Reformhaus-Margerita und Schonkaffee

„Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ von Richard Alfieri im TiC-Theater Wuppertal

von Frank Becker
„That´s amore“
oder
Reformhaus-Margerita und Schonkaffee
 
„Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“
Von Richard Alfieri
 

Eine intelligente Komödie, die eigentlich keine ist
 
Inszenierung: Sabine Misiorny & Tom Müller – Choreografie: Dana Großmann – Bühne und Kostüme: Thomas Pfau
Besetzung: Beate Rüter als Lily Harrison – Michael Baute als Michael Minetti
 
Eine Komödie?
 
Vordergründig spielt sich auf der kleinen Bühne des TiC-Podiums eine charmante kleine Komödie um die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft ab. Lily Harrison (Beate Rüter), eine ältere Dame, die in einer luxuriösen Senioren-Residenz irgendwo an der Küste des sonnigen Florida ihren Lebensabend verbringt, mietet bei einer Agentur einen Tanzlehrer für „sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ – um ein paar Tanzschritte zu lernen, wie sie sagt. Es erscheint der ebenfalls schon ein wenig in die Jahre gekommene, spitzzüngige ehemalige Broadway-Tänzer Michael Minetti (Michael Baute). Beide tragen ihre verborgenen Geheimnisse, Ängste und Lebenslügen mit sich herum, doch sie entdecken schnell die Achillesferse des anderen. Lily verdrängt den Tod ihrer Tochter, die bei einer illegalen Abtreibung ums Leben kam und versucht die Schatten ihres verstorbenen Mannes, eines bigotten Baptistenpredigers, zu verscheuchen. Sie ist in selbstgewählter Isolation einsam. Michael, ein mäßig erfolgreicher ehemaliger Profitänzer, homosexuell und im pietistischen „Bible Belt“ des Südostens der USA wahrlich nicht gut aufgehoben, hat nach bösen Enttäuschungen und dem Krebstod seines über alles geliebten Freundes den Glauben an die wahre Liebe aufgegeben und ist einsam durch Hoffnungslosigkeit.


Foto © Martin Mazur
 
Einsame Menschen
 
Also: beileibe keine Komödie im simplen Sinn, wenn auch das sehr sensibel angelegte Stück spritzig, pointiert, ja höchst unterhaltsam ist und sowohl an intelligentem Witz wie an herzlichen Lachern kein Mangel herrscht. Das geht sogar, selbst wenn die Dialoge und Wortgefechte der beiden Protagonisten dunkle seelische Kammern öffnen, Krankheit, Tod und Verzweiflung aufscheinen lassen. Von den Bühnenprofis Sabine Misiorny und Tom Müller feinfühlig inszeniert, entwickelt sich die ergreifende Geschichte zweier sehr einsamer, verletzlicher Menschen, die aneinander wachsen. Stefan Hüfner hat den Pointenreichtum von Richard Alfieris anrührendem Drama so brillant wie sympathisch ins Deutsche übertragen. Da paßt jedes Wort, sitzt jede Wendung. Mit Michael Baute und Beate Rüter hat das Regie-Team zudem eine Besetzung gefunden, die Alfieris liebevolle Späße mit dem Alter, der Einsamkeit, dem Aufeinandertreffen von Realismus und Lebensfreude bewegend umsetzt.
Natürlich merkt Michael schnell, dass Lily durchaus tanzen kann: „Eigentlich brauchen sie gar keinen Lehrer.“ – worauf Lily bekennt: „Nein, aber einen Partner.“ Das wechselseitige Zugeben der eigenen Schwächen macht beide stärker, sicherer.

Esprit und Lebensfreude
 
Beate Rüters Lily ist durch und durch glaubhaft, man nimmt der Schauspielerin das Alter und die Gebrechen ihrer Figur ab, ist tief berührt. Mit elegant gebremstem Tempo läßt sie an der trotz einer Krebserkrankung wiederkehrenden Lebensfreude Lilys teilnehmen. Michael Baute überzeugt mit leisem Understatement in seiner unaufdringlich gegebenen Rolle des einsam und älter gewordenen Homosexuellen, dessen Esprit durch die Aufgabe mit Lily zu tanzen neuen Aufschwung bekommt und dessen inniger Liebeswunsch sich schließlich zu erfüllen beginnt. Es sind die leisen Töne, mit denen die beiden Darsteller den Abend so besonders machen. Dana Großmanns Choreographie verleiht der tänzerischen Komponente – denn darum geht es ja im Stück vordergründig – mit beachtlichem Erfolg Gewicht: beide Darsteller zeigen zu Recht gefeierte Tanzeinlagen. Den Bühnenumbau zwischen den Szenen haben Müller/Misiorny mit viel Musik von Dean Martin und einer stumm agierenden, jedoch witzigen Putzfrau gestaltet – eine hübsche Idee.
 
Brillante Produktion
 
Nebenbei: man könnte dank der intelligenten Dialoge, der eingängigen Stimmen - vor allem Michael Bautes Sprache ist unbedingt rundfunktauglich - und der ausgewählten Musikeinspielungen das Stück in dieser Inszenierung ohne Verlust auch als Hörspiel genießen. Allen Beteiligten ein anerkennendes Chapeau! Wieder eine bemerkenswerte Produktion des TiC-Theaters in Wuppertal. Eine uneingeschränkte Empfehlung der Musenblätter. Man sollte mal wieder Tanzunterricht nehmen.


Foto © Martin Mazur
 
Weitere Informationen: www.tic-theater.de