Ein Hauch arabischer Frühling

Volker Hesse inszenierte Schillers Freiheitsdrama beim 500-Jahr-Jubiläum der Tellspiele im schweizerischen Altdorf im Kanton Uri

von Andreas Rehnolt

Foto: Judith Schlosser
Ein Hauch arabischer Frühling
über "Wilhelm Tell"-Inszenierung
 
Volker Hesse inszenierte Schillers
Freiheitsdrama beim 500-Jahr-Jubiläum
der Tellspiele im schweizerischen Altdorf
 

Altdorf - In Altdorf im schweizerischen Kanton Uri hat am vergangenen Samstag die Premiere der diesjährigen Tellspiele stattgefunden. Bis zum 20. Oktober gehen insgesamt 32 Aufführungen über die Bühne im Tellspielhaus. Die Tellspiele Altdorf feiern in diesem Jahr ihr 500. Jubiläum. Auch 2012 wird ein Stoff auf die Bühne des Tellspielhauses gebracht, der erstmals um 1512 in Altdorf dramatisiert wurde und damit als ältestes politisches Drama deutscher Sprache gilt. Die Tellspiel- und Theatergesellschaft Altdorf feiert die 500-jährige Geschichte dieses Spiels. Regisseur der Jubiläums-Inszenierung ist der Deutsche Volker Hesse. Für das Bühnenkonzept zeichnete Stephan Mannteuffel verantwortlich. Hesse setzte bei der Inszenierung auf Massenszenen und Körpersprache. Schon vorab hatte der 68-jährige mehrfach betont, er wolle die Besucher weder schocken, noch in Brutalität baden.
 
Der Regisseur erzählt den Tell mit Assoziationen, die aus verschiedenen politischen Erfahrungen kommen. Alte Träume aus den Kämpfen der frühen Eidgenossen um Freiheit mischen sich nun mit aktuellen Bildern etwa der arabischen Straßenkämpfe des vergangenen Jahres. Er versucht, den Traum der Freiheit so bewegend zu schildern, indem er die Ausgangslage sehr schmerzhaft beschreibt. Da gibt es etwa eine Szene, in der junge Mädchen von Altdorf frisch herausgeputzt zum Spaziergang antreten. Dabei kommen sie mit ziemlich rohen österreichischen Soldaten zusammen.
Die romantische Erwartung der Mädchen wird dann sehr schnell gebrochen. Eines wird von Soldaten weggetragen, die ständig nach ihrem Gesicht greifen. Eine Vergewaltigungsszene gibt es nicht in dem Jubiläums-Tell, aber die Zuschauer erkennen sehr wohl durch diese Andeutung, daß dem Mädchen Gewalt angetan wird. Hesse verzichtet auch auf Hellebarden oder großartige Kostüme. Stattdessen läßt er seine rund 100 allesamt Laien-Schauspieler Visionen realisieren und mit extremer Körperlichkeit agieren. Das Konzept ging auf. Bei der Premiere ernteten Darsteller, Regisseur und Bühnenbildner stehende Ovationen des Publikums.

Foto: Judith Schlosser
 
Stahlwände werden zu Klagemauern, an denen sich die Darsteller aufreihen. Unsichtbare

Foto: Judith Schlosser
Peitschenhiebe, unhörbare Schüsse lassen die Menschen auf dem Platz zusammenzucken, sich einrollen, zusammenkauern, sich verstecken, bis sie sich langsam wieder aufrichten. Dieses Eröffnungsbild der gut zweieinhalbstündigen Inszenierung bleibt haften. Ebenso der Auftritt des brutalen Landvogts Gessler, der auf einem schneeweißen, echten Pferd die Bühne im Tellspielhaus betritt. Schließlich Tells Schuß mit der Armbrust, der den Tyrannen aus dem Sattel wirft und tötet. Wenn die "wilden Weiber" dann Gesslers Leichnam zur Tanzpuppe nehmen, ist auch das eine Form von Gewalt. 
Einmal mehr zeigt auch diese Tell-Inszenierung, wie aktuell und erregend das Freiheitsdrama noch heute ist. Es geht in Schillers Tell um den Freiheitskampf eines Volkes gegen ein grausames Besatzungsregime. Willkür, Folter und Tötungsaktionen sind an der Tagesordnung, Menschen werden aus Angst verbogen und apathisch. Aber es geht in Schillers Tell und in Volker Hesses aktueller Interpretation auch um den Traum eines grandiosen Durchbruchs, den Augenblick des großen Glücks, wenn das verhaßte Regime zu stürzen beginnt und die Menschen nach langer Zeit wieder den aufrechten Gang versuchen.
 
Weitere Aufführungen gibt es ab dem 24. August bis zum 20. Oktober. Karten sind erhältlich beim Ticket Center Uri (www.ticketcenter-uri.ch).