Krisenbewältigung ohne EU-Rettungsschirm

Dessau: Die Lustige Witwe

von Alexander Hauer
Krisenbewältigung ohne EU-Rettungsschirm
 
Dessau: Die Lustige Witwe
 


Griechenland, Italien, Spanien! Und jetzt auch noch das kleine Pontevendrino. Alle Pleite! Aber anders als bei den EU-Ländern hilft dem kleinen Balkanstaat kein Rettungsschirm. Also was tun? Es gibt nur eine Rettung. Hanna Glawari, Witwe des Hofbankiers, und 20 Millionen schwer, muß ihr Vermögen in die kleine Monarchie pumpen. Also muß sie heiraten, und zwar einen Pontevendriner, damit das Vermögen im Lande bleibt.
 
Johannes Zametzer verlegt Franz Lehárs „Witwe“ in unsere heutige Zeit. Und das, ohne daß das Werk auch nur den kleinsten Schaden nimmt, Staatspleiten sind ja keine Erfindung der Neuzeit. Den Besuchern der Uraufführung war der griechische Staatsbankrott von 1893 sicherlich noch in Erinnerung. Also hat die „Witwe“ auch heute einen aktuellen Zeitbezug.

In der pontevendrinischen Botschaft weiß man ob der finanziellen Probleme, aber man ignoriert sie und feiert ein rauschendes Gartenfest in der Umbaubaustelle. Der Champagner fließt in Strömen, Leichen im Pool werden genauso ignoriert, wie fächerbewehrte Nobelschneider. Man feiert sich, man genießt diesen Tanz auf dem Vulkan, denn wer weiß, was morgen ist. Und dann landen die 20 Millionen, und die gesamte Männerwelt stürzt sich auf sie wie eine Löwenmeute auf eine Gazelle. Die Männer kommen bei Zametzer nicht gut weg. Leicht debil, gierig und etwas ungeschickt sind die alle. Ganz im Gegensatz zu den Damen, die genau wissen was sie wollen, und vor allem, was sie nicht wollen. Da ist Valencienne, Gattin des Botschafters Baron Mirko Zeta, je öfter sie beteuert, daß sie eine anständige Frau ist, umso unglaubwürdiger wird sie. Ach ja, im Gegensatz zu Obst sind viele Frauen erst dann wirklich gut, wenn sie gänzlich verdorben sind. Und Cornelia Marschalls Valencienne ist ein ganz bezauberndes Früchten. Mit lyrischen Sopran, tänzerischer (Hoch)Begabung und gänzlich unsubtiler Erotik umgarnt sie nicht nur ihren Gatten, Gerald Fiedler gibt den Baron mit solch einer Präsenz, daß sängerische Mängel, er kommt ja auch vom Schauspielensemble, mehr als wettgemacht werden. Bei allem diplomatischen Geschick, die „diplomatischen“ Winkelzüge seiner Angetrauten erkennt er nicht.

Hanna Assoluta!

Der vom Baron bestimmte Mann für die Glawari ist Graf Danilo. Wiard Withold ist das Gegenteil der üblichen Danilodarstellung. Der 2-Meter-Schlaks orientiert sich eher an dem Ur-Danilo, und das war nicht Johannes Heesters. Louis Treumann spielte den Danilo als Komiker und Withold steht ihm in
nichts nach. Unbeholfen, ständig das Hemd aus der Hose hängend, ist er mehr „Kasper“ als Latin Lover. Stimmlich klingt er gänzlich anders als Treumann. Sein Bariton lebt von einem feinen Schmelz, höhensicher und tiefenfest. Er schont seine Stimme nicht, bellt die „Königskinder“ aggressiv wie ein gereizter Kampfhund, und säuselt die schweigenden Lippen wie ein verliebter Pennäler. Sein Gegner im Kampf um die Damen ist Artjom Korotkov. Der junge Tenor gibt den Pariser ganz mit französischem Charme und sicherem Stimmmaterial. Sein Menjou-Bärtchen scheint ein Frauenmagnet zu sein, sein Tenor ist klar und fest wie Emaille.
 
Ja, und da ist noch sie. Sie, die 20 Millionen, die lustige Witwe. Angelina Ruzzafante lebt dieses kapriziöse Luxusweibchen. Selbstbewußt weiß sie, wie sie die Männerwelt steuern kann. Der voreheliche Kampf, das Aufwärmen einer, aus familiären Gründen gescheiterten Beziehung, mit Danilo wird zu einer köstlichen Kapriole.
 
Der Seine und der Liebe Wellen
 
Der zweite Akt führt dann nicht in den Palast der Glawari, sondern auf ihre Yacht im Pariser Hafen.
Legt Angelina Ruzzafante im ersten Akt die Latte schon sehr hoch an, spätestens beim Vilja-Lied triumphiert sie vollends. Perfekt gesungen, ohne das sonst so übliche Opernpathos, erntete sie in der Premiere begeisterten Zwischenapplaus. Gerhard Mayers Bühnenbild besticht auch hier. Ein hochseetüchtiger Segler, in seiner ganzen Länge, füllt die Bühne. Der kleine Pavillon in dem die Rosenknospe so schön erblühen kann, wird ganz profan, aber absolut stimmig, zur Unterdeckkabine.
 
Die Party geht weiter
 
Im dritten Akt hat man dann den Garten der Botschaft wieder neu dekoriert. Das Dessauer Bühnenportal en miniature, mit dem Glitzervorhang aus „Moulin Rouge“ ist der Rahmen für die Grisetten. Angeführt von der bezaubernden Valencienne singen, tanzen und spielen sich die Damen des Balletts in hollywoodreifen Kostümen endgültig in die Herzen der Zuschauer. Zum Finale sind alle glücklich. Alle? Der Baron ist von der Treue seiner Frau überzeugt, Valencienne weiß dies zu nützen, Hanna hat endlich ihren Danilo, das kleine Land ist gerettet. Nur der Njegus, Danilos Sekretär, der sich im zweiten Akt als Sekretärin herausgestellt hat, geht leer aus. Aber beim Charme von Kristina Baran wird das sicher kein Dauerzustand sein.
 
Überragende musikalische Leistungen
 
Helmut Sonnes Chor zu loben, hieße Eulen nach Athen tragen. Dieser Chor ist immer eine Augen-
und Ohrenschmaus. Aber in der Witwe laufen sie zur Höchstform auf. Jedes Chormitglied spielt seine eigene kleine Solorolle, grade so wie es die vergnügungssüchtige Gesellschaft eben verlangt. Tomasz Kajdanskis Ballett hat genügend Gelegenheit sich zu präsentieren. Egal ob als fischschwänzige Ballsirenen im Botschaftspool, als Grisetten im Garten-Moulin Rouge, oder als „Volkstänzer“, zusammen mit den leider zu kurz gekommenen Herren im zweiten Akt, seine Choreographie besticht immer durch Charme und Präzision.
Was für den Chor gilt, hat auch bei der Anhaltischen Philharmonie Gültigkeit. Unter Wolfgang Kluges Dirigat, spritzig und voller Klangerotik, unterstützen sie das Sängerensemble, bilden sie einen Klangteppich, auf dem es sich prächtig flanieren läßt. Die musikalische Leistung, die ausgeklügelte Regie von Johannes Zametzer, das Bühnenbild von Gerhard Mayer und das opulente Kostümbild von Katja Schröpfer machen diese Witwe sicherlich zu einem Dauerbrenner und Publikumsliebling der Dessauer und der vielen Theaterfans, die von weither anreisen, um First Class Theater zu erleben.
 
Musikalische Leitung                                                               Wolfgang Kluge
Inszenierung                                                                             Johannes Zametzer
Bühne                                                                                        Gerhard Mayer
Kostüme                                                                                    Katja Schröpfer
Choreographie                                                                         Tomasz Kajdanski
Chor                                                                                           Helmut Sonne
Dramaturgie                                                                             Sophie Walz

                                                                                                
Baron Mirko Zeta, pontevedrinischer Gesandter in Paris    Gerald Fiedler
Valencienne, seine Frau                                                          Cornelia Marschall
Graf Danilo Danilowitsch                                                         Wiard Witholt
Hanna Glawari                                                                          Angelina Ruzzafante
Camille de Rosillon                                                                  David Ameln | Artjom Korotkov
Praskowia genannt „Njegus“, Sekretär                                  Kristina Baran
Cascada                                                                                   Jan-Pieter Fuhr
St. Brioche                                                                                Filippo Deledda
Bogdanowitsch                                                                        Alexander Dubnov
Sylviane                                                                                    Anna-Maria Tasarz
Kromov                                                                                     Cezary Rotkiewicz
Olga                                                                                          Jagna Rotkiewicz
Pritschitsch                                                                              Leszek Wypchlo
Grisetten                                                                                 
Lolo                                                                                          Anna-Maria Tasarz
Dodo                                                                                        Mélanie Legrand
Jou-Jou                                                                                    Annelies Waller
Frou-Frou                                                                                Anna Jo
Clo-Clo                                                                                    Bobby Bernstein
Margot                                                                                     Charline Debons
                                                                                                 Anhaltische Philharmonie Dessau
Opernchor des Anhaltischen Theaters
Ballettensemble des Anhaltischen Theaters
 
Bilder von Claudia Heysel
Besuchte Vorstellung: Premiere am 3. November 2012
 
Weitere Informationen: /www.anhaltisches-theater.de