Städtebau im
Mussolini-Faschismus Ein Buch, das mit alten Klischees aufräumt Was die meisten Italien-Reisenden, die mit Tunnelblick auf die antiken Denkmäler, auf die Florentiner Renaissance und den römischen Barock fixiert sind, kaum bewußt zur Kenntnis nehmen, ist die Tatsache, daß das heutige Gesicht einiger italienischer Städte zu einem nicht unerheblichen Maße in den Jahren des Mussolini-Regimes zwischen 1922 und 1943 geprägt wurde. Dies gilt nicht nur für die spektakulären Großprojekte an der Peripherie Roms und für eine Reihe neuer „Retortenstädte“, sondern auch für massive Eingriffe in historisch gewachsene Innenstädte. Obwohl im faschistischen Italien die umfangreichsten städtebaulichen Projekte der Zwischenkriegszeit in Europa realisiert wurden, sind sie – jenseits eines Spezialistenzirkels – nahezu unbekannt. Ein umfangreiches, von dem Berliner Architektursoziologen Harald Bodenschatz herausgegebenes Buch liefert nun eine materialreiche Darstellung und Analyse des Städtebaus in Italien unter den politischen Vorzeichen der Mussolini-Diktatur und räumt dabei mit alten Klischees und liebgewonnenen Vorurteilen auf.
In einem einführenden Kapitel beleuchtet der Autor die Etappen der Rezeption des Städtebaus und der Architektur in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Unterschied zu Deutschland mit seinem fundamental gestörten Verhältnis zu den materiellen Hinterlassenschaften der NS-Vergangenheit begann südlich der Alpen – unabhängig von der auch dort verbreiteten „rituellen Verurteilung des faschistischen Städtebaus“ – schon in den 1960er Jahren ein behutsamer Prozeß der „kulturellen Revision“ (S. 12), der sich in den 1980er Jahren mit den großen Ausstellungen „La Metafisica: gli Anni Venti“ (Bologna 1980) und „Gli Annitrenta“ (Mailand 1982) fortsetzte. Inzwischen läßt sich im italienischen Fachdiskurs sogar eine gewisse Begeisterung für die Architektur und den Städtebau des Mussolini-Regimes erkennen, die sich allerdings jenseits politischer und soziologischer Kategorien vor allem auf die ästhetischen Qualitäten der damaligen Planungen und realisierten Bauten konzentriert, was freilich deutlich zu kurz greift.
Kahlschlagsanierungen in Rom
Obwohl Mussolini, der sich 1922 als „Duce“ an die Macht geputscht hatte, der vermeintlich
Neoklassizismus versus Rationalismus
Piacentinis städtebauliches Hauptwerk ist der Generalplan für das Weltausstellungsgelände E 42 (Esposizione Universale 1942; heute EUR = Esposizione Universale di Roma) im Süden Roms. Piacentini selbst vertrat einen formal reduzierten Neoklassizismus und gehörte mithin zum Flügel der Traditionalisten, die sich in der Bewegung Novecento formierten.
Gleichwohl verstand er es als einflußreicher Moderator der städtebaulichen und architektonischen Entwicklung im Italien Mussolinis, auch die Anhänger des razionalismo italiano, also der architektonischen Moderne, einzubinden. Dieser architektonische Rationalismus hatte sich in den 1920er und frühen 30er Jahren im Bemühen um ein „modernes“ Selbstbild des faschistischen Regimes nicht nur behaupten, sondern mit staatlichem Rückenwind sogar kräftig entfalten können. Prominente Beispiele sind Guiseppe Terragnis Casa del Fascio in Como (1928) oder Giovanni Micheluccis Stazione Santa Maria Novella in Florenz (1932-34). Nach der Annexion Äthiopiens und der Gründung des faschistischen „Impero“ 1936 gewann allerdings der in Italien traditionell wirkungsmächtige Passatismus wieder stärker an Boden, und zwar in seiner spezifischen Ausprägung als Kult der romanità.
Das antike Rom wurde zum mythischen Referenzpunkt des faschistischen „Neuen Italiens“, die Italiener begriffen sich als die „Römer der Moderne“, und in der Architektur wurde ein an antiken Vorbildern orientierter Monumentalstil kultiviert, der seinen Fluchtpunkt jedoch nie in einer durch und durch inhumanen Maßstabslosigkeit fand, wie sie für die Planungen des „Dritten Reichs“ typisch war. Im Gegenteil, ein am Konzept der Gartenstadt orientiertes neues Wohnquartier wie Garbatella in Rom in der Nähe der Basilika Sankt Paul vor den Mauern mutet geradezu intim an, und daß es kein
Schlußfolgerungen
Bodenschatz kommt in seinem Buch zu einer Reihe interessanter Einsichten. So hebt er – vor allem mit Blick auf Rom – die maßgebliche Bedeutung der Archäologie für den faschistischen Städtebau hervor. Das Freistellen der antiken Monumente war natürlich nicht Selbstzweck, sondern wurde propagandistisch instrumentalisiert, um die ideologischen und politischen Ansprüche des Mussoloni-Systems mit Verweis auf die glorreiche Vergangenheit, die Weltherrschaft des Imperium Romanum, historisch zu bekräftigen. Unklar, ja widersprüchlich stellt sich die soziale Dimension des Städtebaus in Italien zwischen 1922 und 1943 dar. Während Mussolini, wie erwähnt, einerseits Desurbanisierung, also die Entvölkerung der großen Städte zugunsten der Ansiedlung auf dem Land als Ziel postuliert hatte, kam es andererseits faktisch zu einer Aufwertung der Städte, und zwar durch kompakte Stadterweiterungen – nicht nur in Rom, sondern auch in anderen italienischen Metropolen. Allerdings
Den herkömmlichen Verteufelungen des Städtebaus und der Architektur im faschistischen Italien – Begriffe wie „diktatorischer Größenwahn“ oder „Einschüchterung der Massen“ gehörten in der Nachkriegszeit zum gebetsmühlenartig wiederkehrenden Vokabular– steht Bodenschatz kritisch gegenüber. Nach seiner Auffassung diente der italienische Städtebau der Zwischenkriegszeit sowohl der „Herstellung von Legitimation, Konsens und Repräsentation im eigenen Lande“ als „auch der Anerkennung durch die politisch demokratischen Staaten“ sowie „als Trumpfkarte im Wettbewerb mit den beiden anderen Diktaturen Europas“ (S. 419), also der Sowjetunion Stalins und dem Deutschland Hitlers. Der repressive Charakter der Mussolini-Diktatur habe sich städtebaulich und architektonisch nicht so sehr in der einschüchternden Form manifestiert (wie im Dritten Reich), sondern u.a. in der Abschaffung der kommunalen Autonomie durch das politische System des „Duce“. (S. 436) Bodenschatz’ umfang- und materialreiches Buch „Städtebau für Mussolini“ ist mit seinen 520 Seiten, hunderten von (historischen und aktuellen) fotografischen Abbildungen, Plänen, Grund- und Aufrissen schon jetzt der Rang eines unverzichtbaren Standardwerks zum Thema nicht zu nehmen.
Harald Bodenschatz (Mitarbeit Daniela Spiegel, Uwe Altrock, Lorenz Kirchner, Ursula von Petz): Städtebau für Mussolini. Auf der Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien. DOM-Publishers, Berlin 2011. 520 S., 630 Abb., geb., 98,- €, ISBN 978-3-86922-186-1.
Weitere Informationen: www.dom-publishers.com
Bildlegenden:
- Alfred Gauro Ambrosi: Ritratto di Benito Mussolini con sfondo di Roma, um 1938 (Bodenschatz S. 37): Der “Duce” als Stadtplaner, der ohne Rücksicht auf die existierende mittelalterliche Bebauung die Prachtstraße Via dell’ Impero zwischen Colosseum und Piazza Venezia anlegen ließ.
- Enrico Del Debbio, Arnaldo Foschini, Vittore Morpurgo: Entwurf für den Palazzo del Littorio (Zentrale des faschistischen Partei; nicht realisiert) an der Via dell’Impero, Rom, 1933-34 (Bodenschatz S. 132). Die Via dell’ Impero führt schnurgerade zum Colosseum; rechts die Ruine der Maxentius- bzw. Konstantinsbasilika.
- Luftaufnahme von Sabaudia, angelegt in den Pontinischen Sümpfen 1933-34; Foto © Daniela Spiegel 2005 (Bodenschatz S. 452).
- Pietro Aschieri, Cesare Pascoletti, Gino Peressutui, Domenico Bernardini: Eingang zum Museo della Civiltà Romana, Rom, 1939-1952; Foto © Rainer K. Wick 2011. Das monumentale Gebäude präsentiert sich im Stil eines für den italienischen Faschismus typischen, trockenen Neoklassizismus.
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