Hyoscyamus niger

Jussi Adler Olsen - „Verachtung“

von Frank Becker

© dtv
Hyoscyamus niger
 
Jussi Adler Olsen läßt mit „Verachtung“
die Spannung wieder hochkochen
.

Aber da ihr nie jemand auch nur über die Wange strich,
lernte Nete, ohne Zärtlichkeit zu leben.“
 
Auf diesen Thriller mit Carl Mørck und das Sonderdezernat Q der Kopenhagener Kripo haben Adler Olsen-Fans lange gewartet – es hat sich, soviel schon an dieser Stelle, gelohnt. 539 Seiten solide angelegte Spannung warten zwischen diesmal festen Buchdeckeln auf ihre Leser – und hat man erst mal angefangen, versinkt man augenblicklich in der raffiniert entworfenen Geschichte. Anfangs sorgen die Zeitsprünge und Rückblenden, die eine Klammer von fast 60 Jahren um das Geschehen legen, für ein wenig Verwirrung – hat man aber erst einmal hineingefunden und liest vor allen Dingen zügig weiter (was nicht schwer fällt), dann zieht den Leser tief in das subtile Grauen hinein. Einige die ganz persönliche Rand- und Nebenschauplätze im Zusammenhang mit den Lebens- und Leidensgeschichten des durch die vorigen Fälle zusammengeschweißten kleinen Ermittlerteams um Carl Mørck mit seinem Assistenten Hafez el-Assad und der Sekretärin Rose Knudsen sorgen für eine zusätzliche Spannungs-Ebene. Denn sowohl Assad als auch Rose tragen tiefe Geheimnisse mit sich herum, denen Carl zumindest bei Rose näher kommt.
 
In „Verachtung“ stechen Carl und seine Mannschaft im Jahr 2010 tief in das Wespennest der in die Tausende gehenden historisch verbrieften von 1929-1967 in Dänemark durchgeführten Zwangssterilisationen an Frauen, die aufgrund ihrer nicht mit der damals geltenden Moral bzw. Gesetzgebung konform gehenden Lebensführung oder wegen angeblicher Debilität in staatliche Anstalten gesperrt und über Jahre mit Folgen für das restliche Leben an Seele und Leib mißhandelt wurden. Der Gynäkologe Curt Wad, der an der Spitze einer illegalen rechtsextremen politischen Organisation „Geheimer Kampf“ über viele Jahre sein Ziel von „Rassenhygiene“ und Eugenik verfolgt hat und nun mit der Partei „Klare Grenzen“ ins dänische Parlament einziehen will, steht neben seinem ersten Opfer,  Nete Hermansen (Rosen) im Zentrum der erschütternden Handlung. Nete, die nach entwürdigenden Jahren in Erziehungsanstalten und Pflegefamilien dennoch zu einer bürgerlichen Existenz gelangt war und aufgrund einer öffentlichen Demütigung 1985durch Wad alles verloren hatte, sinnt nur noch auf Rache – Rache an allen, die für ihr Schicksal Verantwortung trugen.


Sprogø - Foto © Frank Becker
 
So wie Wads Partei 2010 mit Hilfe willfähriger Unterstützer auch aus Polizeikreisen selbst vor Mord an lästigen Zeugen, kritischen Journalisten und sogar den ermittelnden Polizeibeamten nicht zurückschreckt, kennt auch Nete 1987 keine Skrupel, als sie daran geht, giftige Rache an ihren Verderbern zu üben. Jussi Adler Olsen hat das verzwickte Gebäude aus Rahmen-, Kern- und Binnenhandlungen auf Sjælland, in Jylland und auf der Insel Sprogø zu knisternder Spannung, zugleich ungemein flüssig lesbar aufgebaut. Damit es nicht zu glatt geht, läßt er unerwartete Wendungen und gegen Ende leider auch einigermaßen unglaubhafte Nachlässigkeiten seiner Protagonisten einfließen. Dem für seine Romane typischen leisen Horror ist das natürlich zuträglich, was mit diversen Fragezeichen die Spannung auf hohem Niveau hält. Nach der Enttäuschung über seinen zwischengeschobenen Erstling „Alfabethuset“ haben wir jetzt wieder einen knisternden Adler-Olsen auf dem Tisch.

Jussi Adler Olsen - "Verachtung" (Thriller)
Aus dem Dänischen von Hannes Thiess
© 2012 Deutscher Taschenbuch Verlag, 539 Seiten, gebunden, Schutzumschlag, Lesebändchen
19,90 €
 
Weitere Informationen:  www.dtv.de  und  www.adler-olsen.de