Abende von Berlin - die Ella der DDR

Ein Hauptstadtfeuilleton

von Jörg Aufenanger

Jörg Aufenanger - Foto © Frank Becker
Abende von Berlin -
die Ella der DDR
 
Der Blick von den Dachterrasse des „Hotel Hamburg“ schweift über die Skyline von Westberlin, in der nur zaghaft einige Bauten in den Himmel ragen, das neue Waldorf Astoria Hotel, das im Januar erst eröffnen wird, ist, da noch unbeleuchtet, nur als Schemen zu erkennen, aber das Europa-Center mit dem sich drehenden Mercedesstern, über den Heiner Müller mal ein Gedicht geschrieben hat, ist ebenso auszumachen wie das Bayerkreuz am Bahnhof Zoo, das Hotel Intercontinental. Mehr Hauptstadtskyline ist nicht, und so geht der Blick nach innen, da wo eine kleine alte Dame resolut das Mikrofon ergreift und dann eine große junge Stimme durch das Dachfoyer schallt. Jazz. Einundachtzig Jahre ist Ruth Hohmann alt, vor mehr als fünfzig Jahren ist sie erstmals aufgetreten, die „Ella der DDR“ hat man sie getauft, was sie selbst gar nicht mag, auch wenn die Fitzgerald ihr Vorbild war. Ihr erster Auftritt als Jazzsängerin fand mit den Jazz-Optimisten und Manfred Krug im November 1961 statt. Ursprünglich hatte sie eine Schauspielausbildung absolviert, aber dem Jazz galt ihre Liebe, als sie im amerikanischen AFN mitten in der frühen DDR eine fremde Musik gehört hatte, Jazz. Schließlich wurde sie die erste Jazzsängerin der DDR, die einen Berufsausweis erhielt, das brauchte man in diesem Staat, wo alles seine Ordnung hatte. Doch ab 1996 hatte sie sechs Jahre lang ein unausgesprochenes Auftrittsverbot, englischsprachige Musik war verpönt und Schlager in deutscher Sprache wollte sie nicht singen. Seit 1974 erhält sie wieder Auftritte, wird von nun an vom Jazz Collegium begleitet. Bis heute, da sie im aparten Hotel Hamburg auftritt, das schräg gegenüber der legendären „Kleinen Nachtrevue“ liegt, wo die ehemalige Crancotänzerin Sylvie seit Jahren das „Theater der Enthüllung“ betreibt, in dem künstlerisch höchst ambitioniert, aber eben nackt, auch schon einmal Gretchen und Faust ohne Hüllen auftreten.
 
Ruth Hohman trägt ein schwarzes Kleid verhaltenen Geschmacks, aber wenn sie singt, ist alles Äußerliche schnell vergessen. „Jazz is what I´m living for“ ist ihr Lebensmotto und mit dem gleichnamigen Song hat sie sofort das Publikum erobert. Doch Jazz ist etwas für graue Haare geworden, was der Eröffnungsabend des Berliner Jazzfests gerade ebenfalls bewiesen hat, und so dominiert auch bei Ruth Hohmann die graue oder kolorierte Haarpracht. Passend zur Jahreszeit haucht sie „Autumn leaves“ an, das sie indes in einem Tempo singt, das die Erinnerung an Joseph Kosmas Original von „Les Feuilles mortes“ verscheucht. Singt sie die Standards im Original, dann betört sie, hat sie aber selbst die Songzeilen ins Deutsche übersetzt und macht einige Mäzchen dazu (komödiantisches Talent nannte das die Einladung), dann möchte ich lieber weghören. Das rührt her aus einer Vergangenheit, als man eben in der DDR, da englisch gesungene Titel oft untersagt wurden, viel Buntes in den Musikkessel hineinstopfte, um dem Publikum und den Kulturfunktionären zu gefallen. So nun bei „Sweet Georgia Brown“ oder „I can’t give you anything but love”.
 
Begleitet wird die Hohmann von zwei Musikern, die zu DDR-Jahren ihre große Zeit hatten. Der Pianist Hartmut Behrsing swingt zwar sehr schön, spielt aber mal eben die Erkennungsmelodie für den DDR-Polizeiruf 110, die er komponiert hat, der Bassist Stefan Lasch, der auch die launige Moderation des Konzert übernommen hat, outet sich als Anhänger der Musik Hanns Eislers. Das schadet dem Konzert aber nicht, wenn ein Standard nach dem anderen erklingt, und wenn Ruth Hohmann „Moonlight in Vermont“ singt, dann muß man nicht nach draußen schauen, um den Mond aufgehen zu sehen. Dazu genießt man den Eltviller Riesling, den das Hotel zum Konzert kredenzt.
Es ist ein ungewöhnlicher Abend in Berlin, denn wann hört man schon einmal eine auch im hohen Alter so begnadete Stimme, und wann hört man nach nun mehr als zwanzig Jahren noch einmal Jazz, wie er in der DDR gemacht wurde. Und das im alten Westen von Berlin.  
 


© 2012  Jörg Aufenanger für die Musenblätter