Es grünt so grün

Uraufführung des Revier-Dramas "Rote Erde" in Essen

von Andreas Rehnolt

Foto © Birgit Hupfeld

Es grünt so grün
 
Uraufführung des Revier-Dramas "Rote Erde" in Essen
 
Im Grillo-Theater inszenierte Volker Lösch
das historische Bergarbeiter-Epos lärmend, rauchend
und aggressiv - auch mit zwölf jungen Arbeitslosen von heute
 
 
Essen - Zum Beginn der Uraufführung des Ruhrgebiets-Dramas "Rote Erde" im Essener Grillo-Theater schaut das Publikum auf zwölf Liegestühle vor einer gigantischen Wand aus grünem, wucherndem Efeu. Und tatsächlich klettern aus dem Grün zwölf junge Männer und nehmen auf den Liegen Platz. Doch wer jetzt Töne nach dem Motto "Es grünt so grün...." erwartet hat, wird drastisch und hart eines Besseren belehrt. Die jungen Männer deklamieren im Chor oder zu Zweit ihre Schicksale auf dem Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet der Jetzt-Zeit, auf dem sie keine Chance haben. 
Lehre, Praktika und Probezeit, Abitur, Schulabbruch oder Dauerstudent. Das Dutzend, das auf der Bühne des Grillo die erste Viertelstunde für sich allein hat, ist arbeitslos. "Ich bin nicht der, der gerne kämpft", heißt es da. Ein anderer spricht von seinem Traumjob, wieder ein anderer davon, daß man für die, die über 25 Jahre alt sind, nichts mehr tut in Sachen Arbeitsförderung. Auch diejenigen, die im Land der gerade zu Ende gegangenen RuhrTriennale immer und immer wieder den Strukturwandel beschwören und die Kultur des sogenannten "Ruhri", kriegen in Lösch's Version des historischen Bergarbeiter-Epos mehrfach die Leviten gelesen.
 
"Ruhri! - Sag das mal hier zu einem im Ruhrgebiet. Der gibt dir eins auf die Fresse", heißt es. Und die, die glaubten, mit immer neuen Theaterstücken in ausgedienten Fabrikhallen oder Zechenanlagen schon den Strukturwandel geschafft zu haben, werden an- und ausgeblafft. Ganz kurz ist von Opel in Bochum die Rede und vom Ruhrstadion, auch so ein Name, der aufgepfropft erscheint. Soviel zum Jetzt. Soviel zum Heute. Dann kriegt die knapp zweistündige, Inszenierung ohne Pause den Dreh und nimmt die Zuschauer mit auf ein Ruhrgebiets-Zechengelände zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Bühne weitet sich, aus der Tiefe des Bühnenraums dringen Maschinenlärm, Schreie und dichter Rauch, aus dem sich ein Pulk von Bergarbeitern langsam kriechend an den Bühnenrand schleppt.
Man meint, den Schweiß zu riechen, die heiße Luft zu spüren, den Kohlestaub, der einem das Atmen schwer macht und die Nase verstopft. Die Männer auf der Bühne reiben sich Oberkörper, Arme und Gesichter mit schwarzer Farbe ein, saufen den billigen Korn gleich flaschenweise. Unmut macht sich breit über die Ausbeutung unter Tage, zu geringen Lohn und zu großes Risiko. Bis hinein in die Kumpel-Familie dringt der Streit. Der aus dem Osten zugewanderte Bruno Kruska (Krunoslav Sebrek) ist der Freigeist, der sich auflehnt. Karl Boetzkes (Urs Peter Halter) ist der Sozialdemokrat, der am Ende im roten Anzug mit den Bossen gemeinsame Sache macht.

Zwischendurch kommt es auf der Bühne zum Einbruch eines Schachts, Kumpel werden verschüttet, werden - in allgemeiner Solidarität - gerettet. Der Zorn wächst. Es kommt zur Novemberrevolution 1918. Die Kumpel schmieren sich mit roter Farbe ein. Die Übernahme der Zeche durch die Bergleute scheitert. Das Licht erlischt im Saal, man hört dröhnendes Maschinengewehr-Feuer. Tote Kumpels liegen auf der Bühne. Wenig später erscheinen die Bergleute in Goldener Farbe. Im Sprechchor träumen sie vom Schlaraffenland. Daß das trotz Kulturhauptstadtjahr 2010, trotz RuhrTriennale und trotz allen Geredes von Strukturwandel NICHT im Ruhrgebiet lag und auch nie liegen wird, liegt auf der Hand. "Der Metropolengedanke ist künstlich. In Wahrheit ham wir hier 53 Städte mit 53 Bürgermeistern", resümieren die jungen Männer. Die waren übrigens allesamt hervorragend in ihren Rollen. Als Arbeitslose ebenso, wie als geknechtete Kumpel. Und irgendwie haben sie die Farben - Schwarz, Rot und Gold - mit Stolz getragen. Der Applaus am Ende wollte schier kein Ende nehmen. Er war ehrlich und er war verdient. Für die Regie, für das Bühnenbild von Carola Reuther - das ohne jeden Kitsch auskam - und für die Darsteller.

Foto © Birgit Hupfeld
 

Nächste Aufführungen: 6. und 13. Oktober.