Aida in Krefeld

Versuch an einer großen Oper - mit Erstaunen gehört

von Peter Bilsing

 

 

AMNERIS in Krefeld 

Versuch an einer großen Oper


Premiere 7.9.2007 / Vereinigte Bühnen Krefeld & Mönchengladbach

Musikalische Leitung: Graham Jackson  -  Inszenierung: Bruno Klimek  -  Bühne: Thomas Armster  -  Kostüme: Uta Winkelsen  -  Choreinstudierung: Heinz Klaus  -  Dramaturgie: Ulrike Aistleitner  -  Fotos: Matthias Stutte

König: Hayk Dèinyan  -  Amneris: Anna Maria Dur / Szenisch: Susan Maclean  -  Aida: Janet Bartolova  -  Radamès: Timothy Simpson  -  Ramphis: Matthias Wippich  -  Amonasro : Christoph Erpenbeck  -  Tempelsängerin: Debra Hays  -  Ein Bote: Jerzy Gurzynski


„Der Irrtum wiederholt sich immerfort in der Tat. Deswegen muß man das Wahre unermüdlich in Worten wiederholen.“ (Goethe, aus „Kunst und Altertum“)

Hauptsache "Aida"...

Jetzt haben auch die Krefeld-Mönchengladbacher Geschwisterbühnen endlich wieder eine AIDA. Ob das Sinn macht und man damit letztenendes glücklich wird, darf angesichts dieser Premiere durchaus bezweifelt werden - oder auch nicht; es hängt von der Sicht- und Hörweise ab.

Wenn man es unter dem Aspekt „Hauptsache „Aida“ – der Rest ist uns egal“ sieht dann… nun gut, das ist die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite sollte man sich mal wieder die Frage stellen lassen, ob ein Werk, das eigentlich nur noch konzertant oder in Fußballstadien à la „Arena di Verona“ sinnvoll realisierbar erscheint, unbedingt in jedem mittleren und kleinen Stadttheater auf die Bühne gebracht werden muß? Die berechtigte Publikumsforderung „wir wollen auch eine eigene AIDA haben“, kann meines Erachtens nicht das Argument sein. Hauptkriterium bei der


Amneris im Kreis ihrer Gespielinnen - Im Hintergrund,  vorerst
noch schwarz verhüllt,  Aida
Spielplangestaltung muß sein: Haben wir überhaupt die Sänger und binden die gigantischen Dimensionen des Werks nicht viel zuviel an quantitativen Ressourcen, die dann beim Rest des Spielplans unweigerlich zu Defiziten führen müssen? Letzteres ist zu befürchten, aber noch nicht bewiesen. Die Zukunft wird es zeigen.

Das nächste Problem ist die Regie. Nach Neuenfels (Frankfurt 1981) kenne ich eigentlich nur weitere zwei geglückte Produktion in den letzten Jahrzehnten. Eine von Pet Halmen (Düsseldorf später Berlin) – sie spielte im Ägyptischen Museum in Kairo, wo nachts die Mumien lebendig wurden bzw. sich die Vitrinen öffneten, und eine weitere von Dietrich Hilsdorf (Essen), deren Kern und zentrales Element ein pompöser das ganze Haus durchziehend beeindruckender Kriegsgewinnler-Triumphmarsch war.

...auch wenn sie schäbig daherkommt

Heuer wird AIDA zur reinen Antikriegsoper umgeschrieben und die Liebegeschichte ist meist nur läppische Nebenhandlung. Es gibt anscheinend einen Wettbewerb unter den Regisseuren (Christoph Nel mit seiner „Küchenwalküre“ machte da den Anfang), prunkvolle Operninhalte möglichst schäbig, billig und einfach auf die Bretter zu stellen. Verdi wird desavouiert: Die Musik muß durch die Inszenierung schon fast konterkariert erscheinen. Statt prachtvoller Kostüme dominiert die Altkleiderabteilung von C & A. Leere Bühne statt sinnvoller Requisiten, und die Brandmauern müssen genauso sichtbar sein wie die offene Beleuchterbühnen.

In medias res: Für die Krefelder AIDA ist selbstredend auch zeitlose Moderne angesagt; Fans von


Die Stabhochsprung-Stangen der persisch-ägyptischen
Leichtathletik-Equipe
Orientalismus und Mumienschanz werden schwer enttäuscht. Freunde größerer Aufmärsche werden auch nicht zufrieden sein. Selbst für Kostümdialektiker gibt’s Schmalkost. Es gilt das „Siegfried“-Motto „Selige Öde auf (nicht)wonniger Höh“. Die Bühne von Thomas Armster ist so überwältigend raumgreifend, wie langweilig uninspirierend: eine bühnenfüllende Großtreppe, ähnlich der Raumgestaltung für eine konzertante Opernpräsentation; wenig phantasievoll!

Selige Öde

Der Einsatz von Bühnentechnik läßt sich auf zwei Mini-Aktionen reduzieren: dem Herabsenken einer gigantischen Dunstabzugshaube, welche später als Mini-Kaaba dient; und dem fahrstuhlmäßig in Zeitlupe realisierten „Verschwindibus-Trick“ im Finale, wenn Aida und Radames in den Hades hinabfahren, sprich in einem Hohlquader versenkt werden. Toll! Die Beleuchtung ist so ökonomisch sparsam, wie das kongenial einfache Prinzip einer Taschenlampe: Seitenlicht „an“, oder „aus“.

Nun zur Regie: Was Anfangs wie der Olympiakader der Stabhochspringer einer fiktiven ägyptisch/persischen Leichathletik-Equipe aussieht, entpuppt sich später als waffenstrotzendes Heer zum Kriege aufgehetzter Staatsbürger im grauen Anzug (Modestandard 70er Jahre Europa bzw. 2007 heutiger Iran). Apropos Straßen-Anzug; dieser ist für Regisseur Bruno Klimek und seine Kostümbildnerin Uta Winkelsen ein nicht nur wichtiges Ausstattungsmerkmal, sondern auch beinah dialektisches Kern-Requisit. Man entledigt sich seiner Teile (Hose, Jacke, Weste) eigentlich permanent in irgendeiner Form – mal freiwillig (Radames & die Seinen) – mal unfreiwillig (die gefangenen Äthiopier).

Anzüge zu Würsten - und: Nachtigall, ick hör dir trapsen

Es ist schon verblüffend, was man mit so einem dreiteiligen Alltagskleidungsstück alles machen kann; insbesondere mit dem Jackett. Man kann es (quod erat demonstrandum) im Takt schwenken, zur

 
Krefelder Triumphmarsch - oder: Georgie B., ick hör dir trapsen!
Wurst drehen, spontan hochwerfen oder auch drauf herumtrampeln. Wahnsinn! Später erscheinen dann auch die Frauen im Anzug; aber nicht im schäbigen grau, sondern in edel blauem Flanellzwirn.

Doch auch die weiße Schießer-Unterwäsche (ist als Sponsor gar nicht im Programmheft aufgeführt!) kommt mannigfach zur prachtvollen Geltung und läßt nicht nur die älteren Damen im Publikum in nostalgischer Erinnerung schwelgen.

Das Ausziehen bis auf die Unterwäsche bleibt natürlich den armen Statisten nicht erspart – insofern sie die gefangenen Äthiopier mimen müssen. Da das Regieteam uns hier eine politisch Botschaft mitteilen will, werden den „armen Schweinen“ auch noch schwarze Kapuzen über den Kopf gezogen. „Georgie B.!“ lispelt meine Berliner Sitznachbarin, „Ick hör Dir trapsen!“ Sie hat den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden; ich schlafe lieber nochmals drüber. Vielleicht ist es ja doch mehr als ein simpel plakativer Regiegag?

Tückisch: Papierkügelchen-Steinigung

Daß die primär Guten (die Ägypter!) dann eigentlich doch nicht die Guten sind, erleben wir im Triumphmarsch, wenn zu Verdis genialer „Zirkusmusik“ die böse Aida mit Papierkügelchen gesteinigt wird. Sic! Aber Achtung, was sich jetzt in der Beschreibung so schlicht anhört, ist natürlich aus dem Zusammenhang gerissen; es ist nämlich in Wirklichkeit ein genial raffitückischer Regie-Coup, denn diese Papierkügelchen wurden aus Flugblättern geknubbelt, die vorher – wir vermuten mal von 


Aha - deshalb also "Flugblatt"!
anonymen Oppositionellen - von der Beleuchterbrücke geworfen worden waren. Soviel zur politischen Aussage!

Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht auslassen, daß mir das Ballett der jackenlosen Männer, die im ersten Akt um das anfangs erwähnte Kaaba-Modell im Schreit-Tanz treppauf-treppab stolzieren müssen, sehr gut gefallen hat. So löst man heutzutage das heikle Ballett-Problem, ohne daß es peinlich wirkt! „Aber wieso ziehen die ihre Jacken und nicht die Schuhe aus, wenn es Moslems sein sollen?“, fragt mich ein anscheinend gebildet und weitgereister Opernfreund hinter mir. Wir grübeln weiter und schlafen mal drüber.

Die Damen werden übrigens vom Regie-Team kostümmäßig besser behandelt als ihr männliches Gegenüber. Von Anfang an lustwandeln sie in wunderschön schwarzseidenen Krinolinen. Es ist bewundernswert, wie die Chordamen neben dem prächtigen Gesang auf dieser Treppenflut noch ihr Gleichgewicht halten können – ich persönlich hätte mir wahrscheinlich längst den Fuß gebrochen.


Amneris auf Hi-Heels

Auch Amneris kommt im herrlichen, erst weißen, später blauen Samtkleidchen daher. Aidas Outfit ist ebenso prächtig gemodet (von wegen Putzfrau, Herr Neuenfels!), obwohl sie mich mit ihren hochhackigen Schuhen, dem Halsband und ihrem Kleiderschnitt eher an eine Kokotte des 19.Jahrhunderts erinnert als an eine Sklavin. Auch hier erschließt sich der wahrscheinlich tiefer liegende Hintergrund nicht spontan.

Bei all dem verschwenderischen Luxus muß wenigstens der König sparen. Nun raten Sie verehrte Opernfreunde, welches Requisit in einer modernen Inszenierung noch fehlt? Genau, der Rollstuhl! Hic et nunc bescheidet sich unser Patriarch mit einem ganz billigen weißen AOK-Modell; nix golden, diamantenbesetzt oder wenigstens mit Elfenbeingriffen. Ja die Gesundheitsreform! Da muß man auch im Vorderorient mit gutem Beispiel vorangehen. Wer vom Volk Opfer fordert, sollte diese zuerst selber erbringen. Da sind wir wieder ganz aktuell. Aber hätte der Regent nicht doch etwas besseres verdient, oder ist das schon wieder so eine zeitpolitische raffinierte Allegorie – Stichwort:


An der Kaaba - Aida und ihr Vater
Amonasro
Ahmadī-Nežād (der Regent ohne Plunder und Pracht). Zu viele Gedanken…….

Glänzende Sinfoniker

Doch kommen wir endlich zum wichtigsten Aspekt dieses Abends, dem musikalischen. Hier zeigten die Niederrheinischen Sinfoniker mehr als überzeugend, wo in Krefeld der Verdi-Hammer hängt. Keinesfalls überfordert, bewiesen sie unter der großartigen und fundierten Leitung von Graham Jackson, daß sie mit dem Arena-Orchester di Verona durchaus mithalten können. Die zusätzlich von der Bühnenseite eingesetzten Bläser beim Triumphmarsch brillierten mit einem Verdi-Feuerwerk ersten Grades und auch die bestechende Leistung von Chor und Extrachor (Leitung: Heinz Klaus) hatte internationales Niveau.

Leider konnte man das von den wesentlichen Hauptpartien, der „Aida“ von Janet Bartolova, dem „Radames“ von Timothy Simpson und dem „Amonasro“ von Christoph Erpenbeck nicht sagen. Sie waren für mich eine große Enttäuschung. Zwar hielten sie wacker und durchaus lautstark ihre Partien durch, doch mit solch schon fast mörderischer Sangestechnik ist kein Verdi-Blumentopf zu holen, im Gegenteil: „Schuster bleib bei Deinen Leisten“ – mehr fällt mir hierzu nicht ein. Das Besetzungsbüro sollte sich hier einmal ernsthafte Gedanken machen, oder die Finger komplett von solchen Werken lassen.


Finale: Abwärts, bitte!

Ein Highlight von der Seitenbühne:
Anna Maria Dur

Einerseits war es schade, daß Susan Maclean indisponiert war, der ich die hochschwierige Partie der „Amnersis“ nach ihrer brillanten „Amme“ in Mannheim (FroSch) rückhaltlos zugetraut hätte, (sie war nur als Mimin auf der Bühne tätig), andererseits hätten wir (als ganz kurzfristig eingesprungenen Ersatz) dann eine bemerkenswerte Sängerpersönlichkeit nicht erleben dürfen: die großartige Anna Maria Dur. Zwar sang sie nur von der Seitenbühne, aber mit mehr Verve, Feuer und Emotion, als diese ganze Inszenierung ansonsten szenisch zu bieten hatte. So muß Verdi klingen, das ist AIDA! Und der am Ende geradezu frenetische Schlußapplaus (ich habe selten im Krefelder Haus solch gewaltige Ovationen gehört!) galt sicherlich nicht nur der Tatsache, daß Frau Dur die Premiere gerettet hatte, sondern er kam aus dem Herzen der Zuschauer und war berechtigte Akklamation für eine grandiose Leistung. Viele hatten verstanden, warum Verdi dieses Stück eigentlich AMNERIS nennen wollte. Anna Maria Dur bot Weltklasse am Niederrhein. Brava!

Beachtliche Leistungen aber auch in den kleinen Rollen; Haik Dèninyan war ein überzeugender „König“, Matthias Wippich - für mich eine Entdeckung - brachte den „Ramphis“ perfekt über die Bühne und Debra Hayes erfreute als Tempelsängerin.

Fazit und Erkenntnis nach diesem Abend: Wo ein Wille ist, ist noch lange kein Weg! Mag der Wille auch noch so publikumsfreundlich motiviert sein. Oder, wie es in einem sudanesischen Sprichwort lautet: „Der große Stuhl macht noch lange keinen König.“


Redaktion: Frank Becker