Singen gegen das Böse

Der Freischütz in Wuppertal

von Martin Freitag

Foto © Uwe Stratmann

Der Freischütz

Besuchte Premiere am 14.09.12

Singen gegen das Böse

Auf einem Stuhl sitzt ein adrettes Männlein mit Aktentasche und macht mit Thermoskanne und Pausenbrot eine behäbige Jause, um ihn herum eine Fünfziger-Jahre Dorfgemeinschaft samt Braut und Bräutigam und Schützenverein, so sieht das Eröffnungsbild zu Andrea Schwalbachs Freischütz-Inszenierung am Wuppertaler Opernhaus aus, der Wald ist nur noch eine Lattenwand, die Nanette Zimmermanns Ausstattung in der Wolfsschlucht zerbersten läßt, übrig bleiben nur noch Plankenreste, auf denen der zweite Akt stattfindet, ein Ort der Menschen, nicht der Natur.
 
Doch zurück zu dem "adretten Männlein", so harmlos banal aussehend beginnt er die Menschen in seinem Sinne zu manipulieren: Samiel verführt, hetzt, stachelt an, verhöhnt, reißt die Individuen an ihrem Schulbewußtsein und treibt sie zu Selbstopfern, wie Menschenopfern an. Schwalbach hält alles schön in der Schwebe, zeigt nie mit dem Finger auf ganz bestimmte Begebenheiten, so kann es einen jeden auf der Bühne, wie im identifizierenden Publikum treffen. Samiel knutscht die Menschen blutig, reißt ihnen die Kehle heraus, läßt sie verbluten, wenn er sie nicht braucht, das Böse kommt harmlos daher; der Schauspieler Marco Wohlwend brilliert mit hoher Konzentration in dieser Hauptrolle des Abends.
Selten habe ich einen so spannenden "Freischütz" erlebt. Doch er hat auch eine Gegenspielerin: Ännchen, die ansonsten harmlose Soubrette hat sein Spiel durchschaut und nimmt den Kampf gegen seine Angstmanipulationen auf, Dorothea Brandt weiß mit Charme und feinem Sopran für sich einzunehmen, auch wenn die Fiorituren nicht ganz so geläufig daherkommen, in der Erzählung von der "sel`gen Base" vermag sie die Situation umzukehren und das Ende zum finalen C-Dur zu zwingen, doch Samiel sitzt wieder auf seinem Stuhl und wartet harmlos auf seine nächste Gelegenheit .
Florian Frannek beginnt die Ouvertüre mit langem Atem und läßt die wunderbaren, melodischen Bögen weit ausschwingen, das Sinfonieorchester Wuppertal folgt sicher und konzentriert, freilich mit den oft üblichen Nervositäten in der Hörnergruppe. Doch zieht Frannek in den Spannungsmomenten den Ton dramatisch aufgerauht an, folgt seinen Sängern auf ihrem Niveau, vielleicht nicht immer seiner eigenen interpretatorischen Absicht entlang. Der von Jens Bingert sehr sicher einstudierte Chor ist gut auf Ausdruck und Intention getrimmt und arbeitet sinnvoll mit leichten Klangverschärfungen. Banu Böke, die ich eigentlich sehr schätze, hat zumindest am Premierenabend nicht ihre sonstige Form, gerade die große Arie "Leise, leise fromme Weise" gerät ihr etwas kurzatmig und läßt leichte Höhenprobleme erkennen, im Verlauf des Abends fängt sich die Sängerin wieder zu ihrer gewohnten Form hin.
Ausgezeichnet gefällt Niclas Oettermann als Max, denn er vermag die lyrischen Phrasen der Partie mit den dramatischen Aufschwüngen gut zu verbinden und überzeugt durch intensive Charakterisierung. Etwas enttäuschend dagegen John In Eichen als Kaspar, zwar beeindruckt die brunnenvergiftende Tiefe, die er weidlich auszureizen vermag, doch die Höhe seines eher basslastigen Baritons wird fahl und öfters lediglich angestreift. Mit Thomas Laske als Fürst Ottokar und Olaf Haye als Erbförster Kuno hat Wuppertal zwei wunderbare Baritöne seines Ensembles für die Partien zur Verfügung. Martin Js.Ohu als Eremit arbeitet sehr bewußt an seiner deutschen Aussprache, stimmlich fehlt ein bißchen das Balsamische für diese Rolle. Boris Leisenheimer liefert als Kilian einen stimmlich etwas verfehlten Saisoneinstand, gefällt jedoch durch eindringliches Spiel.
 
Am Ende großer Jubel für die musikalisch Agierenden und viel Widerspruch für das szenische Team, wobei da wohl unterschiedliche Erwartungshaltungen aufeinander gestoßen sind. Für meine Begriffe ein sehr spannender, gelungener und intelligenter "Freischütz", freilich nichts für Romantiker oder die erste Oper für Kinder.

Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de


Eine Übernahme mit freundlicher Genehmigung von "Der Opernfreund"