Kölsch für Anfänger

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Kölsch für Anfänger
 
Bitte erklären Sie unseren Lesern Kölsch, schreibt mir Merian, und zwar in 75 Zeilen à 60 Anschlägen! Der Südtiroler in mir würde antworten: "Oh, gerne - wenn ich's schaffe!". Der (Wahl-)Rheinländer in mir antwortet: "Kölsch? In 75 Zeilen? Wie soll dat dann jon?". Und schon sind wir mittendrin. Auf (fast) jede Bitte, jedes Angebot antwortet der Kölner erstmal mit einer Gegenfrage. So gewinnt er die Zeit, die er braucht, um herauszufinden, ob "do jet draan es oder net". Seien Sie mit einem Kölner um halb Zehn verabredet. Sie - als Nicht-Rheinländer - sind pünktlich an Ort und Stelle, ihr Partner kommt aber erst um Viertel vor Zehn. Auf Ihr leicht entrüstetes: "Es ist schon Viertel vor Zehn" wird der Kölner antworten: "Wie: Viertel vor zehn?". Und damit ist der Fall für ihn erledigt. Denn nicht Sie haben die richtige Zeit, sondern er. (Vielleicht war Einstein auch heimlich 'ene Kölsche'?). Und weiter im Telegrammstil: Köln hat eine große, selbstbewußte Vergangenheit. Deshalb liebt Kölsch die Vergangenheitsform. Ene Kölsche kommt auf Sie zu und sagt: "Ich wollte Sie mal wat jefragt haben". Abgesehen davon, daß dies typisch kölsche Höflichkeit ist (der Kölsche möchte niemanden direkt bedrängen), drückt sich hier aus, daß in Köln die Gegenwart mit Vorliebe als bereits vergangen behandelt wird. So oft hat Köln unter der "großen Gegenwart" gelitten und hat so oft sehen müssen, wie schnell sie vergeht (ich sage nur: Napoleon, die Hohenzollern und Adolf). Da lernt man die beiden übergreifenden Momente: Vergangenheit und Zukunft als das "wat bliev" schätzen. Muß er in der Gegenwart bleiben, greift er gerne zum Konjunktiv. Der Rheinländer - das muß man mal in aller Klarheit sagen - ist der Meister des Konjunktivs. Konjunktiv ist hier keine Wortform sondern eine lebenshaltung. Und, bitte: wenn Heraklit mit seinem Panta rhei recht hat, wenn also alles ständig in Bewegung is, "wat soll ich dann do mem Indikateev?"! Frag ihn nach einem Kostenvoranschlag. Er wird sagen: "Also ich dät sage, dat koß esu un esu vill." Mehr wird keiner aus ihm herausbringen. Denn: "ob ich et dann wirklich sage dät, dat dät ich mir nochens övverläje!". Selbst wenn er beleidigt (und das ist eine seiner Lieblingstätigkeiten), bleibt er konjunktivisch: "Du A... - hätt ich bald jesagt." Fazit: es war eine konjunktivische Beleidigung, eine kleine Injurie dort, wo der Kölsche vorzugsweise sich aufhält: im rechtsfreien, weil konjunktivischen Raum. Und wird er selbst beleidigt, hat er eine Replik auf Lager, die einem Karl Valentin alle Ehre gemacht hätte. Sagt einer zum anderen: "Weißt Du, wat Du für mich bes? Ene Piefekopp!", erhält er als Antwort: "Dat wüßt ich ewwer!". Genial. Die Beleidigung ist keine, weil sie mit dem Selbstbild nicht übereinstimmt. So einfach ist das. Worin sich die Friedlichkeit des Kölschen zeigt. Das Vergnügen, das Bayern an Wirtshausschlägereien haben, kann der Kölsche nicht nachvollziehen. 2000 Jahre lang sind alle Völker hier durchgezogen. Da hat der Kölsche gelernt, sich mit Menschen zu vertragen. Und wenn er mit der Zukunft zu tun hat, bevorzugt er das futurum exactum, und zwar als Waffe, die sich gewaschen hat. Nichts haßt der Kölsche mehr, als Geschwollenheit und Angeberei. Kommen ihm solche "Sprechblasen" entgegen, läßt er sie platzen wie eine Seifenblase mit einem Halbsatz in erzählendem Futur. Er hört z.B. der Rede eines Politikers zu (der sich unglaubliche Mühe gegeben hat, in dieser Rede die Kölschen von dem und dem zu überzeugen) und wird später gefragt, was denn dieser Politikers Wichtiges gesagt habe. Er wird sagen: "Wat wird der schon jesacht haben?" und reduziert damit die ganze Rede auf: heiße Luft. 
Was ist also Kölsch? Kölsch ist die einzige mediterrane deutsche Sprache: hier haben der römische modus vivendi gepaart mit dem pariserischen savoir vivre einen Humus gefunden, auf dem das kölsche Selbstbewußtsein und die kölsche Sprache blühen. Kölsch ist, keinen Respekt vor Autoritäten haben: der Kölsche läßt sich von der Kirche an die Hand nehmen, schneuzt ihr aber in den Rocksaum. Kölsch ist, jedem zuprosten - aber nur, wenn Kölsch im Glas ist. Kölsch ist Buddhismus, denn die drei Lebensregeln des Kölschen lauten:
1. "Et es wie et es",
2. "Et kütt wie et kütt",
3. "Et hät noch immer jot jejange".
 
Dies alles (und noch viel, viel mehr) drückt sich im Kölschen aus. Und das Schönste ist: wer so denkt und so lebt, braucht kein Wort Kölsch zu sprechen, um von den Kölschen als ihresgleichen aufgenommen zu werden. "Un wer dat net hät, dä kann zu Hus blieve!".  
 
In diesem Sinne
Ihr
Konrad Beikircher
 


© 2011 Konrad Beikircher, 2012 für die Musenblätter
Redaktion: Frank Becker