Im Weißen Rössl

Die Originalaufnahmen bei Duo-Phon und SEPIA

von Peter Bilsing
Im Weißen Rössl
(am Wolfgangsee)

"Avantgardistische Kitsch-Kunst"
 
Originalaufnahmen des legendären Stücks
bei Duo-Phon und SEPIA
 





Frecher und greller war Operette nie - Biederkeit adieu
 
Was am 8.November 1930 im Großen Schauspielhaus von Berlin für ein gigantisches Spektakel vor sagenhaften 3.300 Zuschauern stattfand und 416 ausverkaufte Folgevorstellungen erlebte, können wir uns heute kaum ansatzweise vorstellen. Niemals zuvor und danach wurde für eine Operette ein solcher Aufwand betrieben; allein das 250-Mann-Orchester (Großes Sinfonie-Orchester, Jazz-Big-Band und Zithergruppe) hätte in kein Opernhaus gepaßt. Was viele Operettenfans nicht wissen ist, daß dieses "Weiße Rössl" in der Originalfassung nun rein gar nichts mit kitschigem Wolfgangsee-Ambiente oder folkloristischem Salzkammergut je zu tun hatte. Die Urvorlage, jenes Alt-Berliner Lustspiels von 1896 von Oskar Blumenthal, war eigentlich historisch korrekt in Bad Ischl ansässig, wo der Autor regelmäßig eingekehrt war. Sehr clever brachte die Wirtin vom Rössl am Wolfgangsee ihre Pension in den 1926-er Stummfilm ein und ward seitdem quasi per populistischer Akklamation als falsches Original bestätigt.
 
Unglaubliche Dimensionen hatte das Berliner Schauspielhaus
 
Tatsache ist, daß diese Singspiel auch nicht den geringsten Anneliese-Rothenberger-Charme hatte; von Jopie Heesters´ oder Peter Alexanders Umarmungen ganz zu schweigen; auch daß die Österreicher sie quasi als Nationalgut später vereinnahmt haben, ist eher peinlich. Es war eine frech, frivole und aufwendig durchchoreografierte höchst ironische Revue, die von sexuellen grellen Anspielungen nicht nur in den Kostümen nur so durchzogen war und deren einmaliger, schon stellenweise gigantischer Sound die Besucher einfach mitriß. Brigitte Tautscher spricht von der "ultimativen schwulen Trash Operette - witzig, bunt, mit vielen Jungs in knackigen Lederhosen und Girls in prallen Dirndln".
 
Der große Benatzky-Fachmann, Gründer und Chef des Operetta-Research-Centers in Amsterdam, Kevin Clarke, spricht von "metrosexueller Mischung" und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Es gilt die Ironie-Signale zu finden. Der lustgeile Jodler der Lederbuam war so brillant und überzeugend, daß er später als Tonkonserve sogar in die französische und englische Fassung mit übernommen wurde.
Pars pro toto ein herrliches Musikbeispiel: "Und als der Herrgott Mai gemacht" - hier in der Version mit Siegfried Arno.
 
Dermaßen unverhohlen und harmlos naturbebildert, untermalt von tirilierendem Vögelgezwitscher, wurde Oral-Sex selten proklamiert.
Was nun Meisterregisseur Erik Charell da auf die Bühne brachte, war aber nur ein halber und bearbeiteter Benatzky, der aber dann letzten Endes soviel Geld bekam, daß er sich nicht weiter über die Veränderungen aufregte.
 
Pecunia non olet
 
Der große Operettenkomponist Eduard Künneke (damals ziemlich pleite) hatte unter strenger Geheimhaltung die Instrumentierung von Benatzkys Manuskript (Fassung für Singstimme und Klavier) übernommen, und sich dabei auch persönlich eingebracht. Charell folgte seiner erfolgreichen Praxis, möglichst viele andere Komponisten und Tages-Hits auch noch im jeweiligen Stück unterzubringen. Der "Sigismund" war von Robert Gilbert. Stücke von Robert Stolz und Bruno Granichstaedten waren ebenso dabei, wie Anspielungen an Franz von Suppé, Hans von Frankowsky und Jack Meskill. Natürlich durfte auch volkstümliches Liedgut nicht fehlen.
Wer in diese wahnsinnig gut erhaltenen und digital überarbeiteten Aufnahmen von 1930 und 1931 hineinhört, wird staunen. Läßt dieser Sound doch alles vergessen, was wir so in den letzten 80 Jahren an Rössl-Musik gehört haben und was später meist leider nur im Einheitsklangbrei komödiantisch verblödender Biederkeit auf den Theatern inszeniert wurde. Mit Herzschmerz-Folklore aber oder dem Komödienstadel der Volksmusik hat diese geradezu kongeniale Revue-Operette aber herzlich wenig zu tun. Was jeder Operettenfreund auf diesen CDs herzerfrischend abhören und nachvollziehen kann. Biederkeit adieu! Her mit der geilen Sause... Warnung aber an alle Mörbischianer: Herzkasperlgefahr!
 
Gehen wir in medias res, wobei ich mich auf die Songs aus den Jahren 1930/31 beschränke. Die CD bietet noch einiges Fulminantes mehr: Achten Sie einmal darauf, wie ungeheuer schmissig das Eingangs-Potpourri I und II gespielt wird. Da reißt es auch jeden noch so ollen Kritiker aus dem Ohrensessel. Ich habe es noch nie so phantastisch gehört vorher. Und was mit "lustig sein" wirklich gemeint ist, untermalen die penetrant dazwischen zwitschernden Vöglein schon ziemlich klar und recht eindeutig. Und - Hand aufs Herz: "Oh du mein Österreich" Ist wunderbar gespielt!
 
Einmalig in allen seinen Details ist das Titellied vom absolut brillanten Max Hansen. So muß es klingen - das sind Operettensänger; tadellos in der Höhe, und immer und irgendwie klingt alles nach fröhlicher Ironie, wie blödsinnig der Text auch sein mag. Man möchte es Hunderte Male hören.
Bitte achten Sie auf den "saugeilen" und höchst anzüglichen Jodler der Buschen beim Schnadahüpfl-Duett mit Max Reichart. Schärfer wurde nie gejodelt. Oder hätte ich Jodeln in Anführungszeichen setzen sollen? „Und als der Herrgott Mai gemacht" - was für eine begnadete Interpretation. Cha Cha cha... bumm bumm.
"Es muß was Wunderbares sein..." Eine Neufassung von Benatzkys "Das war die Spinnerin am Kreuz" in der tollen Textversion von Robert Gilbert hier in der fabelhaften Interpretation wieder von Max Hansen (mit richtigem hohem "C" am Ende)!
 
"Die ganze Welt ist himmelblau" - allerdings nicht für Robert Stolz. Oh welch Ärgernis bereite ihm diese grinsend schwülstige Gilbert-Version. "Das Lied vom Zuschau´n" ist mit Max Hansen und dem Wiener Schrammel Quartett einfach ein historisches Gedicht.
 
"Was kann der Sigismund dafür..." - hoch das Tanzbein! Mehr Feuer und Tempo gab es sicherlich im legendären Cotton Club auch nicht. Warum ist so etwas eigentlich heute so schwer nachzuspielen?
"Mein Liebeslied muß ein Walzer sein" - schon wieder eine "böse" Interpretation. Da hieß es für Stolz schon wieder: ärgern, ärgern, ärgern... Aber was für ein herrliches tenorales Süß-Gezwitscher von Walter Jankuhn. Ein Walzer für den Männerball. Gibt es sowas in Wien eigentlich? In Köln und Berlin bestimmt.
Natürlich muß auch erfolgreiche Filmmusik sein: "Es ist doch nicht das letzte Mal..." ist die deutsche Version von "There´s a Danger in your Eyes" aus dem damals sehr erfolgreichen MGM-Film „Puttin On The Ritz“, welches Walter Jurmann mit Zarah-Leander-Stimme mehr als begnadet singt, untermalt vom bravourösen Sound des Joe-Sargent-Tanz-Orchesters.
Die wirklich liebevoll zusammengestellte CD bietet noch französische und englische Versionen, sowie als Bonustracks den "Sigismund" von Paul O´Montis mit Klavierbegleitung, eine Rauschliedbearbeitung ("Schlager, Geld und Völkerbund") sowie "Draußen im Schönbrunner Park".
Das Booklet ist informationsreich, aber angesichts des vorhandenen Materials doch reichlich seitenarm bemessen. Dennoch einige wunderbare historische Bilder.
 
Nun zur zweiten CD:
 
Die Sepia CD hat ein erheblich umfangreicheres und interessanteres Booklet mit tollen Bildern, aber leider nur auf Englisch - das ist bedauerlich. Es sind die Originalaufnahmen der Zweitverwertung London 1931, Aufnahmen gesendet via RCA Radio Magic Key von 1936. Darüber hinaus gibt es Nummern von der BBC aus dem Radio Broadcast vom 15.11.1959 - aber alles sind originale Aufnahmen und stammen aus dem Jahr 1931. Teilweise sogar noch in der Berliner Premierenbesetzung. Diese CD ist die ideale Ergänzung zur vorherigen. Ebenfalls ein audiophiles Kleinod.
Gerade mal 16 Euro für jede dieser historischen Juwelen sind praktisch geschenkt; ist doch ihr Sammlerwert geradezu unermeßlich.