernen, ohne ihm je begegnet sein zu müssen.


Krzysztof Juretko - Foto © Musenblätter
Das ist eine große Leistung, und eine heikle Sache. Beide agierten ungeschützt, bis zur Entblößung, und traten sich dabei doch nie zu nah.
Zugleich aber ist diese Serie das bewegende Dokument eines beeindruckenden Alterswerkes: ein intimes Protokoll der Mühen seiner Entstehung, indem sie die Kraft, die dabei, den Altersgebrechen täglich neu abgetrotzt, wirkt, spürbar werden läßt. So ist sie auch eine Verbeugung vor dem Lebenswerk Enric Rabassedas und dem – ungebrochenen – Eigensinn, der es hervortrieb.
Die ‚Handgreiflichkeit’ der Gegnerschaft ist zerstörend; die der Freundschaft bewahrend.
 

 
© 2012 Dr. phil.habil. Andreas Steffens
andreassteffes@gmx.net