Vor dem Untergang noch einmal: Theater à la bonheur

Christian von Treskow inszeniert in Wuppertal „Trilogie der Sommerfrische“

von Frank Becker

Ab in die Sommerfrische! - v.l.: Marco Wohlwend, Heisam Abbas, Markus Haase, Juliane Pempelfort - Foto © Uwe Stratmann

Das hat dir der Teufel gesagt!
 
Christian von Treskow inszeniert mit
„Trilogie der Sommerfrische“
ein Goldoni-Triple von rarer Güte
 
 
Inszenierung: Christian von Treskow – Bühne: Jürgen Lier – Kostüme: Dorien Thomsen – Musik: Bastian Wegner – Licht: Fredy Deisenroth - Dramaturgie: Sven Kleine - Fotos: Uwe Stratmann
Besetzung: Filippo: Jochen Langner – Giacinta: Hanna Werth – Leonardo: Heisam Abbas – Vittoria: Juliane Pempelfort – Ferdinando: Markus Haase – Guglielmo: Jakob Walser - Fulgenzio: Thomas Braus – Paolino: Lutz Wessel – Brigida: Maresa Lühle – Cecco: Marco Wohlwend – Sabina: Julia Wolff – Costanza: An Kuohn – Rosina: Anne-Catherine Studer  - Tognigno: Hendrik Vogt – Bernardino: Lutz Wessel – Tita: Marco Wohlwend – Berto: Hendrik Vogt 
 
Die Abrißbirne in den Köpfen
 
Hier ist Bestes aufgeboten: Noch-Intendant Christian von Treskow hat am Noch-Schauspielhaus der Noch-Kulturstadt Wuppertal mit einem brillanten Noch-Ensemble den Kulturverantwortlichen der möglicherweise in naher Zukunft kulturlosen Bergischen Großstadt gezeigt, was das Wuppertaler Schauspiel zu leisten im Stande ist. Theater allererster Güte nämlich, Theater, wie es besser nicht zu machen ist, Theater von der Qualität, die der Theaterstadt Wuppertal einst einen führenden Rang unter den besten Häusern der Bundesrepublik eingebracht hat. Christian von Treskow, der sich im September 2007 als Regisseur mit seinem „Urfaust“ für Wuppertal empfohlen und 2009 auch als Opernregisseur („Die Zauberflöte“) reüssiert hatte, wäre der richtige Mann, dieses Theater quasi im letzten Moment am eigenen Schopf aus dem von der fahrlässigen Kommunalpolitik zu verantwortenden Sumpf zu ziehen – wenn man ihn denn ließe. Doch die Messer sind gewetzt – insgeheim wohl schon lange – um die Schauspielsparte Wuppertals zu schlachten, die Abrißbirnen poliert, um das wunderbare, denkmalgeschützte Schauspielhaus niederzureißen und dem lebendigen Kulturleben den Garaus zu machen. Ob dann auch wohl am Personal der hoch bezahlten Kulturverwaltung gespart werden wird, wenn man dem Theater die Mittel streicht?


Livorno ade!  -  Heisam Abbas, Hanna Werth - Foto © Uwe Stratmann
 
Keine Minute Langeweile
 
Aber zurück zu Goldoni und der „Trilogie der Sommerfrische“, denn da gibt es im Gegensatz zur verkorksten Kulturpolitik reichlich zu lachen. Und zu bewundern. Ich weiß nicht, ob Theo Lingen je Goldoni gespielt hat, doch die Bewunderung für das Theater, die er 1969 in seinen Erinnerungen an die Bühne manifestiert hat, teile ich mit ihm, nicht zuletzt ausgelöst und manifestiert durch Theaterabende wie diesen, der voller Überraschungen, burlesker Späße, gekonnter Clownerien, herrlicher Charaktere, voller Spaß am Spiel und subkutan von tiefer Dramatik ist. Dreieinhalb Stunden, Wagner-Freunde kennen das, unterbrochen von zwei Pausen, dauert die Aufführung, ein langer Theaterabend, doch ich wüßte keinen Zuschauer – ich sprach in den Pausen mit einigen -  der sich auch nur eine einzige Minute gelangweilt hätte. Das verdanken der Zuschauer und die geneigte Zuschauerin einem Ensemble (s.o.), das sich in bester Spiellaune zeigte sowie einem Buch und Gesamtkonzept, mit dem Christian von Treskow, dem berühmten Konzept Giorgio Strehlers folgend, alle drei Teile der Gesellschaftskomödie an einem Abend aufführt. Paßgenau unterstützen Bühnen- (Jürgen Lier) und Kostümbild (Dorien Thomsen) die filigrane, ideenreiche Kunst des Schauspielintendanten, der alle Register zieht, um mit Habgier, Eitelkeiten, Liebeswirren, Lügen, Leidenschaften und (einem) Happy End sein Publikum zu unterhalten und die Gesellschaftskritik von 1761 á jour zu führen.


"Signorina Giacinta!" - "Aaah..."  -  Jakob Walser, Hanna Werth - Foto © Uwe Stratmann
 
Theater à la bonheur
 
Hohes Tempo, karikaturistisch treffend überzeichnete Charaktere, viel zu niedrige Türen für viel zu hoch aufgetürmte gepuderte Perücken, opulente, wörtlich zu nehmen decouvrierende Garderoben, ein vergleichsweise einfaches Bühnenbild – es muß ja gespart werden – sowie die flotte Sprache der aufs Essentielle gekürzten neuen Übersetzung von Achim Gebauer sorgen für das pointenreiche Feuerwerk, welches auch ein verwöhntes Publikum dreieinhalb Stunden bei Laune und der Lachfrequenz wegen unter Atemnot hält. Das läßt man sich gerne gefallen. Hanna Werth in der Schlüsselrolle der Giacinta ist eine hinreißende, glanzvolle Neuentdeckung, Maresa Lühle als ihre Zofe Brigida sprüht vor burleskem Humor, Anne-Catherine Studer gibt das Dummerle Rosina überaus bezaubernd, Juliane Pempelforts Vittoria spritzt das Temperament aus allen Poren. Markus Haase liefert in der Rolle des Schnorrers und Mitgiftjägers Ferdinando, vor allem im Ringen mit der notgeilen Witwe Sabina (Julia Wolff), ebenso ein Kabinettstückchen ab wie Thomas Braus als intriganter Schacherer Fulgenzio. Mal ganz abgesehen von seinem artistischen Auftritt in der ersten Szene, der sogleich die Aufmerksamkeit auf ihn lenkt, zeigt sich Heisam Abbas als Leonardo, über dem sich das Damoklesschwert des Dalles immer tiefer senkt, als ein von gesellschaftlichen Zwängen und persönlicher Eitelkeit getriebener bankrotter Livorneser Großbürger in perfekter Zerrissenheit. Wie die Genannten gibt auch das übrige Personal aus Glücksrittern und Lakaien, Dämchen und Stenzen ein Lehrstück darüber, wie wunderbar, wie wichtig und unabdingbar Theater als Teil der täglichen Kultur ist. Der im Anschluß an die Vorstellung verlesene Appell des Ensembles zum Erhalt der Wuppertaler Schauspiels ( hier in den Musenblättern) war Ausdruck der berechtigten Empörung allein darüber, daß eine Stadt wie Wuppertal sich sein Sprechtheater künftig quasi nur noch als verstümmelten Appendix einer unter einem übermächtigen Leiter verschmolzenen Orchester- und Opern-Sparte „halten“ will. Das klingt wie ein Scherz, ist aber bitterer Ernst.


All´s well that ends well. - Anne-Catherine Studer, Hendrik Vogt - Foto © Uwe Stratmann
 
Jetzt zugreifen!
 
Wer also in Wuppertal noch einmal in Theater à la bonheur schwelgen will, erwerbe flugs Eintrittskarten für Carlo Goldonis „Trilogie der Sommerfrische“. Es lohnt. Und mehr Goldoni aus Christian von Treskows Hand bietet seit gestern die Wiederaufnahme seiner turbulenten Inszenierung von "Diener zweier Herren" aus dem Jahr 2005.
 
Nächste Vorstellung heute Abend - weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de